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Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 4. Leipzig, 1782.

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Erster Abschnitt. Vermischte Bemerkungen
nach seinem Charakter und zu seiner glücklichsten Wirkung zukommt, daß eine solche
Kunst von Leuten gefordert wird, welche die meiste Zeit ohne Bildung und Unterricht
sind, und nur säen und beschneiden gelernt haben. Was selbst für Weltmänner und
Philosophen ein Werk des Verstandes und einer feinen Empfindung ist, was so viel
Mühe kostet, um nur durch den Nebel der Vorurtheile zu dem ersten Lichte reiner
Grundsätze durchzudringen, das soll ein gemeiner Gartenknecht bewerkstelligen? Was
wird er, um sich aus diesem Geschäfft herauszufinden, anders thun können, als nach-
ahmen? Ist ein solcher Gärtner auswärts gewesen, so ist er zuweilen noch mehr ver-
dorben. Er hat nur gesehen, und nicht beobachtet; gelernt, und nicht gedacht. Er
wird jeden seltsamen Einfall sorgfältig mit herüber bringen, und jeden Auswuchs des
ausländischen Geschmacks zu uns verpflanzen.

Wo sich auch einmal ein geschickter Künstler einfindet, da trifft er nicht selten in
dem besondern Geschmack, in den Vorurtheilen und in dem Eigensinn des Besitzers
Schwierigkeiten an, die seine besten Entwürfe schon im Aufkeimen unterdrücken. Ein
großer Theil glaubt, mit dem Besitz auch ein Vorrecht zu haben, Kenner zu seyn;
fast Jeder liebt seinen Garten, wie seine Einfälle, und verachtet die Anlagen eines
Andern um so mehr, je lauter der Ruf von ihren Vorzügen wird.

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4. Bey

Erſter Abſchnitt. Vermiſchte Bemerkungen
nach ſeinem Charakter und zu ſeiner gluͤcklichſten Wirkung zukommt, daß eine ſolche
Kunſt von Leuten gefordert wird, welche die meiſte Zeit ohne Bildung und Unterricht
ſind, und nur ſaͤen und beſchneiden gelernt haben. Was ſelbſt fuͤr Weltmaͤnner und
Philoſophen ein Werk des Verſtandes und einer feinen Empfindung iſt, was ſo viel
Muͤhe koſtet, um nur durch den Nebel der Vorurtheile zu dem erſten Lichte reiner
Grundſaͤtze durchzudringen, das ſoll ein gemeiner Gartenknecht bewerkſtelligen? Was
wird er, um ſich aus dieſem Geſchaͤfft herauszufinden, anders thun koͤnnen, als nach-
ahmen? Iſt ein ſolcher Gaͤrtner auswaͤrts geweſen, ſo iſt er zuweilen noch mehr ver-
dorben. Er hat nur geſehen, und nicht beobachtet; gelernt, und nicht gedacht. Er
wird jeden ſeltſamen Einfall ſorgfaͤltig mit heruͤber bringen, und jeden Auswuchs des
auslaͤndiſchen Geſchmacks zu uns verpflanzen.

Wo ſich auch einmal ein geſchickter Kuͤnſtler einfindet, da trifft er nicht ſelten in
dem beſondern Geſchmack, in den Vorurtheilen und in dem Eigenſinn des Beſitzers
Schwierigkeiten an, die ſeine beſten Entwuͤrfe ſchon im Aufkeimen unterdruͤcken. Ein
großer Theil glaubt, mit dem Beſitz auch ein Vorrecht zu haben, Kenner zu ſeyn;
faſt Jeder liebt ſeinen Garten, wie ſeine Einfaͤlle, und verachtet die Anlagen eines
Andern um ſo mehr, je lauter der Ruf von ihren Vorzuͤgen wird.

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4. Bey
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[16/0020] Erſter Abſchnitt. Vermiſchte Bemerkungen nach ſeinem Charakter und zu ſeiner gluͤcklichſten Wirkung zukommt, daß eine ſolche Kunſt von Leuten gefordert wird, welche die meiſte Zeit ohne Bildung und Unterricht ſind, und nur ſaͤen und beſchneiden gelernt haben. Was ſelbſt fuͤr Weltmaͤnner und Philoſophen ein Werk des Verſtandes und einer feinen Empfindung iſt, was ſo viel Muͤhe koſtet, um nur durch den Nebel der Vorurtheile zu dem erſten Lichte reiner Grundſaͤtze durchzudringen, das ſoll ein gemeiner Gartenknecht bewerkſtelligen? Was wird er, um ſich aus dieſem Geſchaͤfft herauszufinden, anders thun koͤnnen, als nach- ahmen? Iſt ein ſolcher Gaͤrtner auswaͤrts geweſen, ſo iſt er zuweilen noch mehr ver- dorben. Er hat nur geſehen, und nicht beobachtet; gelernt, und nicht gedacht. Er wird jeden ſeltſamen Einfall ſorgfaͤltig mit heruͤber bringen, und jeden Auswuchs des auslaͤndiſchen Geſchmacks zu uns verpflanzen. Wo ſich auch einmal ein geſchickter Kuͤnſtler einfindet, da trifft er nicht ſelten in dem beſondern Geſchmack, in den Vorurtheilen und in dem Eigenſinn des Beſitzers Schwierigkeiten an, die ſeine beſten Entwuͤrfe ſchon im Aufkeimen unterdruͤcken. Ein großer Theil glaubt, mit dem Beſitz auch ein Vorrecht zu haben, Kenner zu ſeyn; faſt Jeder liebt ſeinen Garten, wie ſeine Einfaͤlle, und verachtet die Anlagen eines Andern um ſo mehr, je lauter der Ruf von ihren Vorzuͤgen wird. [Abbildung] 4. Bey

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Zitationshilfe: Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 4. Leipzig, 1782, S. 16. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hirschfeld_gartenkunst4_1782/20>, abgerufen am 28.04.2024.