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Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 3. Leipzig, 1780.

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Einsiedeleyen, Capellen und Ruinen.
den verfallenen Säulen ausbreiten. Die Wände sind zum Theil mit Epheu bedeckt,
der an manchen Stellen zwischen dem Gesträuche in natürlichen Festonen von der
Mauer herabhängt. Die Oberfläche des Thals ist halb mit Dornen und Brombee-
ren bedeckt; nur hie und da hebt sich ein alter Klumpen Mauer hervor. Der zwi-
schen den Steinen murmelnde Bach, die steilen Felsen, deren Haupt vom Walde ge-
schwärzt ist, verbreiten eine feyerliche Melancholie über die ganze Scene. Alles ist
wild und finster, und vereinigt sich, eine sanfte Schwermuth einzuflößen.

Von den herrlichen Ruinen der Abtey Tintern*) giebt einer der größten Ken-
ner, Whately, eine genaue Beschreibung, worinn sie nicht blos als ein Gegenstand
der Neubegierde, sondern auch als ein vorzügliches Muster der Nachahmung erschei-
nen. Der ursprüngliche Bau der Kirche ist vollkommen bezeichnet. Fast alle
Mauern sind noch ganz; blos das Dach ist eingefallen; die meisten von den Säulen,
welche die Flügel von einander absonderten, stehen noch; und von den umgefallenen
ist noch das Fußgesimse übrig, ein jedes vollkommen an seinem gehörigen Orte. In
der Mitte des Schiffs steigen vier erhabene Schwibbögen, auf welchen ehemals der
Thurm ruhete, hoch über alles übrige hinauf; und ob sie gleich alle wegen der abge-
fallenen Steine jetzt sehr schmal sind, so haben sie doch noch ihre völlige Form. Selbst
die Figuren der Fenster sind nur wenig geändert. Einige davon aber sind ganz mit
Gebüschen von Epheu überwachsen, andere nur zum Theil davon überschattet, und
die, welche noch am deutlichsten in die Augen fallen, sind mit den zarten Ranken des
Gewächses und mit anderm laufenden Laubwerk eingefaßt, das an den Seiten und Ab-
theilungen hinaufklettert, hier sich rund um die Pfeiler schlängelt, an den Mauern
hängt, und bey dem einen Flügel sich oben so dichte in einander windet, und einen so
großen Raum einnimmt, daß die untere Gegend ganz davon verfinstert wird. Die
übrigen Flügel und das große Schiff stehen unter freyem Himmel. Der Fußboden
ist ganz mit Rasen überzogen; und die Sorgfalt, ihn vor Unkraut und Gebüschen zu
verwahren, ist jetzt seine vornehmste Erhaltung. Grabsteine von Mönchen und Denk-
mäler schon lange vergessener Wohlthäter erscheinen über dem Grase; aus diesem ra-
gen zugleich die Fußgesimse der eingefallenen Pfeiler hervor; verstümmelte Bilder,
von Zeit und Wetter unkennbar gemachte Statüen, gothische Capitäle, ausgeschnitz-
te Karniese und verschiedene andere Trümmer sind überall herumgestreut, oder liegen
in einem Haufen übereinandergethürmt beysammen. Andere beschädigte Theile, die
zwar nicht völlig mehr zusammengefügt sind, und ihren Zerfall beginnen, befinden
sich noch an ihren ursprünglichen Oertern; und eine sehr verstümmelte Treppe, die

auf
*) Betrachtungen über das heutige Gartenwesen, S. 162.
P 3

Einſiedeleyen, Capellen und Ruinen.
den verfallenen Saͤulen ausbreiten. Die Waͤnde ſind zum Theil mit Epheu bedeckt,
der an manchen Stellen zwiſchen dem Geſtraͤuche in natuͤrlichen Feſtonen von der
Mauer herabhaͤngt. Die Oberflaͤche des Thals iſt halb mit Dornen und Brombee-
ren bedeckt; nur hie und da hebt ſich ein alter Klumpen Mauer hervor. Der zwi-
ſchen den Steinen murmelnde Bach, die ſteilen Felſen, deren Haupt vom Walde ge-
ſchwaͤrzt iſt, verbreiten eine feyerliche Melancholie uͤber die ganze Scene. Alles iſt
wild und finſter, und vereinigt ſich, eine ſanfte Schwermuth einzufloͤßen.

Von den herrlichen Ruinen der Abtey Tintern*) giebt einer der groͤßten Ken-
ner, Whately, eine genaue Beſchreibung, worinn ſie nicht blos als ein Gegenſtand
der Neubegierde, ſondern auch als ein vorzuͤgliches Muſter der Nachahmung erſchei-
nen. Der urſpruͤngliche Bau der Kirche iſt vollkommen bezeichnet. Faſt alle
Mauern ſind noch ganz; blos das Dach iſt eingefallen; die meiſten von den Saͤulen,
welche die Fluͤgel von einander abſonderten, ſtehen noch; und von den umgefallenen
iſt noch das Fußgeſimſe uͤbrig, ein jedes vollkommen an ſeinem gehoͤrigen Orte. In
der Mitte des Schiffs ſteigen vier erhabene Schwibboͤgen, auf welchen ehemals der
Thurm ruhete, hoch uͤber alles uͤbrige hinauf; und ob ſie gleich alle wegen der abge-
fallenen Steine jetzt ſehr ſchmal ſind, ſo haben ſie doch noch ihre voͤllige Form. Selbſt
die Figuren der Fenſter ſind nur wenig geaͤndert. Einige davon aber ſind ganz mit
Gebuͤſchen von Epheu uͤberwachſen, andere nur zum Theil davon uͤberſchattet, und
die, welche noch am deutlichſten in die Augen fallen, ſind mit den zarten Ranken des
Gewaͤchſes und mit anderm laufenden Laubwerk eingefaßt, das an den Seiten und Ab-
theilungen hinaufklettert, hier ſich rund um die Pfeiler ſchlaͤngelt, an den Mauern
haͤngt, und bey dem einen Fluͤgel ſich oben ſo dichte in einander windet, und einen ſo
großen Raum einnimmt, daß die untere Gegend ganz davon verfinſtert wird. Die
uͤbrigen Fluͤgel und das große Schiff ſtehen unter freyem Himmel. Der Fußboden
iſt ganz mit Raſen uͤberzogen; und die Sorgfalt, ihn vor Unkraut und Gebuͤſchen zu
verwahren, iſt jetzt ſeine vornehmſte Erhaltung. Grabſteine von Moͤnchen und Denk-
maͤler ſchon lange vergeſſener Wohlthaͤter erſcheinen uͤber dem Graſe; aus dieſem ra-
gen zugleich die Fußgeſimſe der eingefallenen Pfeiler hervor; verſtuͤmmelte Bilder,
von Zeit und Wetter unkennbar gemachte Statuͤen, gothiſche Capitaͤle, ausgeſchnitz-
te Karnieſe und verſchiedene andere Truͤmmer ſind uͤberall herumgeſtreut, oder liegen
in einem Haufen uͤbereinandergethuͤrmt beyſammen. Andere beſchaͤdigte Theile, die
zwar nicht voͤllig mehr zuſammengefuͤgt ſind, und ihren Zerfall beginnen, befinden
ſich noch an ihren urſpruͤnglichen Oertern; und eine ſehr verſtuͤmmelte Treppe, die

auf
*) Betrachtungen uͤber das heutige Gartenweſen, S. 162.
P 3
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[117/0121] Einſiedeleyen, Capellen und Ruinen. den verfallenen Saͤulen ausbreiten. Die Waͤnde ſind zum Theil mit Epheu bedeckt, der an manchen Stellen zwiſchen dem Geſtraͤuche in natuͤrlichen Feſtonen von der Mauer herabhaͤngt. Die Oberflaͤche des Thals iſt halb mit Dornen und Brombee- ren bedeckt; nur hie und da hebt ſich ein alter Klumpen Mauer hervor. Der zwi- ſchen den Steinen murmelnde Bach, die ſteilen Felſen, deren Haupt vom Walde ge- ſchwaͤrzt iſt, verbreiten eine feyerliche Melancholie uͤber die ganze Scene. Alles iſt wild und finſter, und vereinigt ſich, eine ſanfte Schwermuth einzufloͤßen. Von den herrlichen Ruinen der Abtey Tintern *) giebt einer der groͤßten Ken- ner, Whately, eine genaue Beſchreibung, worinn ſie nicht blos als ein Gegenſtand der Neubegierde, ſondern auch als ein vorzuͤgliches Muſter der Nachahmung erſchei- nen. Der urſpruͤngliche Bau der Kirche iſt vollkommen bezeichnet. Faſt alle Mauern ſind noch ganz; blos das Dach iſt eingefallen; die meiſten von den Saͤulen, welche die Fluͤgel von einander abſonderten, ſtehen noch; und von den umgefallenen iſt noch das Fußgeſimſe uͤbrig, ein jedes vollkommen an ſeinem gehoͤrigen Orte. In der Mitte des Schiffs ſteigen vier erhabene Schwibboͤgen, auf welchen ehemals der Thurm ruhete, hoch uͤber alles uͤbrige hinauf; und ob ſie gleich alle wegen der abge- fallenen Steine jetzt ſehr ſchmal ſind, ſo haben ſie doch noch ihre voͤllige Form. Selbſt die Figuren der Fenſter ſind nur wenig geaͤndert. Einige davon aber ſind ganz mit Gebuͤſchen von Epheu uͤberwachſen, andere nur zum Theil davon uͤberſchattet, und die, welche noch am deutlichſten in die Augen fallen, ſind mit den zarten Ranken des Gewaͤchſes und mit anderm laufenden Laubwerk eingefaßt, das an den Seiten und Ab- theilungen hinaufklettert, hier ſich rund um die Pfeiler ſchlaͤngelt, an den Mauern haͤngt, und bey dem einen Fluͤgel ſich oben ſo dichte in einander windet, und einen ſo großen Raum einnimmt, daß die untere Gegend ganz davon verfinſtert wird. Die uͤbrigen Fluͤgel und das große Schiff ſtehen unter freyem Himmel. Der Fußboden iſt ganz mit Raſen uͤberzogen; und die Sorgfalt, ihn vor Unkraut und Gebuͤſchen zu verwahren, iſt jetzt ſeine vornehmſte Erhaltung. Grabſteine von Moͤnchen und Denk- maͤler ſchon lange vergeſſener Wohlthaͤter erſcheinen uͤber dem Graſe; aus dieſem ra- gen zugleich die Fußgeſimſe der eingefallenen Pfeiler hervor; verſtuͤmmelte Bilder, von Zeit und Wetter unkennbar gemachte Statuͤen, gothiſche Capitaͤle, ausgeſchnitz- te Karnieſe und verſchiedene andere Truͤmmer ſind uͤberall herumgeſtreut, oder liegen in einem Haufen uͤbereinandergethuͤrmt beyſammen. Andere beſchaͤdigte Theile, die zwar nicht voͤllig mehr zuſammengefuͤgt ſind, und ihren Zerfall beginnen, befinden ſich noch an ihren urſpruͤnglichen Oertern; und eine ſehr verſtuͤmmelte Treppe, die auf *) Betrachtungen uͤber das heutige Gartenweſen, S. 162. P 3

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Zitationshilfe: Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 3. Leipzig, 1780, S. 117. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hirschfeld_gartenkunst3_1780/121>, abgerufen am 21.11.2024.