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Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 4. Leipzig, 1782.

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Erster Abschnitt. Vermischte Bemerkungen
Fortgang, und bildeten den entfernten Lichtpunkt, unter welchem er sich verlor, und
wo er sich nach einer oder der andern Seite des blauen Horizonts wandte.

Da Kent demnach nur die Farben der Natur brauchte und ihre schönsten Züge
hinzeichnete, so sah Britannien eine neue Schöpfung unter seinen Augen entstehen.
Der lebendigen Landschaft ward ihre Wildheit genommen, um sie zu verschönern, nicht
aber etwas ganz neues aus ihr zu schaffen. Den Formen der Bäume ließ man Frey-
heit; sie breiteten ihre Zweige ohne allen Zwang aus, und wo irgend eine hohe Eiche
oder herrliche Buche, von der Verstümmelung verschont, den Wald überlebt hatte,
da ward alles Buschwerk und Gesträuch entfernt, und dem Baum seine Ehre wieder-
gegeben, um ihrem Platz zur Zierde und zur Beschattung zu dienen. Wo das ver-
einte Laub eines alten Waldes seine wallende Decke weit umher verbreitete und ehrwür-
dig in seiner Dunkelheit da stand, da machte Kent die vordern Reihen dünne, und
ließ nur so viele abgesonderte und zerstreute Bäume stehen, als nöthig war, um die
folgende Finsterniß sanfter zu machen, und mischte unter die so verlängerten Schatten
der übrigen Stämme einige Strahlen von Licht, die den Boden fleckigt machten.

Nachfolgende Künstler fügten neue Meisterzüge zu dieser ersten Skizze, oder
brachten selbst einige der erwähnten Erfindungen zur Vollkommenheit. Die Einfüh-
rung fremder Bäume und Pflanzen, die England zunächst Archibald, Herzog von
Argile, verdankt, trug vorzüglich zum Reichthum des Colorits bey, der hier in den
neuen Scenen so weit getrieben ist. Die Mischung vom verschiedenen Grün, der
Contrast in der Form zwischen unsern wilden Bäumen, und den nordlichen und
westindischen Tannen und Fichten, sind Verbesserungen, die neuer sind, als Kent,
oder die ihm doch nur wenig bekannt waren. Die babylonische Weide, jede blühende
Staude, jeder Baum vom zärtlichen oder kühn gezeichneten Blatt, sind neue Tinten
in der Komposition brittischer Gärten. Das letzte Jahrhundert war gewiß schon
mit mancher der seltenen Pflanzen bekannt, die wir jetzt bewundern. Vermuthlich
aber haben die Linden und die Roßkastanien, die sich so gut mit der eingeführten Re-
gelmäßigkeit vertrugen und überall angepflanzt wurden, die Vernachlässigung mancher
andrer Bäume und Sträucher verursacht.

So gerecht auch die Lobsprüche sind, die Kents Entdeckungen verdienen, so
war er doch weder ohne Hülfe, noch ohne Fehler. Pope trug ohne Zweifel viel zur
Bildung seines Geschmacks bey. Die Zeichnung des Gartens für den Prinzen von
Wallis zu Carltonhouse war sichtbar von dem Popenschen zu Twickenham ent-
lehnt. Pope zeigte eine gezwungene Bescheidenheit, wenn er sagte, daß er unter
allen seinen Werken am meisten auf seinen Garten stolz sey. Und doch war es eine
sonderbare Anstrengung der Kunst und des Geschmacks, einem Platz von fünf Mor-

gen

Erſter Abſchnitt. Vermiſchte Bemerkungen
Fortgang, und bildeten den entfernten Lichtpunkt, unter welchem er ſich verlor, und
wo er ſich nach einer oder der andern Seite des blauen Horizonts wandte.

Da Kent demnach nur die Farben der Natur brauchte und ihre ſchoͤnſten Zuͤge
hinzeichnete, ſo ſah Britannien eine neue Schoͤpfung unter ſeinen Augen entſtehen.
Der lebendigen Landſchaft ward ihre Wildheit genommen, um ſie zu verſchoͤnern, nicht
aber etwas ganz neues aus ihr zu ſchaffen. Den Formen der Baͤume ließ man Frey-
heit; ſie breiteten ihre Zweige ohne allen Zwang aus, und wo irgend eine hohe Eiche
oder herrliche Buche, von der Verſtuͤmmelung verſchont, den Wald uͤberlebt hatte,
da ward alles Buſchwerk und Geſtraͤuch entfernt, und dem Baum ſeine Ehre wieder-
gegeben, um ihrem Platz zur Zierde und zur Beſchattung zu dienen. Wo das ver-
einte Laub eines alten Waldes ſeine wallende Decke weit umher verbreitete und ehrwuͤr-
dig in ſeiner Dunkelheit da ſtand, da machte Kent die vordern Reihen duͤnne, und
ließ nur ſo viele abgeſonderte und zerſtreute Baͤume ſtehen, als noͤthig war, um die
folgende Finſterniß ſanfter zu machen, und miſchte unter die ſo verlaͤngerten Schatten
der uͤbrigen Staͤmme einige Strahlen von Licht, die den Boden fleckigt machten.

Nachfolgende Kuͤnſtler fuͤgten neue Meiſterzuͤge zu dieſer erſten Skizze, oder
brachten ſelbſt einige der erwaͤhnten Erfindungen zur Vollkommenheit. Die Einfuͤh-
rung fremder Baͤume und Pflanzen, die England zunaͤchſt Archibald, Herzog von
Argile, verdankt, trug vorzuͤglich zum Reichthum des Colorits bey, der hier in den
neuen Scenen ſo weit getrieben iſt. Die Miſchung vom verſchiedenen Gruͤn, der
Contraſt in der Form zwiſchen unſern wilden Baͤumen, und den nordlichen und
weſtindiſchen Tannen und Fichten, ſind Verbeſſerungen, die neuer ſind, als Kent,
oder die ihm doch nur wenig bekannt waren. Die babyloniſche Weide, jede bluͤhende
Staude, jeder Baum vom zaͤrtlichen oder kuͤhn gezeichneten Blatt, ſind neue Tinten
in der Kompoſition brittiſcher Gaͤrten. Das letzte Jahrhundert war gewiß ſchon
mit mancher der ſeltenen Pflanzen bekannt, die wir jetzt bewundern. Vermuthlich
aber haben die Linden und die Roßkaſtanien, die ſich ſo gut mit der eingefuͤhrten Re-
gelmaͤßigkeit vertrugen und uͤberall angepflanzt wurden, die Vernachlaͤſſigung mancher
andrer Baͤume und Straͤucher verurſacht.

So gerecht auch die Lobſpruͤche ſind, die Kents Entdeckungen verdienen, ſo
war er doch weder ohne Huͤlfe, noch ohne Fehler. Pope trug ohne Zweifel viel zur
Bildung ſeines Geſchmacks bey. Die Zeichnung des Gartens fuͤr den Prinzen von
Wallis zu Carltonhouſe war ſichtbar von dem Popenſchen zu Twickenham ent-
lehnt. Pope zeigte eine gezwungene Beſcheidenheit, wenn er ſagte, daß er unter
allen ſeinen Werken am meiſten auf ſeinen Garten ſtolz ſey. Und doch war es eine
ſonderbare Anſtrengung der Kunſt und des Geſchmacks, einem Platz von fuͤnf Mor-

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[6/0010] Erſter Abſchnitt. Vermiſchte Bemerkungen Fortgang, und bildeten den entfernten Lichtpunkt, unter welchem er ſich verlor, und wo er ſich nach einer oder der andern Seite des blauen Horizonts wandte. Da Kent demnach nur die Farben der Natur brauchte und ihre ſchoͤnſten Zuͤge hinzeichnete, ſo ſah Britannien eine neue Schoͤpfung unter ſeinen Augen entſtehen. Der lebendigen Landſchaft ward ihre Wildheit genommen, um ſie zu verſchoͤnern, nicht aber etwas ganz neues aus ihr zu ſchaffen. Den Formen der Baͤume ließ man Frey- heit; ſie breiteten ihre Zweige ohne allen Zwang aus, und wo irgend eine hohe Eiche oder herrliche Buche, von der Verſtuͤmmelung verſchont, den Wald uͤberlebt hatte, da ward alles Buſchwerk und Geſtraͤuch entfernt, und dem Baum ſeine Ehre wieder- gegeben, um ihrem Platz zur Zierde und zur Beſchattung zu dienen. Wo das ver- einte Laub eines alten Waldes ſeine wallende Decke weit umher verbreitete und ehrwuͤr- dig in ſeiner Dunkelheit da ſtand, da machte Kent die vordern Reihen duͤnne, und ließ nur ſo viele abgeſonderte und zerſtreute Baͤume ſtehen, als noͤthig war, um die folgende Finſterniß ſanfter zu machen, und miſchte unter die ſo verlaͤngerten Schatten der uͤbrigen Staͤmme einige Strahlen von Licht, die den Boden fleckigt machten. Nachfolgende Kuͤnſtler fuͤgten neue Meiſterzuͤge zu dieſer erſten Skizze, oder brachten ſelbſt einige der erwaͤhnten Erfindungen zur Vollkommenheit. Die Einfuͤh- rung fremder Baͤume und Pflanzen, die England zunaͤchſt Archibald, Herzog von Argile, verdankt, trug vorzuͤglich zum Reichthum des Colorits bey, der hier in den neuen Scenen ſo weit getrieben iſt. Die Miſchung vom verſchiedenen Gruͤn, der Contraſt in der Form zwiſchen unſern wilden Baͤumen, und den nordlichen und weſtindiſchen Tannen und Fichten, ſind Verbeſſerungen, die neuer ſind, als Kent, oder die ihm doch nur wenig bekannt waren. Die babyloniſche Weide, jede bluͤhende Staude, jeder Baum vom zaͤrtlichen oder kuͤhn gezeichneten Blatt, ſind neue Tinten in der Kompoſition brittiſcher Gaͤrten. Das letzte Jahrhundert war gewiß ſchon mit mancher der ſeltenen Pflanzen bekannt, die wir jetzt bewundern. Vermuthlich aber haben die Linden und die Roßkaſtanien, die ſich ſo gut mit der eingefuͤhrten Re- gelmaͤßigkeit vertrugen und uͤberall angepflanzt wurden, die Vernachlaͤſſigung mancher andrer Baͤume und Straͤucher verurſacht. So gerecht auch die Lobſpruͤche ſind, die Kents Entdeckungen verdienen, ſo war er doch weder ohne Huͤlfe, noch ohne Fehler. Pope trug ohne Zweifel viel zur Bildung ſeines Geſchmacks bey. Die Zeichnung des Gartens fuͤr den Prinzen von Wallis zu Carltonhouſe war ſichtbar von dem Popenſchen zu Twickenham ent- lehnt. Pope zeigte eine gezwungene Beſcheidenheit, wenn er ſagte, daß er unter allen ſeinen Werken am meiſten auf ſeinen Garten ſtolz ſey. Und doch war es eine ſonderbare Anſtrengung der Kunſt und des Geſchmacks, einem Platz von fuͤnf Mor- gen

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Zitationshilfe: Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 4. Leipzig, 1782, S. 6. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hirschfeld_gartenkunst4_1782/10>, abgerufen am 23.11.2024.