Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 2. Leipzig, 1780.

Bild:
<< vorherige Seite
Vom Baumwerk.

Allerdings war es eine gemeine und widrige Bestimmung der Irrgärten,
da auf nichts weiter gesehen ward, als den Spazierenden in eine Verlegenheit
zu setzen, worin der Kluge nicht minder als der Einfältige fallen kann. Auch
flößten die engen Gänge und die hohen Hecken, woraus die alten Labyrinthe be-
standen, bey dem einsamen Herumirren leicht eine Bewegung von Furcht ein.
Eine durchgängige Leere machte sie verdrießlich; und die Hinstellung scheuslicher
Statuen, zumal an Plätzen, wo sie unvermuthet erblickt wurden, mußte durch
den plötzlich erregten Schreck, den die Einsamkeit verstärkte, eine Art von Grau-
samkeit scheinen, die zum Unwillen berechtigte. Denkt man die gesuchten und
gekünstelten Verwickelungen der Anlage hinzu, so sieht man leicht, wie wenig
Beyfall die Labyrinthe der alten Kunst bey einem gesunden Geschmack hoffen
dürfen.

Inzwischen ist gewiß, daß waldigte und gebürgigte Gegenden ihre natürliche
Irrgärten haben, und daß es uns, frey von der Befürchtung einiger Gefahr
oder einer ewigen Umherirrung, zuweilen ein Vergnügen ist, uns in diese Irr-
gänge mit einer ruhigen Sorglosigkeit zu verlieren, uns bald dem ernsthaften
Denken, bald den zauberischen Spielen der Phantasie zu überlassen. Selbst das
Umherirren auf neuen oder weniger bekannten Pfaden giebt der Seele eine ge-
wisse Beschäftigung, hält die Erwartung rege, indem es sie bald mehr, bald
minder täuscht, und überrascht mit dem Vergnügen, unvermuthet einen Ausgang
zu treffen. Die Natur belebt diese wilden Irrgänge gerne mit Pflanzen und
Sträuchern, die durch ihre Seltenheit oder Schönheit zur Beschauung anhal-
ten, mit kleinen Bächen und mit Vögeln, die hier ungestört umherflattern und
singen. In einem Park, der mannichfaltige Gegenden in seinem Bezirk umfaßt,
selbst in eingeschränktern Gärten, die an waldigte Berge und buschigte Wildnisse
gränzen, lassen sich sehr angenehme Vortheile von solchen natürlichen Irrgängen
gewinnen. Aber die Kunst muß es nicht wagen, hier ihre Kräfte zeigen zu wol-
len. Das Nachläßige und Verwilderte macht den wahren Charakter der Laby-
rinthe der Natur. Ihr Eingang müßte nicht, nach dem vormaligen Geschmack,
mit einem Gitterwerk oder einer Statue, nicht einmal mit einer zierlich gebauten
Thüre, merklich bezeichnet werden; nichts müßte die Scene ankündigen, noch
durch die vorlaufende Vorstellung des Herumirrens die Wirkung der Bewegungen
schwächen, die in der Folge erweckt werden sollen. Ein kleiner anmuthiger
Pfad reizte, ihn zu verfolgen; er lockte in ein Gebüsch von einer so einnehmen-
den Lieblichkeit, daß man es nicht wieder verlassen könnte. Die nächste Sce-
ne fesselte noch mehr die Aufmerksamkeit, erregte noch mehr die Erwartung. Man

verlöre
II Band. K
Vom Baumwerk.

Allerdings war es eine gemeine und widrige Beſtimmung der Irrgaͤrten,
da auf nichts weiter geſehen ward, als den Spazierenden in eine Verlegenheit
zu ſetzen, worin der Kluge nicht minder als der Einfaͤltige fallen kann. Auch
floͤßten die engen Gaͤnge und die hohen Hecken, woraus die alten Labyrinthe be-
ſtanden, bey dem einſamen Herumirren leicht eine Bewegung von Furcht ein.
Eine durchgaͤngige Leere machte ſie verdrießlich; und die Hinſtellung ſcheuslicher
Statuen, zumal an Plaͤtzen, wo ſie unvermuthet erblickt wurden, mußte durch
den ploͤtzlich erregten Schreck, den die Einſamkeit verſtaͤrkte, eine Art von Grau-
ſamkeit ſcheinen, die zum Unwillen berechtigte. Denkt man die geſuchten und
gekuͤnſtelten Verwickelungen der Anlage hinzu, ſo ſieht man leicht, wie wenig
Beyfall die Labyrinthe der alten Kunſt bey einem geſunden Geſchmack hoffen
duͤrfen.

Inzwiſchen iſt gewiß, daß waldigte und gebuͤrgigte Gegenden ihre natuͤrliche
Irrgaͤrten haben, und daß es uns, frey von der Befuͤrchtung einiger Gefahr
oder einer ewigen Umherirrung, zuweilen ein Vergnuͤgen iſt, uns in dieſe Irr-
gaͤnge mit einer ruhigen Sorgloſigkeit zu verlieren, uns bald dem ernſthaften
Denken, bald den zauberiſchen Spielen der Phantaſie zu uͤberlaſſen. Selbſt das
Umherirren auf neuen oder weniger bekannten Pfaden giebt der Seele eine ge-
wiſſe Beſchaͤftigung, haͤlt die Erwartung rege, indem es ſie bald mehr, bald
minder taͤuſcht, und uͤberraſcht mit dem Vergnuͤgen, unvermuthet einen Ausgang
zu treffen. Die Natur belebt dieſe wilden Irrgaͤnge gerne mit Pflanzen und
Straͤuchern, die durch ihre Seltenheit oder Schoͤnheit zur Beſchauung anhal-
ten, mit kleinen Baͤchen und mit Voͤgeln, die hier ungeſtoͤrt umherflattern und
ſingen. In einem Park, der mannichfaltige Gegenden in ſeinem Bezirk umfaßt,
ſelbſt in eingeſchraͤnktern Gaͤrten, die an waldigte Berge und buſchigte Wildniſſe
graͤnzen, laſſen ſich ſehr angenehme Vortheile von ſolchen natuͤrlichen Irrgaͤngen
gewinnen. Aber die Kunſt muß es nicht wagen, hier ihre Kraͤfte zeigen zu wol-
len. Das Nachlaͤßige und Verwilderte macht den wahren Charakter der Laby-
rinthe der Natur. Ihr Eingang muͤßte nicht, nach dem vormaligen Geſchmack,
mit einem Gitterwerk oder einer Statue, nicht einmal mit einer zierlich gebauten
Thuͤre, merklich bezeichnet werden; nichts muͤßte die Scene ankuͤndigen, noch
durch die vorlaufende Vorſtellung des Herumirrens die Wirkung der Bewegungen
ſchwaͤchen, die in der Folge erweckt werden ſollen. Ein kleiner anmuthiger
Pfad reizte, ihn zu verfolgen; er lockte in ein Gebuͤſch von einer ſo einnehmen-
den Lieblichkeit, daß man es nicht wieder verlaſſen koͤnnte. Die naͤchſte Sce-
ne feſſelte noch mehr die Aufmerkſamkeit, erregte noch mehr die Erwartung. Man

verloͤre
II Band. K
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="3">
          <div n="4">
            <div n="5">
              <div n="6">
                <pb facs="#f0077" n="73"/>
                <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Vom Baumwerk.</hi> </fw><lb/>
                <p>Allerdings war es eine gemeine und widrige Be&#x017F;timmung der Irrga&#x0364;rten,<lb/>
da auf nichts weiter ge&#x017F;ehen ward, als den Spazierenden in eine Verlegenheit<lb/>
zu &#x017F;etzen, worin der Kluge nicht minder als der Einfa&#x0364;ltige fallen kann. Auch<lb/>
flo&#x0364;ßten die engen Ga&#x0364;nge und die hohen Hecken, woraus die alten Labyrinthe be-<lb/>
&#x017F;tanden, bey dem ein&#x017F;amen Herumirren leicht eine Bewegung von Furcht ein.<lb/>
Eine durchga&#x0364;ngige Leere machte &#x017F;ie verdrießlich; und die Hin&#x017F;tellung &#x017F;cheuslicher<lb/>
Statuen, zumal an Pla&#x0364;tzen, wo &#x017F;ie unvermuthet erblickt wurden, mußte durch<lb/>
den plo&#x0364;tzlich erregten Schreck, den die Ein&#x017F;amkeit ver&#x017F;ta&#x0364;rkte, eine Art von Grau-<lb/>
&#x017F;amkeit &#x017F;cheinen, die zum Unwillen berechtigte. Denkt man die ge&#x017F;uchten und<lb/>
geku&#x0364;n&#x017F;telten Verwickelungen der Anlage hinzu, &#x017F;o &#x017F;ieht man leicht, wie wenig<lb/>
Beyfall die Labyrinthe der alten Kun&#x017F;t bey einem ge&#x017F;unden Ge&#x017F;chmack hoffen<lb/>
du&#x0364;rfen.</p><lb/>
                <p>Inzwi&#x017F;chen i&#x017F;t gewiß, daß waldigte und gebu&#x0364;rgigte Gegenden ihre natu&#x0364;rliche<lb/>
Irrga&#x0364;rten haben, und daß es uns, frey von der Befu&#x0364;rchtung einiger Gefahr<lb/>
oder einer ewigen Umherirrung, zuweilen ein Vergnu&#x0364;gen i&#x017F;t, uns in die&#x017F;e Irr-<lb/>
ga&#x0364;nge mit einer ruhigen Sorglo&#x017F;igkeit zu verlieren, uns bald dem ern&#x017F;thaften<lb/>
Denken, bald den zauberi&#x017F;chen Spielen der Phanta&#x017F;ie zu u&#x0364;berla&#x017F;&#x017F;en. Selb&#x017F;t das<lb/>
Umherirren auf neuen oder weniger bekannten Pfaden giebt der Seele eine ge-<lb/>
wi&#x017F;&#x017F;e Be&#x017F;cha&#x0364;ftigung, ha&#x0364;lt die Erwartung rege, indem es &#x017F;ie bald mehr, bald<lb/>
minder ta&#x0364;u&#x017F;cht, und u&#x0364;berra&#x017F;cht mit dem Vergnu&#x0364;gen, unvermuthet einen Ausgang<lb/>
zu treffen. Die Natur belebt die&#x017F;e wilden Irrga&#x0364;nge gerne mit Pflanzen und<lb/>
Stra&#x0364;uchern, die durch ihre Seltenheit oder Scho&#x0364;nheit zur Be&#x017F;chauung anhal-<lb/>
ten, mit kleinen Ba&#x0364;chen und mit Vo&#x0364;geln, die hier unge&#x017F;to&#x0364;rt umherflattern und<lb/>
&#x017F;ingen. In einem Park, der mannichfaltige Gegenden in &#x017F;einem Bezirk umfaßt,<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t in einge&#x017F;chra&#x0364;nktern Ga&#x0364;rten, die an waldigte Berge und bu&#x017F;chigte Wildni&#x017F;&#x017F;e<lb/>
gra&#x0364;nzen, la&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ich &#x017F;ehr angenehme Vortheile von &#x017F;olchen natu&#x0364;rlichen Irrga&#x0364;ngen<lb/>
gewinnen. Aber die Kun&#x017F;t muß es nicht wagen, hier ihre Kra&#x0364;fte zeigen zu wol-<lb/>
len. Das Nachla&#x0364;ßige und Verwilderte macht den wahren Charakter der Laby-<lb/>
rinthe der Natur. Ihr Eingang mu&#x0364;ßte nicht, nach dem vormaligen Ge&#x017F;chmack,<lb/>
mit einem Gitterwerk oder einer Statue, nicht einmal mit einer zierlich gebauten<lb/>
Thu&#x0364;re, merklich bezeichnet werden; nichts mu&#x0364;ßte die Scene anku&#x0364;ndigen, noch<lb/>
durch die vorlaufende Vor&#x017F;tellung des Herumirrens die Wirkung der Bewegungen<lb/>
&#x017F;chwa&#x0364;chen, die in der Folge erweckt werden &#x017F;ollen. Ein kleiner anmuthiger<lb/>
Pfad reizte, ihn zu verfolgen; er lockte in ein Gebu&#x0364;&#x017F;ch von einer &#x017F;o einnehmen-<lb/>
den Lieblichkeit, daß man es nicht wieder verla&#x017F;&#x017F;en ko&#x0364;nnte. Die na&#x0364;ch&#x017F;te Sce-<lb/>
ne fe&#x017F;&#x017F;elte noch mehr die Aufmerk&#x017F;amkeit, erregte noch mehr die Erwartung. Man<lb/>
<fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#aq">II</hi><hi rendition="#fr">Band.</hi> K</fw><fw place="bottom" type="catch">verlo&#x0364;re</fw><lb/></p>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[73/0077] Vom Baumwerk. Allerdings war es eine gemeine und widrige Beſtimmung der Irrgaͤrten, da auf nichts weiter geſehen ward, als den Spazierenden in eine Verlegenheit zu ſetzen, worin der Kluge nicht minder als der Einfaͤltige fallen kann. Auch floͤßten die engen Gaͤnge und die hohen Hecken, woraus die alten Labyrinthe be- ſtanden, bey dem einſamen Herumirren leicht eine Bewegung von Furcht ein. Eine durchgaͤngige Leere machte ſie verdrießlich; und die Hinſtellung ſcheuslicher Statuen, zumal an Plaͤtzen, wo ſie unvermuthet erblickt wurden, mußte durch den ploͤtzlich erregten Schreck, den die Einſamkeit verſtaͤrkte, eine Art von Grau- ſamkeit ſcheinen, die zum Unwillen berechtigte. Denkt man die geſuchten und gekuͤnſtelten Verwickelungen der Anlage hinzu, ſo ſieht man leicht, wie wenig Beyfall die Labyrinthe der alten Kunſt bey einem geſunden Geſchmack hoffen duͤrfen. Inzwiſchen iſt gewiß, daß waldigte und gebuͤrgigte Gegenden ihre natuͤrliche Irrgaͤrten haben, und daß es uns, frey von der Befuͤrchtung einiger Gefahr oder einer ewigen Umherirrung, zuweilen ein Vergnuͤgen iſt, uns in dieſe Irr- gaͤnge mit einer ruhigen Sorgloſigkeit zu verlieren, uns bald dem ernſthaften Denken, bald den zauberiſchen Spielen der Phantaſie zu uͤberlaſſen. Selbſt das Umherirren auf neuen oder weniger bekannten Pfaden giebt der Seele eine ge- wiſſe Beſchaͤftigung, haͤlt die Erwartung rege, indem es ſie bald mehr, bald minder taͤuſcht, und uͤberraſcht mit dem Vergnuͤgen, unvermuthet einen Ausgang zu treffen. Die Natur belebt dieſe wilden Irrgaͤnge gerne mit Pflanzen und Straͤuchern, die durch ihre Seltenheit oder Schoͤnheit zur Beſchauung anhal- ten, mit kleinen Baͤchen und mit Voͤgeln, die hier ungeſtoͤrt umherflattern und ſingen. In einem Park, der mannichfaltige Gegenden in ſeinem Bezirk umfaßt, ſelbſt in eingeſchraͤnktern Gaͤrten, die an waldigte Berge und buſchigte Wildniſſe graͤnzen, laſſen ſich ſehr angenehme Vortheile von ſolchen natuͤrlichen Irrgaͤngen gewinnen. Aber die Kunſt muß es nicht wagen, hier ihre Kraͤfte zeigen zu wol- len. Das Nachlaͤßige und Verwilderte macht den wahren Charakter der Laby- rinthe der Natur. Ihr Eingang muͤßte nicht, nach dem vormaligen Geſchmack, mit einem Gitterwerk oder einer Statue, nicht einmal mit einer zierlich gebauten Thuͤre, merklich bezeichnet werden; nichts muͤßte die Scene ankuͤndigen, noch durch die vorlaufende Vorſtellung des Herumirrens die Wirkung der Bewegungen ſchwaͤchen, die in der Folge erweckt werden ſollen. Ein kleiner anmuthiger Pfad reizte, ihn zu verfolgen; er lockte in ein Gebuͤſch von einer ſo einnehmen- den Lieblichkeit, daß man es nicht wieder verlaſſen koͤnnte. Die naͤchſte Sce- ne feſſelte noch mehr die Aufmerkſamkeit, erregte noch mehr die Erwartung. Man verloͤre II Band. K

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hirschfeld_gartenkunst2_1780
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hirschfeld_gartenkunst2_1780/77
Zitationshilfe: Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 2. Leipzig, 1780, S. 73. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hirschfeld_gartenkunst2_1780/77>, abgerufen am 04.12.2024.