Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Hippel, Theodor Gottlieb von: Über die bürgerliche Verbesserung der Weiber. Berlin, 1792.

Bild:
<< vorherige Seite

Geschmack -- Jene Runzeln, die das Alter
von der Weisheit, oder die Weisheit von dem
Alter hat, schrecken weder ihren Witz noch
ihren Verstand ab -- und nichts, weder Ver-
stand, noch Schönheit, noch Vermögen, macht
sie schüchtern -- Dem Verstande lauern sie
sehr auf den Dienst, und finden bald zu ih-
rem Troste etwas an Lehr' und Leben der
Herren Philosophen auszusetzen, worüber
schwerlich etwas einzuwenden ist; und da sie
geborne Naturalisten (im natürlichen Sinne)
sind -- wie leicht wird es ihnen, von Arti-
sten
ein Federchen abzulesen! Weit eher als
wir, haben sie Anlage, zu dem von Vorurthei-
len und Aberglauben befreieten Gebrauche der
Vernunft zu gelangen -- auf ein Haar wissen
sie den gelahrten Weizen von der gelahrten
Spreu zu unterscheiden -- und den Shake-
spearschen Ausdruck zu deuten: "er redet eine
Menge Nichts -- zwei Weizenkörnlein ver-
steckt er in zwei Bündlein Spreu." Weiber
sind dazu gemacht, den Philosophen, wenn
er sich in den Spinneweben des Systems ver-
lor, (wie ein bekannter Gelehrter sich in sei-

Geschmack — Jene Runzeln, die das Alter
von der Weisheit, oder die Weisheit von dem
Alter hat, schrecken weder ihren Witz noch
ihren Verstand ab — und nichts, weder Ver-
stand, noch Schönheit, noch Vermögen, macht
sie schüchtern — Dem Verstande lauern sie
sehr auf den Dienst, und finden bald zu ih-
rem Troste etwas an Lehr’ und Leben der
Herren Philosophen auszusetzen, worüber
schwerlich etwas einzuwenden ist; und da sie
geborne Naturalisten (im natürlichen Sinne)
sind — wie leicht wird es ihnen, von Arti-
sten
ein Federchen abzulesen! Weit eher als
wir, haben sie Anlage, zu dem von Vorurthei-
len und Aberglauben befreieten Gebrauche der
Vernunft zu gelangen — auf ein Haar wissen
sie den gelahrten Weizen von der gelahrten
Spreu zu unterscheiden — und den Shake-
spearschen Ausdruck zu deuten: »er redet eine
Menge Nichts — zwei Weizenkörnlein ver-
steckt er in zwei Bündlein Spreu.» Weiber
sind dazu gemacht, den Philosophen, wenn
er sich in den Spinneweben des Systems ver-
lor, (wie ein bekannter Gelehrter sich in sei-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0290" n="282"/>
Geschmack &#x2014; Jene Runzeln, die das Alter<lb/>
von der Weisheit, oder die Weisheit von dem<lb/>
Alter hat, schrecken weder ihren Witz noch<lb/>
ihren Verstand ab &#x2014; und nichts, weder Ver-<lb/>
stand, noch Schönheit, noch Vermögen, macht<lb/>
sie schüchtern &#x2014; Dem Verstande lauern sie<lb/>
sehr auf den Dienst, und finden bald zu ih-<lb/>
rem Troste etwas an Lehr&#x2019; und Leben der<lb/>
Herren Philosophen auszusetzen, worüber<lb/>
schwerlich etwas einzuwenden ist; und da sie<lb/>
geborne <hi rendition="#i">Naturalisten</hi> (im natürlichen Sinne)<lb/>
sind &#x2014; wie leicht wird es ihnen, von <hi rendition="#i">Arti-<lb/>
sten</hi> ein Federchen abzulesen! Weit eher als<lb/>
wir, haben sie Anlage, zu dem von Vorurthei-<lb/>
len und Aberglauben befreieten Gebrauche der<lb/>
Vernunft zu gelangen &#x2014; auf ein Haar wissen<lb/>
sie den gelahrten Weizen von der gelahrten<lb/>
Spreu zu unterscheiden &#x2014; und den Shake-<lb/>
spearschen Ausdruck zu deuten: »er redet eine<lb/>
Menge Nichts &#x2014; zwei Weizenkörnlein ver-<lb/>
steckt er in zwei Bündlein Spreu.» Weiber<lb/>
sind dazu gemacht, den Philosophen, wenn<lb/>
er sich in den Spinneweben des Systems ver-<lb/>
lor, (wie ein bekannter Gelehrter sich in sei-<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[282/0290] Geschmack — Jene Runzeln, die das Alter von der Weisheit, oder die Weisheit von dem Alter hat, schrecken weder ihren Witz noch ihren Verstand ab — und nichts, weder Ver- stand, noch Schönheit, noch Vermögen, macht sie schüchtern — Dem Verstande lauern sie sehr auf den Dienst, und finden bald zu ih- rem Troste etwas an Lehr’ und Leben der Herren Philosophen auszusetzen, worüber schwerlich etwas einzuwenden ist; und da sie geborne Naturalisten (im natürlichen Sinne) sind — wie leicht wird es ihnen, von Arti- sten ein Federchen abzulesen! Weit eher als wir, haben sie Anlage, zu dem von Vorurthei- len und Aberglauben befreieten Gebrauche der Vernunft zu gelangen — auf ein Haar wissen sie den gelahrten Weizen von der gelahrten Spreu zu unterscheiden — und den Shake- spearschen Ausdruck zu deuten: »er redet eine Menge Nichts — zwei Weizenkörnlein ver- steckt er in zwei Bündlein Spreu.» Weiber sind dazu gemacht, den Philosophen, wenn er sich in den Spinneweben des Systems ver- lor, (wie ein bekannter Gelehrter sich in sei-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_weiber_1792
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_weiber_1792/290
Zitationshilfe: Hippel, Theodor Gottlieb von: Über die bürgerliche Verbesserung der Weiber. Berlin, 1792, S. 282. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_weiber_1792/290>, abgerufen am 23.11.2024.