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Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 4. Leipzig, 1782.

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nach dem Charakter der Gegenden.
Schauplatz eröffnet, in welchem kein einziger Umstand dem vornehmsten Charakter
Abbruch thut. In einer von Felsen und Wald gebildeten Oeffnung, wo man außer
diesen Gegenständen nichts als Wasser sieht, kommt der Fluß aus Trümmern von
Felsen hervor, und wälzt sich durch den Riß; Klippen schweben über ihm, als ob sie
in den Kanal sich stürzen und das ungestüme Wasser aufhalten wollten. Das Laub
ist so dick, daß man den Himmel nicht sehen kann; ein düstrer Schrecken verbreitet
sich über das Ganze.

4.

Wir haben in Deutschland ein heroisches Werk der Architectur, das hier noch
eine Erwähnung verdient, nämlich auf dem Carlsberg bey Cassel. Man sieht ein
großes Amphitheater von rauhen, meist mit Waldungen überdeckten Bergen, auf de-
ren einem das Werk aufgeführt ist. Ein wilder Wald zieht sich weit umher. Man
steigt fünfhundert Stufen hinauf, um an den Fuß des obern großen Gebäudes zu kom-
men. Von hier stürzt eine künstliche Cascade, die aus den wasserreichen Quellen der
umliegenden Berge bis zum Ueberfluß genährt wird, stufenweise herab; an beyden
Seiten führen breite Treppen hinauf. Das Gebäude selbst, dem dieser Wasserfall
mit seinen Springwassern, die jedoch gegen die kühne Größe des ganzen Hauptwerks
zu spielend sind, zur Verzierung dient, fordert weit mehr Aufmerksamkeit. Es stellt
eine bewundernswürdige Masse, sowohl nach seiner Größe als Höhe, vor. Denn
wenn man am Fuß des obern achteckigten Gebäudes ankommt, so hat man noch über
dreyhundert Stufen zu steigen, um auf die Spitze zu gelangen. Das Werk ist rings
umher mit dreyfach über einander stehenden Gewölbern umgeben, ist in der Mitte
ganz leer, und hat den Himmel zum Dach. Auf der vordersten Seite dieses Acht-
ecks ist eine hohe Pyramide errichtet, auf deren Spitze die metallene kolossalische Sta-
tüe des Herkules, ein und dreyßig Schuh hoch, steht; man steigt durch die Pyra-
mide selbst in die Statüe hinein. Das ganze Gebäude, das mit allen seinen Neben-
werken aus sehr großen und rohen Tufsteinen ausgeführt ist, stellt sich dem Auge als
eine ungeheure Masse natürlich ausgehauener Felsen dar. Der Eintritt erfüllt die
Seele mit einem ehrerbietigen Erstaunen. Sie empfindet ganz den Eindruck der
feyerlichen Stille, die zwischen den ungeheuern, aufgethürmten Felsmassen und unter
den hohen Gewölben herrscht, wohin das mühsam eindringende Licht der Sonne nur
einen zwischen Tag und Dämmerung schwebenden Schein verbreitet. An der hintern
Seite des Gebäudes führen zwey bequeme Treppen in das zweyte, dem untern sehr
ähnliche, Gewölbe; eben so ersteigt man auch das dritte, das sich von den beyden

untern
Q 3

nach dem Charakter der Gegenden.
Schauplatz eroͤffnet, in welchem kein einziger Umſtand dem vornehmſten Charakter
Abbruch thut. In einer von Felſen und Wald gebildeten Oeffnung, wo man außer
dieſen Gegenſtaͤnden nichts als Waſſer ſieht, kommt der Fluß aus Truͤmmern von
Felſen hervor, und waͤlzt ſich durch den Riß; Klippen ſchweben uͤber ihm, als ob ſie
in den Kanal ſich ſtuͤrzen und das ungeſtuͤme Waſſer aufhalten wollten. Das Laub
iſt ſo dick, daß man den Himmel nicht ſehen kann; ein duͤſtrer Schrecken verbreitet
ſich uͤber das Ganze.

4.

Wir haben in Deutſchland ein heroiſches Werk der Architectur, das hier noch
eine Erwaͤhnung verdient, naͤmlich auf dem Carlsberg bey Caſſel. Man ſieht ein
großes Amphitheater von rauhen, meiſt mit Waldungen uͤberdeckten Bergen, auf de-
ren einem das Werk aufgefuͤhrt iſt. Ein wilder Wald zieht ſich weit umher. Man
ſteigt fuͤnfhundert Stufen hinauf, um an den Fuß des obern großen Gebaͤudes zu kom-
men. Von hier ſtuͤrzt eine kuͤnſtliche Caſcade, die aus den waſſerreichen Quellen der
umliegenden Berge bis zum Ueberfluß genaͤhrt wird, ſtufenweiſe herab; an beyden
Seiten fuͤhren breite Treppen hinauf. Das Gebaͤude ſelbſt, dem dieſer Waſſerfall
mit ſeinen Springwaſſern, die jedoch gegen die kuͤhne Groͤße des ganzen Hauptwerks
zu ſpielend ſind, zur Verzierung dient, fordert weit mehr Aufmerkſamkeit. Es ſtellt
eine bewundernswuͤrdige Maſſe, ſowohl nach ſeiner Groͤße als Hoͤhe, vor. Denn
wenn man am Fuß des obern achteckigten Gebaͤudes ankommt, ſo hat man noch uͤber
dreyhundert Stufen zu ſteigen, um auf die Spitze zu gelangen. Das Werk iſt rings
umher mit dreyfach uͤber einander ſtehenden Gewoͤlbern umgeben, iſt in der Mitte
ganz leer, und hat den Himmel zum Dach. Auf der vorderſten Seite dieſes Acht-
ecks iſt eine hohe Pyramide errichtet, auf deren Spitze die metallene koloſſaliſche Sta-
tuͤe des Herkules, ein und dreyßig Schuh hoch, ſteht; man ſteigt durch die Pyra-
mide ſelbſt in die Statuͤe hinein. Das ganze Gebaͤude, das mit allen ſeinen Neben-
werken aus ſehr großen und rohen Tufſteinen ausgefuͤhrt iſt, ſtellt ſich dem Auge als
eine ungeheure Maſſe natuͤrlich ausgehauener Felſen dar. Der Eintritt erfuͤllt die
Seele mit einem ehrerbietigen Erſtaunen. Sie empfindet ganz den Eindruck der
feyerlichen Stille, die zwiſchen den ungeheuern, aufgethuͤrmten Felsmaſſen und unter
den hohen Gewoͤlben herrſcht, wohin das muͤhſam eindringende Licht der Sonne nur
einen zwiſchen Tag und Daͤmmerung ſchwebenden Schein verbreitet. An der hintern
Seite des Gebaͤudes fuͤhren zwey bequeme Treppen in das zweyte, dem untern ſehr
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[125/0129] nach dem Charakter der Gegenden. Schauplatz eroͤffnet, in welchem kein einziger Umſtand dem vornehmſten Charakter Abbruch thut. In einer von Felſen und Wald gebildeten Oeffnung, wo man außer dieſen Gegenſtaͤnden nichts als Waſſer ſieht, kommt der Fluß aus Truͤmmern von Felſen hervor, und waͤlzt ſich durch den Riß; Klippen ſchweben uͤber ihm, als ob ſie in den Kanal ſich ſtuͤrzen und das ungeſtuͤme Waſſer aufhalten wollten. Das Laub iſt ſo dick, daß man den Himmel nicht ſehen kann; ein duͤſtrer Schrecken verbreitet ſich uͤber das Ganze. 4. Wir haben in Deutſchland ein heroiſches Werk der Architectur, das hier noch eine Erwaͤhnung verdient, naͤmlich auf dem Carlsberg bey Caſſel. Man ſieht ein großes Amphitheater von rauhen, meiſt mit Waldungen uͤberdeckten Bergen, auf de- ren einem das Werk aufgefuͤhrt iſt. Ein wilder Wald zieht ſich weit umher. Man ſteigt fuͤnfhundert Stufen hinauf, um an den Fuß des obern großen Gebaͤudes zu kom- men. Von hier ſtuͤrzt eine kuͤnſtliche Caſcade, die aus den waſſerreichen Quellen der umliegenden Berge bis zum Ueberfluß genaͤhrt wird, ſtufenweiſe herab; an beyden Seiten fuͤhren breite Treppen hinauf. Das Gebaͤude ſelbſt, dem dieſer Waſſerfall mit ſeinen Springwaſſern, die jedoch gegen die kuͤhne Groͤße des ganzen Hauptwerks zu ſpielend ſind, zur Verzierung dient, fordert weit mehr Aufmerkſamkeit. Es ſtellt eine bewundernswuͤrdige Maſſe, ſowohl nach ſeiner Groͤße als Hoͤhe, vor. Denn wenn man am Fuß des obern achteckigten Gebaͤudes ankommt, ſo hat man noch uͤber dreyhundert Stufen zu ſteigen, um auf die Spitze zu gelangen. Das Werk iſt rings umher mit dreyfach uͤber einander ſtehenden Gewoͤlbern umgeben, iſt in der Mitte ganz leer, und hat den Himmel zum Dach. Auf der vorderſten Seite dieſes Acht- ecks iſt eine hohe Pyramide errichtet, auf deren Spitze die metallene koloſſaliſche Sta- tuͤe des Herkules, ein und dreyßig Schuh hoch, ſteht; man ſteigt durch die Pyra- mide ſelbſt in die Statuͤe hinein. Das ganze Gebaͤude, das mit allen ſeinen Neben- werken aus ſehr großen und rohen Tufſteinen ausgefuͤhrt iſt, ſtellt ſich dem Auge als eine ungeheure Maſſe natuͤrlich ausgehauener Felſen dar. Der Eintritt erfuͤllt die Seele mit einem ehrerbietigen Erſtaunen. Sie empfindet ganz den Eindruck der feyerlichen Stille, die zwiſchen den ungeheuern, aufgethuͤrmten Felsmaſſen und unter den hohen Gewoͤlben herrſcht, wohin das muͤhſam eindringende Licht der Sonne nur einen zwiſchen Tag und Daͤmmerung ſchwebenden Schein verbreitet. An der hintern Seite des Gebaͤudes fuͤhren zwey bequeme Treppen in das zweyte, dem untern ſehr aͤhnliche, Gewoͤlbe; eben ſo erſteigt man auch das dritte, das ſich von den beyden untern Q 3

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Zitationshilfe: Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 4. Leipzig, 1782, S. 125. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hirschfeld_gartenkunst4_1782/129>, abgerufen am 29.11.2024.