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Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 4. Leipzig, 1782.

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Anhang. Beschreibungen
heiter. Zwischen den freyen Stämmen, die aus ihren Gipfeln eine reiche Beschattung
herabstreuen, streicht das Auge über die Schley zu fernen Fluren und Wäldern hin.
Das Zimmer und die Kabinette könnten nicht anständiger verziert seyn, als mit den
schönen landschaftlichen Gemälden und Kupferstichen, die von den größten Meistern
verfertigt, und so wohl für die Bestimmung dieses Aufenthalts ausgewählt sind. Man
sieht hier einen Theil der zweyhundert Landschaften von Claude Lorraine in Mezo-
Tinto, die Boydell in England vor einigen Jahren herausgab. Wie sanft und
schön und immer abwechselnd erscheint die Natur in diesen Nachbildungen ihres Lieb-
lings, dessen Auge sie alle ihre Reize ohne Hülle entdeckte! -- Nicht fern von diesem
Gebäude gelangt man zu einem mit einer Kuppel, in Form eines Tempels, bedeckten
Sitze. Er liegt mitten im Hayn, zwischen einem Zirkel von fünf großen Bäumen,
die, unten von Aesten frey, eine prächtige Krone haben, und ein feyerliches Obdach
über ihn bilden. Man lieset an der Kuppel die Inschrift:
Mens bona, si qua Dea es, tua me in Sacraria dono.
Es war die Idee, hier einen Tempel der Vernunft zu widmen. Die Idee selbst ist
nicht unrichtig; denn nur dann genießen wir als Geister die Schönheiten der Schö-
pfung, wenn es die Vernunft übernimmt, uns durch sie zu leiten. Allein dieses
Werk hat, gegen den Platz, das ist, gegen die Höhe und die Stärke der überschatten-
den Bäume betrachtet, nicht Größe genug. Sollte die Vernunft einmal in einem
Park einen ihr geweiheten Tempel finden, (noch weiß ich nicht, ob sie ihn schon irgend-
wo fand,) so wäre der Charakter seiner Architectur richtig zu entwerfen. Er würde
von Marmor oder Stein aufgeführt; Festigkeit und Stärke zeigten sich in seinem Bau;
von außen ein ganz einfaches, bescheidenes und etwas älterndes Ansehen; keine Pracht,
noch weniger üppige Verzierungen; nichts als vollkommene Richtigkeit aller Verhält-
nisse und stille Größe in der Anordnung aller seiner Theile; keine andere Säulenord-
nung, als die Einfalt der dorischen. -- Die Gänge dieses Hayns schlängeln sich um-
her, und führen hie und da zu Ruhesitzen. Hier sind keine breiten Oeffnungen zu
Aussichten durchgehauen. In einem Hayn oder Wald von diesem Charakter sind
Durchsichten, unter den Zweigen der Bäume hin, weit anmuthiger, indem sie die
Gegenstände, die von außen den Blick reizen, theilweise in immer abwechselnden und
malerischen Gesichtspunkten sehen lassen. Und diese Gesichtspunkte ändern mit jeder
Jahreszeit ab, indem durch das Ausschlagen, den Wachsthum, das Verwelken und
Abfallen des Laubes, besonders durch die lichtvolle Heiterkeit der Blätter im Frühling
und durch die herbstlichen Farbenmischungen, immer neue Nüancen in den Vorgrün-
den der landschaftlichen Gemälde entstehen.

In

Anhang. Beſchreibungen
heiter. Zwiſchen den freyen Staͤmmen, die aus ihren Gipfeln eine reiche Beſchattung
herabſtreuen, ſtreicht das Auge uͤber die Schley zu fernen Fluren und Waͤldern hin.
Das Zimmer und die Kabinette koͤnnten nicht anſtaͤndiger verziert ſeyn, als mit den
ſchoͤnen landſchaftlichen Gemaͤlden und Kupferſtichen, die von den groͤßten Meiſtern
verfertigt, und ſo wohl fuͤr die Beſtimmung dieſes Aufenthalts ausgewaͤhlt ſind. Man
ſieht hier einen Theil der zweyhundert Landſchaften von Claude Lorraine in Mezo-
Tinto, die Boydell in England vor einigen Jahren herausgab. Wie ſanft und
ſchoͤn und immer abwechſelnd erſcheint die Natur in dieſen Nachbildungen ihres Lieb-
lings, deſſen Auge ſie alle ihre Reize ohne Huͤlle entdeckte! — Nicht fern von dieſem
Gebaͤude gelangt man zu einem mit einer Kuppel, in Form eines Tempels, bedeckten
Sitze. Er liegt mitten im Hayn, zwiſchen einem Zirkel von fuͤnf großen Baͤumen,
die, unten von Aeſten frey, eine praͤchtige Krone haben, und ein feyerliches Obdach
uͤber ihn bilden. Man lieſet an der Kuppel die Inſchrift:
Mens bona, ſi qua Dea es, tua me in Sacraria dono.
Es war die Idee, hier einen Tempel der Vernunft zu widmen. Die Idee ſelbſt iſt
nicht unrichtig; denn nur dann genießen wir als Geiſter die Schoͤnheiten der Schoͤ-
pfung, wenn es die Vernunft uͤbernimmt, uns durch ſie zu leiten. Allein dieſes
Werk hat, gegen den Platz, das iſt, gegen die Hoͤhe und die Staͤrke der uͤberſchatten-
den Baͤume betrachtet, nicht Groͤße genug. Sollte die Vernunft einmal in einem
Park einen ihr geweiheten Tempel finden, (noch weiß ich nicht, ob ſie ihn ſchon irgend-
wo fand,) ſo waͤre der Charakter ſeiner Architectur richtig zu entwerfen. Er wuͤrde
von Marmor oder Stein aufgefuͤhrt; Feſtigkeit und Staͤrke zeigten ſich in ſeinem Bau;
von außen ein ganz einfaches, beſcheidenes und etwas aͤlterndes Anſehen; keine Pracht,
noch weniger uͤppige Verzierungen; nichts als vollkommene Richtigkeit aller Verhaͤlt-
niſſe und ſtille Groͤße in der Anordnung aller ſeiner Theile; keine andere Saͤulenord-
nung, als die Einfalt der doriſchen. — Die Gaͤnge dieſes Hayns ſchlaͤngeln ſich um-
her, und fuͤhren hie und da zu Ruheſitzen. Hier ſind keine breiten Oeffnungen zu
Ausſichten durchgehauen. In einem Hayn oder Wald von dieſem Charakter ſind
Durchſichten, unter den Zweigen der Baͤume hin, weit anmuthiger, indem ſie die
Gegenſtaͤnde, die von außen den Blick reizen, theilweiſe in immer abwechſelnden und
maleriſchen Geſichtspunkten ſehen laſſen. Und dieſe Geſichtspunkte aͤndern mit jeder
Jahreszeit ab, indem durch das Ausſchlagen, den Wachsthum, das Verwelken und
Abfallen des Laubes, beſonders durch die lichtvolle Heiterkeit der Blaͤtter im Fruͤhling
und durch die herbſtlichen Farbenmiſchungen, immer neue Nuͤancen in den Vorgruͤn-
den der landſchaftlichen Gemaͤlde entſtehen.

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[204/0208] Anhang. Beſchreibungen heiter. Zwiſchen den freyen Staͤmmen, die aus ihren Gipfeln eine reiche Beſchattung herabſtreuen, ſtreicht das Auge uͤber die Schley zu fernen Fluren und Waͤldern hin. Das Zimmer und die Kabinette koͤnnten nicht anſtaͤndiger verziert ſeyn, als mit den ſchoͤnen landſchaftlichen Gemaͤlden und Kupferſtichen, die von den groͤßten Meiſtern verfertigt, und ſo wohl fuͤr die Beſtimmung dieſes Aufenthalts ausgewaͤhlt ſind. Man ſieht hier einen Theil der zweyhundert Landſchaften von Claude Lorraine in Mezo- Tinto, die Boydell in England vor einigen Jahren herausgab. Wie ſanft und ſchoͤn und immer abwechſelnd erſcheint die Natur in dieſen Nachbildungen ihres Lieb- lings, deſſen Auge ſie alle ihre Reize ohne Huͤlle entdeckte! — Nicht fern von dieſem Gebaͤude gelangt man zu einem mit einer Kuppel, in Form eines Tempels, bedeckten Sitze. Er liegt mitten im Hayn, zwiſchen einem Zirkel von fuͤnf großen Baͤumen, die, unten von Aeſten frey, eine praͤchtige Krone haben, und ein feyerliches Obdach uͤber ihn bilden. Man lieſet an der Kuppel die Inſchrift: Mens bona, ſi qua Dea es, tua me in Sacraria dono. Es war die Idee, hier einen Tempel der Vernunft zu widmen. Die Idee ſelbſt iſt nicht unrichtig; denn nur dann genießen wir als Geiſter die Schoͤnheiten der Schoͤ- pfung, wenn es die Vernunft uͤbernimmt, uns durch ſie zu leiten. Allein dieſes Werk hat, gegen den Platz, das iſt, gegen die Hoͤhe und die Staͤrke der uͤberſchatten- den Baͤume betrachtet, nicht Groͤße genug. Sollte die Vernunft einmal in einem Park einen ihr geweiheten Tempel finden, (noch weiß ich nicht, ob ſie ihn ſchon irgend- wo fand,) ſo waͤre der Charakter ſeiner Architectur richtig zu entwerfen. Er wuͤrde von Marmor oder Stein aufgefuͤhrt; Feſtigkeit und Staͤrke zeigten ſich in ſeinem Bau; von außen ein ganz einfaches, beſcheidenes und etwas aͤlterndes Anſehen; keine Pracht, noch weniger uͤppige Verzierungen; nichts als vollkommene Richtigkeit aller Verhaͤlt- niſſe und ſtille Groͤße in der Anordnung aller ſeiner Theile; keine andere Saͤulenord- nung, als die Einfalt der doriſchen. — Die Gaͤnge dieſes Hayns ſchlaͤngeln ſich um- her, und fuͤhren hie und da zu Ruheſitzen. Hier ſind keine breiten Oeffnungen zu Ausſichten durchgehauen. In einem Hayn oder Wald von dieſem Charakter ſind Durchſichten, unter den Zweigen der Baͤume hin, weit anmuthiger, indem ſie die Gegenſtaͤnde, die von außen den Blick reizen, theilweiſe in immer abwechſelnden und maleriſchen Geſichtspunkten ſehen laſſen. Und dieſe Geſichtspunkte aͤndern mit jeder Jahreszeit ab, indem durch das Ausſchlagen, den Wachsthum, das Verwelken und Abfallen des Laubes, beſonders durch die lichtvolle Heiterkeit der Blaͤtter im Fruͤhling und durch die herbſtlichen Farbenmiſchungen, immer neue Nuͤancen in den Vorgruͤn- den der landſchaftlichen Gemaͤlde entſtehen. In

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Zitationshilfe: Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 4. Leipzig, 1782, S. 204. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hirschfeld_gartenkunst4_1782/208>, abgerufen am 21.11.2024.