denn, geliebt es Gott! den Werth und Un- werth des Unterschiedes zwischen den Men- schen- und Thierseelen entscheiden, wenn nur wir es nicht wagen, unter den menschlichen Seelen Rangordnungen zu bestimmen, die nicht mehr und nicht weniger Realität haben, als Träume und ihre Deutungen. Giebt es denn etwa auch Geschlechtsunterschiede unter den Seelen? giebt es Seelen, die ausschliess- lich bestimmt sind, weibliche Körper zu be- wohnen -- ? und wer ist der kühne Argonaut, der dieses unbekannte Meer beschifft hat? wo- mit hat dieser Apostel der unsichtbaren Welt sein Evangelium bestätiget? Wo Satz und Ge- gensatz einander so nahe sind, dass sie sich die Hände bieten können, da liegt jedem die Pflicht auf, seinen Satz mit aller Stärke zu be- weisen und dann dem Publico das Richteramt zu überlassen. Erfahrungen wider Erfahrun- gen, ehe es noch ausgemacht ist, ob die See- le mit sich selbst Erfahrungen anzustellen ver- mag. Nur im Spiegel kann die Seele sich wahrnehmen; und wer weiss nicht, dass die- ser Spiegel das Bild sehr unvollkommen und
denn, geliebt es Gott! den Werth und Un- werth des Unterschiedes zwischen den Men- schen- und Thierseelen entscheiden, wenn nur wir es nicht wagen, unter den menschlichen Seelen Rangordnungen zu bestimmen, die nicht mehr und nicht weniger Realität haben, als Träume und ihre Deutungen. Giebt es denn etwa auch Geschlechtsunterschiede unter den Seelen? giebt es Seelen, die ausschlieſs- lich bestimmt sind, weibliche Körper zu be- wohnen — ? und wer ist der kühne Argonaut, der dieses unbekannte Meer beschifft hat? wo- mit hat dieser Apostel der unsichtbaren Welt sein Evangelium bestätiget? Wo Satz und Ge- gensatz einander so nahe sind, daſs sie sich die Hände bieten können, da liegt jedem die Pflicht auf, seinen Satz mit aller Stärke zu be- weisen und dann dem Publico das Richteramt zu überlassen. Erfahrungen wider Erfahrun- gen, ehe es noch ausgemacht ist, ob die See- le mit sich selbst Erfahrungen anzustellen ver- mag. Nur im Spiegel kann die Seele sich wahrnehmen; und wer weiſs nicht, daſs die- ser Spiegel das Bild sehr unvollkommen und
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denn, geliebt es Gott! den Werth und Un-
werth des Unterschiedes zwischen den Men-
schen- und Thierseelen entscheiden, wenn nur
wir es nicht wagen, unter den menschlichen
Seelen Rangordnungen zu bestimmen, die
nicht mehr und nicht weniger Realität haben,
als Träume und ihre Deutungen. Giebt es
denn etwa auch Geschlechtsunterschiede unter
den Seelen? giebt es Seelen, die ausschlieſs-
lich bestimmt sind, weibliche Körper zu be-
wohnen — ? und wer ist der kühne Argonaut,
der dieses unbekannte Meer beschifft hat? wo-
mit hat dieser Apostel der unsichtbaren Welt
sein Evangelium bestätiget? Wo Satz und Ge-
gensatz einander so nahe sind, daſs sie sich die
Hände bieten können, da liegt jedem die
Pflicht auf, seinen Satz mit aller Stärke zu be-
weisen und dann dem Publico das Richteramt
zu überlassen. Erfahrungen wider Erfahrun-
gen, ehe es noch ausgemacht ist, ob die See-
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Hippel, Theodor Gottlieb von: Über die bürgerliche Verbesserung der Weiber. Berlin, 1792, S. 52. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_weiber_1792/60>, abgerufen am 23.11.2024.
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