Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 2. Leipzig, 1780.Fünfter Abschnitt. ihnen also zu einer Art von Unterlage; und die Beschaffenheit derselben, ihre Höheoder Niedrigung, ihre Absätze oder glatten Wände, ihre Abhänge oder gerade Sen- kungen, ihre Bekleidung mit Bäumen, Gebüsch, Sträuchern und Moos, oder ih- re völlige Nacktheit -- alle diese Verschiedenheiten veranlassen merkliche Veränderun- gen bey fallenden Wassern. Auch der Grund, wohin sie sich ergießen, kann einen Unterschied machen; er kann das Wasser in seinen ebenen, sandigten oder grasigten Schoos aufnehmen und besänftigen; oder er kann es noch mehr durch seine Steine und Felsstücke empören, von welchen es zurückprallt und aufschäumend sich umherwälzt. Alle diese Umstände verändern nicht blos die Bewegung, sondern auch die Gestalt der fallenden Wasser. Ein einzelner kleiner Wasserguß ist fast ohne Wirkung; wenigstens wird seine Nach diesen Beobachtungen sind Wassergüsse ein Eigenthum der angenehmen Fallende Wasser sind überhaupt durch die Kunst sehr schwer anzulegen. Sie Natür-
Fuͤnfter Abſchnitt. ihnen alſo zu einer Art von Unterlage; und die Beſchaffenheit derſelben, ihre Hoͤheoder Niedrigung, ihre Abſaͤtze oder glatten Waͤnde, ihre Abhaͤnge oder gerade Sen- kungen, ihre Bekleidung mit Baͤumen, Gebuͤſch, Straͤuchern und Moos, oder ih- re voͤllige Nacktheit — alle dieſe Verſchiedenheiten veranlaſſen merkliche Veraͤnderun- gen bey fallenden Waſſern. Auch der Grund, wohin ſie ſich ergießen, kann einen Unterſchied machen; er kann das Waſſer in ſeinen ebenen, ſandigten oder graſigten Schoos aufnehmen und beſaͤnftigen; oder er kann es noch mehr durch ſeine Steine und Felsſtuͤcke empoͤren, von welchen es zuruͤckprallt und aufſchaͤumend ſich umherwaͤlzt. Alle dieſe Umſtaͤnde veraͤndern nicht blos die Bewegung, ſondern auch die Geſtalt der fallenden Waſſer. Ein einzelner kleiner Waſſerguß iſt faſt ohne Wirkung; wenigſtens wird ſeine Nach dieſen Beobachtungen ſind Waſſerguͤſſe ein Eigenthum der angenehmen Fallende Waſſer ſind uͤberhaupt durch die Kunſt ſehr ſchwer anzulegen. Sie Natuͤr-
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0118" n="114"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Fuͤnfter Abſchnitt.</hi></fw><lb/> ihnen alſo zu einer Art von Unterlage; und die Beſchaffenheit derſelben, ihre Hoͤhe<lb/> oder Niedrigung, ihre Abſaͤtze oder glatten Waͤnde, ihre Abhaͤnge oder gerade Sen-<lb/> kungen, ihre Bekleidung mit Baͤumen, Gebuͤſch, Straͤuchern und Moos, oder ih-<lb/> re voͤllige Nacktheit — alle dieſe Verſchiedenheiten veranlaſſen merkliche Veraͤnderun-<lb/> gen bey fallenden Waſſern. Auch der Grund, wohin ſie ſich ergießen, kann einen<lb/> Unterſchied machen; er kann das Waſſer in ſeinen ebenen, ſandigten oder graſigten<lb/> Schoos aufnehmen und beſaͤnftigen; oder er kann es noch mehr durch ſeine Steine und<lb/> Felsſtuͤcke empoͤren, von welchen es zuruͤckprallt und <choice><sic>auffchaͤumend</sic><corr>aufſchaͤumend</corr></choice> ſich umherwaͤlzt.<lb/> Alle dieſe Umſtaͤnde veraͤndern nicht blos die Bewegung, ſondern auch die Geſtalt der<lb/> fallenden Waſſer.</p><lb/> <p>Ein einzelner kleiner Waſſerguß iſt faſt ohne Wirkung; wenigſtens wird ſeine<lb/> Anmuthigkeit nur in einem kleinen ruhigen Bezirke empfunden. Mehrere Waſſer-<lb/> guͤſſe aber, die neben einander geſehen, oder auf einmal gehoͤrt werden, tragen ſehr<lb/> viel zur Belebung einer Gegend bey. Was dem Waſſer an Reichthum abgeht, das<lb/> erſetzt die Mehrheit der von einander abgeſonderten Guͤſſe. Macht ihre Ergießung<lb/> ein unordentliches Geplaͤtſcher, ſo erhalten ſie die Phantaſie rege. Fallen ſie in regel-<lb/> maͤßigen Guͤſſen, ſo verſetzt die Gleichheit des Geraͤuſches die Seele in eine ruhige<lb/> Gleichmuͤthigkeit. Bey ſolchen Guͤſſen, wenn ſie gleich eine ziemliche Lebhaftigkeit<lb/> haben, wird die Seele doch gleichſam eingewiegt. Das Leſen, das Nachdenken,<lb/> oder der Schlaf iſt uns angenehm; allein dieſe Verfaſſung verſchwindet bey dem Ge-<lb/> toͤſe eines ſtarken Waſſerfalls.</p><lb/> <p>Nach dieſen Beobachtungen ſind Waſſerguͤſſe ein Eigenthum der angenehmen<lb/> und muntern Gegend; da Lebhaftigkeit ihren Charakter macht, ſo ſind ſie melancholi-<lb/> ſchen Gegenden nicht wohl angemeſſen. Sie geben der Phantaſie Bewegung und ei-<lb/> ne liebliche Erfriſchung. In kleinen reizenden Gaͤrten machen ſie ſchon einen wichti-<lb/> gen Theil aus. Auch in einzelnen Gegenden und Scenen geben ſie eine anmuthige<lb/> Verzierung. Bey Grotten und Schattenſitzen moͤgen ſie vom Felſen oder durchs Ge-<lb/> ſtraͤuch herabſpielen. In einer kleinen Wildniß verbreite ſich ihr regelloſes Geplaͤt-<lb/> ſcher. Bey einem Bade, bey einem Schlafkabinet, hinter einer Laube dem Leſen ge-<lb/> widmet, ſey ihr Guß regelmaͤßig, ſich immer gleich. Oft werden ſie angenehmer,<lb/> wenn ſie verſteckt ſind. Die Einbildungskraft wird beſchaͤftigt, indem ſie blos dem<lb/> Ohr und nicht dem Auge gegenwaͤrtig ſind; ſie bildet ſie ſich an einer andern Stelle, in<lb/> einer andern Geſtalt vor, als ſie ſind. Iſt ihre Anlage und ihr Waſſer unbedeutend,<lb/> ſo kann ſelbſt die Nothwendigkeit erfordern, ſie vor dem Anblick zu verhuͤllen.</p><lb/> <p>Fallende Waſſer ſind uͤberhaupt durch die Kunſt ſehr ſchwer anzulegen. Sie<lb/> verrathen gar zu bald die Hand des Menſchen, und haben ſelten das Gepraͤge des<lb/> <fw place="bottom" type="catch">Natuͤr-</fw><lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [114/0118]
Fuͤnfter Abſchnitt.
ihnen alſo zu einer Art von Unterlage; und die Beſchaffenheit derſelben, ihre Hoͤhe
oder Niedrigung, ihre Abſaͤtze oder glatten Waͤnde, ihre Abhaͤnge oder gerade Sen-
kungen, ihre Bekleidung mit Baͤumen, Gebuͤſch, Straͤuchern und Moos, oder ih-
re voͤllige Nacktheit — alle dieſe Verſchiedenheiten veranlaſſen merkliche Veraͤnderun-
gen bey fallenden Waſſern. Auch der Grund, wohin ſie ſich ergießen, kann einen
Unterſchied machen; er kann das Waſſer in ſeinen ebenen, ſandigten oder graſigten
Schoos aufnehmen und beſaͤnftigen; oder er kann es noch mehr durch ſeine Steine und
Felsſtuͤcke empoͤren, von welchen es zuruͤckprallt und aufſchaͤumend ſich umherwaͤlzt.
Alle dieſe Umſtaͤnde veraͤndern nicht blos die Bewegung, ſondern auch die Geſtalt der
fallenden Waſſer.
Ein einzelner kleiner Waſſerguß iſt faſt ohne Wirkung; wenigſtens wird ſeine
Anmuthigkeit nur in einem kleinen ruhigen Bezirke empfunden. Mehrere Waſſer-
guͤſſe aber, die neben einander geſehen, oder auf einmal gehoͤrt werden, tragen ſehr
viel zur Belebung einer Gegend bey. Was dem Waſſer an Reichthum abgeht, das
erſetzt die Mehrheit der von einander abgeſonderten Guͤſſe. Macht ihre Ergießung
ein unordentliches Geplaͤtſcher, ſo erhalten ſie die Phantaſie rege. Fallen ſie in regel-
maͤßigen Guͤſſen, ſo verſetzt die Gleichheit des Geraͤuſches die Seele in eine ruhige
Gleichmuͤthigkeit. Bey ſolchen Guͤſſen, wenn ſie gleich eine ziemliche Lebhaftigkeit
haben, wird die Seele doch gleichſam eingewiegt. Das Leſen, das Nachdenken,
oder der Schlaf iſt uns angenehm; allein dieſe Verfaſſung verſchwindet bey dem Ge-
toͤſe eines ſtarken Waſſerfalls.
Nach dieſen Beobachtungen ſind Waſſerguͤſſe ein Eigenthum der angenehmen
und muntern Gegend; da Lebhaftigkeit ihren Charakter macht, ſo ſind ſie melancholi-
ſchen Gegenden nicht wohl angemeſſen. Sie geben der Phantaſie Bewegung und ei-
ne liebliche Erfriſchung. In kleinen reizenden Gaͤrten machen ſie ſchon einen wichti-
gen Theil aus. Auch in einzelnen Gegenden und Scenen geben ſie eine anmuthige
Verzierung. Bey Grotten und Schattenſitzen moͤgen ſie vom Felſen oder durchs Ge-
ſtraͤuch herabſpielen. In einer kleinen Wildniß verbreite ſich ihr regelloſes Geplaͤt-
ſcher. Bey einem Bade, bey einem Schlafkabinet, hinter einer Laube dem Leſen ge-
widmet, ſey ihr Guß regelmaͤßig, ſich immer gleich. Oft werden ſie angenehmer,
wenn ſie verſteckt ſind. Die Einbildungskraft wird beſchaͤftigt, indem ſie blos dem
Ohr und nicht dem Auge gegenwaͤrtig ſind; ſie bildet ſie ſich an einer andern Stelle, in
einer andern Geſtalt vor, als ſie ſind. Iſt ihre Anlage und ihr Waſſer unbedeutend,
ſo kann ſelbſt die Nothwendigkeit erfordern, ſie vor dem Anblick zu verhuͤllen.
Fallende Waſſer ſind uͤberhaupt durch die Kunſt ſehr ſchwer anzulegen. Sie
verrathen gar zu bald die Hand des Menſchen, und haben ſelten das Gepraͤge des
Natuͤr-
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |