Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 1. Leipzig, 1779.Erster Abschnitt. Aussicht in die Gärten Indessen hatte das Ansehen dieser Gärten, verstärkt durch den allgemeinen Hätte man sich früher bemühet, mehr eine Untersuchung des Charakters solcher In unsern Tagen scheint die Aufklärung über die Gartenkunst sich aus Eng- Die *) Essai sur l'Architecture. Paris 1753. S. 276. seq.
Erſter Abſchnitt. Ausſicht in die Gaͤrten Indeſſen hatte das Anſehen dieſer Gaͤrten, verſtaͤrkt durch den allgemeinen Haͤtte man ſich fruͤher bemuͤhet, mehr eine Unterſuchung des Charakters ſolcher In unſern Tagen ſcheint die Aufklaͤrung uͤber die Gartenkunſt ſich aus Eng- Die *) Eſſai ſur l’Architecture. Paris 1753. S. 276. ſeq.
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Erſter Abſchnitt. Ausſicht in die Gaͤrten
Indeſſen hatte das Anſehen dieſer Gaͤrten, verſtaͤrkt durch den allgemeinen
Ruhm des franzoͤſiſchen Witzes, den Erfolg, daß dieſer Geſchmack in der Garten-
kunſt ſich weiter ausbreitete, oder ſich doch bey einigen Nationen mehr befeſtigte. Das
Vorurtheil, daß nichts ſchoͤner ſey, als was unter dem vergoͤtterten Ludwig ausge-
fuͤhret worden, feſſelte nicht blos den Franzoſen, es band auch den Auslaͤnder. Die
Regelmaͤßigkeit ward uͤberall Mode, aber zugleich deſto ekelhafter, je mehr ſie von
Groͤße und Pracht verlaſſen ward, die man vergebens mit hundert neuen kleinen
Kuͤnſteleyen zu erſetzen ſuchte.
Haͤtte man ſich fruͤher bemuͤhet, mehr eine Unterſuchung des Charakters ſolcher
Gaͤrten anzuſtellen, als uͤbertriebene Lobſpruͤche zu verſchwenden; waͤre man dabey be-
dachtſam genug geweſen, nicht jede Kuͤnſteley fuͤr Schoͤnheit auszugeben: ſo wuͤrden
ſie vielleicht, zwar nicht als allgemeine Muſter, aber als eine beſondere Gattung ſym-
metriſcher und ausgezierter Gaͤrten, ſich in einiger Achtung erhalten haben. Allein
das uͤbermaͤßige Geſchrey blinder Bewunderer, die Dinge fuͤr die einzigen und wah-
ren Gartenſchoͤnheiten anſahen, die es nicht waren, mußte um ſo mehr den Wider-
ſpruch der Kenner rege machen, je mehr der natuͤrliche Geſchmack der Britten ſich
auszubreiten anfieng. Es iſt kein leerer Tadel, was ſchon Laugier *) und andere
Maͤnner geſagt haben; ſondern es ſind gegruͤndete Einwuͤrfe, die jeder machen mußte,
der von ſolchen Dingen zu urtheilen faͤhig war.
In unſern Tagen ſcheint die Aufklaͤrung uͤber die Gartenkunſt ſich aus Eng-
land nach Frankreich verbreitet zu haben. Man hat einſehen gelernt, daß dieſe
Kunſt, wenn ſie zu ihrer wahren Wuͤrde erhoben werden ſollte, ſo wenig als irgend
eine der andern ſchoͤnen Kuͤnſte, das Unſchickliche, das Einfoͤrmige, das Gezierte
vertrage, und daß ſie von einem ſichern Gefuͤhl des Schoͤnen und von einer geſunden
Urtheilskraft geleitet werden muͤſſe. Man hat geſehen, wie Beobachtungen der Em-
pfindung und die Kritik des Schoͤnen auch auf dieſe Kunſt ſich anwenden ließen; und
man mußte dabey leicht wahrnehmen, daß eine nachlaͤßigere Einrichtung weit mehr
gefaͤllt, als eine aͤngſtlich ausſtudirte Genauigkeit, daß aus dem Mangel der Freyheit
und Mannigfaltigkeit Ekel und Ermuͤdung entſteht, daß unverſchloſſene und anmu-
thige Ausſichten, Abwechſelung der Scenen und ſelbſt eine gewiſſe Wildniß den ſorg-
faͤltigſten Abmeſſungen und der puͤnktlichſten Regelmaͤßigkeit unendlich weit vorzuzie-
hen ſind, kurz, daß das durch die beſcheidene Kunſt verſchoͤnerte Natuͤrliche allein das
Vorrecht behaͤlt, einen wahren angenehmen Eindruck zu machen, und ſelbſt den Ver-
ſtand zu ergoͤtzen.
Die
*) Eſſai ſur l’Architecture. Paris 1753. S. 276. ſeq.
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