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Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 1. Leipzig, 1779.

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Erster Abschnitt. Aussicht in die Gärten

Diesen Anblick, der alles darbietet, was man nur in einer abwechselnden Land-
schaft wünschen kann, behält man längst der ganzen Terrasse, bis zu dem toscani-
schen
Tempel. Er stehet gleichsam auf der Spitze eines hohen Vorgebirges, von
dem sich die Aussicht noch mehr erweitert; man entdeckt eine neue Terrasse, und über-
sieht viele abwechselnde Scenen, die des besten Pinsels würdig sind. Auf der linken
Seite fällt das gedachte Thal noch vortheilhafter in die Augen, weil man eine weit
größere Strecke des von dem Hügel herabstehenden Waldes übersieht. Das Thal
mit allen Einzäunungen, der Fluß mit der Cascade liegen so tief, daß man gleichsam
von oben darauf sieht. Das mit Holz besetzte Ufer macht eine Krümmung gegen
den Garten. Vor sich hin sieht man zwischen Hügeln über ein sich erweiterndes Thal
hin, und entdeckt in der Entfernung einen alten Thurm und die Kirchspitze von
Helmsley. Mehr zur Rechten führt das verlängerte Thal das Auge gleichsam in
einen von andern Hügeln umgebenen Kessel, welches der ganzen Scene ein etwas
fürchterliches und zugleich majestätisches Ansehen giebt. Der dunkle Schatten des
herabhängenden Waldes macht mit dem schönen Strom einen merklichen Contrast.
Er ist hier viel breiter, und die Cascade, welche man vor sich hat, ergötzt das Auge
und das Ohr.

Der Prospect dieses Tempels besteht also vornehmlich in zwey Thälern zur
Rechten und zur Linken, die nur blos aus diesem Gesichtspunkte, von dem ersten
Tempel aber gar nicht, gesehen werden können. Die gegenüber liegende Waldung,
die aus jedem Thale ein Amphitheater macht, wird durch einen dem Tempel gegen-
über stehenden Hügel getheilt, welcher mit Farnkraut und allerley Gesträuche bewach-
sen ist, und sich dadurch von allen andern desto mehr unterscheidet. Dieser Tempel
besteht inwendig aus einem runden Saale mit einer Kuppel, der mit eingelegter Ar-
beit und vier Statuen in Nischen verziert ist.

Dies sind nicht die einzigen Schönheiten dieses Parks, sondern zwo englische
Meilen davon trifft man einen eben so bezaubernden Ort an, der von einer alten ver-
fallenen Abtey Ryewalls-Abtey heißt, und auch dazu gehört.

Man sieht hier eine in edlen Krümmungen fortlaufende Terrasse am Rande
eines ausgebreiteten Hügels; auf der einen Seite liegt ein tiefes Thal, und auf der
andern eine dicke Anpflanzung, die mit allerley Gesträuchen eingefaßt ist. An dem
einen Ende steht ein runder Tempel mit einer toscanischen Colonnade, und am andern
ein jonischer Tempel mit einer Halle. Von jenem Tempel ist die Aussicht sehr an-
genehm; vorwärts liegt ein in verschiedenen Krümmungen fortlaufendes, mit einzel-
nen Bäumen und Wasser versehenes Thal; jenseits desselben verbreitet sich ein weit-
läuftiger Wald über viele Hügel, die eine Abwechselung von steilen Anhöhen, Tiefen

und
Erſter Abſchnitt. Ausſicht in die Gaͤrten

Dieſen Anblick, der alles darbietet, was man nur in einer abwechſelnden Land-
ſchaft wuͤnſchen kann, behaͤlt man laͤngſt der ganzen Terraſſe, bis zu dem toſcani-
ſchen
Tempel. Er ſtehet gleichſam auf der Spitze eines hohen Vorgebirges, von
dem ſich die Ausſicht noch mehr erweitert; man entdeckt eine neue Terraſſe, und uͤber-
ſieht viele abwechſelnde Scenen, die des beſten Pinſels wuͤrdig ſind. Auf der linken
Seite faͤllt das gedachte Thal noch vortheilhafter in die Augen, weil man eine weit
groͤßere Strecke des von dem Huͤgel herabſtehenden Waldes uͤberſieht. Das Thal
mit allen Einzaͤunungen, der Fluß mit der Caſcade liegen ſo tief, daß man gleichſam
von oben darauf ſieht. Das mit Holz beſetzte Ufer macht eine Kruͤmmung gegen
den Garten. Vor ſich hin ſieht man zwiſchen Huͤgeln uͤber ein ſich erweiterndes Thal
hin, und entdeckt in der Entfernung einen alten Thurm und die Kirchſpitze von
Helmſley. Mehr zur Rechten fuͤhrt das verlaͤngerte Thal das Auge gleichſam in
einen von andern Huͤgeln umgebenen Keſſel, welches der ganzen Scene ein etwas
fuͤrchterliches und zugleich majeſtaͤtiſches Anſehen giebt. Der dunkle Schatten des
herabhaͤngenden Waldes macht mit dem ſchoͤnen Strom einen merklichen Contraſt.
Er iſt hier viel breiter, und die Caſcade, welche man vor ſich hat, ergoͤtzt das Auge
und das Ohr.

Der Proſpect dieſes Tempels beſteht alſo vornehmlich in zwey Thaͤlern zur
Rechten und zur Linken, die nur blos aus dieſem Geſichtspunkte, von dem erſten
Tempel aber gar nicht, geſehen werden koͤnnen. Die gegenuͤber liegende Waldung,
die aus jedem Thale ein Amphitheater macht, wird durch einen dem Tempel gegen-
uͤber ſtehenden Huͤgel getheilt, welcher mit Farnkraut und allerley Geſtraͤuche bewach-
ſen iſt, und ſich dadurch von allen andern deſto mehr unterſcheidet. Dieſer Tempel
beſteht inwendig aus einem runden Saale mit einer Kuppel, der mit eingelegter Ar-
beit und vier Statuen in Niſchen verziert iſt.

Dies ſind nicht die einzigen Schoͤnheiten dieſes Parks, ſondern zwo engliſche
Meilen davon trifft man einen eben ſo bezaubernden Ort an, der von einer alten ver-
fallenen Abtey Ryewalls-Abtey heißt, und auch dazu gehoͤrt.

Man ſieht hier eine in edlen Kruͤmmungen fortlaufende Terraſſe am Rande
eines ausgebreiteten Huͤgels; auf der einen Seite liegt ein tiefes Thal, und auf der
andern eine dicke Anpflanzung, die mit allerley Geſtraͤuchen eingefaßt iſt. An dem
einen Ende ſteht ein runder Tempel mit einer toſcaniſchen Colonnade, und am andern
ein joniſcher Tempel mit einer Halle. Von jenem Tempel iſt die Ausſicht ſehr an-
genehm; vorwaͤrts liegt ein in verſchiedenen Kruͤmmungen fortlaufendes, mit einzel-
nen Baͤumen und Waſſer verſehenes Thal; jenſeits deſſelben verbreitet ſich ein weit-
laͤuftiger Wald uͤber viele Huͤgel, die eine Abwechſelung von ſteilen Anhoͤhen, Tiefen

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[60/0074] Erſter Abſchnitt. Ausſicht in die Gaͤrten Dieſen Anblick, der alles darbietet, was man nur in einer abwechſelnden Land- ſchaft wuͤnſchen kann, behaͤlt man laͤngſt der ganzen Terraſſe, bis zu dem toſcani- ſchen Tempel. Er ſtehet gleichſam auf der Spitze eines hohen Vorgebirges, von dem ſich die Ausſicht noch mehr erweitert; man entdeckt eine neue Terraſſe, und uͤber- ſieht viele abwechſelnde Scenen, die des beſten Pinſels wuͤrdig ſind. Auf der linken Seite faͤllt das gedachte Thal noch vortheilhafter in die Augen, weil man eine weit groͤßere Strecke des von dem Huͤgel herabſtehenden Waldes uͤberſieht. Das Thal mit allen Einzaͤunungen, der Fluß mit der Caſcade liegen ſo tief, daß man gleichſam von oben darauf ſieht. Das mit Holz beſetzte Ufer macht eine Kruͤmmung gegen den Garten. Vor ſich hin ſieht man zwiſchen Huͤgeln uͤber ein ſich erweiterndes Thal hin, und entdeckt in der Entfernung einen alten Thurm und die Kirchſpitze von Helmſley. Mehr zur Rechten fuͤhrt das verlaͤngerte Thal das Auge gleichſam in einen von andern Huͤgeln umgebenen Keſſel, welches der ganzen Scene ein etwas fuͤrchterliches und zugleich majeſtaͤtiſches Anſehen giebt. Der dunkle Schatten des herabhaͤngenden Waldes macht mit dem ſchoͤnen Strom einen merklichen Contraſt. Er iſt hier viel breiter, und die Caſcade, welche man vor ſich hat, ergoͤtzt das Auge und das Ohr. Der Proſpect dieſes Tempels beſteht alſo vornehmlich in zwey Thaͤlern zur Rechten und zur Linken, die nur blos aus dieſem Geſichtspunkte, von dem erſten Tempel aber gar nicht, geſehen werden koͤnnen. Die gegenuͤber liegende Waldung, die aus jedem Thale ein Amphitheater macht, wird durch einen dem Tempel gegen- uͤber ſtehenden Huͤgel getheilt, welcher mit Farnkraut und allerley Geſtraͤuche bewach- ſen iſt, und ſich dadurch von allen andern deſto mehr unterſcheidet. Dieſer Tempel beſteht inwendig aus einem runden Saale mit einer Kuppel, der mit eingelegter Ar- beit und vier Statuen in Niſchen verziert iſt. Dies ſind nicht die einzigen Schoͤnheiten dieſes Parks, ſondern zwo engliſche Meilen davon trifft man einen eben ſo bezaubernden Ort an, der von einer alten ver- fallenen Abtey Ryewalls-Abtey heißt, und auch dazu gehoͤrt. Man ſieht hier eine in edlen Kruͤmmungen fortlaufende Terraſſe am Rande eines ausgebreiteten Huͤgels; auf der einen Seite liegt ein tiefes Thal, und auf der andern eine dicke Anpflanzung, die mit allerley Geſtraͤuchen eingefaßt iſt. An dem einen Ende ſteht ein runder Tempel mit einer toſcaniſchen Colonnade, und am andern ein joniſcher Tempel mit einer Halle. Von jenem Tempel iſt die Ausſicht ſehr an- genehm; vorwaͤrts liegt ein in verſchiedenen Kruͤmmungen fortlaufendes, mit einzel- nen Baͤumen und Waſſer verſehenes Thal; jenſeits deſſelben verbreitet ſich ein weit- laͤuftiger Wald uͤber viele Huͤgel, die eine Abwechſelung von ſteilen Anhoͤhen, Tiefen und

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Zitationshilfe: Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 1. Leipzig, 1779, S. 60. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hirschfeld_gartenkunst1_1779/74>, abgerufen am 22.11.2024.