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Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 4. Leipzig, 1782.

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von Gärten.
von Farben in einen sanften Dunst verlieren, verbreiten sich auf allen Seiten. Man
überschaut ganz die beyden Städte Hamburg und Altona, mit ihren Thürmen und
der stolzen Ausbreitung ihrer Gebäude; und über sie hinaus ruhet das Auge in dem
blauen Duft ferner Landschaften. Nachdem es in der unermeßlichen Ausdehnung an
hundert frohen Scenen der Fruchtbarkeit und des Ueberflusses geschwelgt hat, kehrt es
zu der nähern Betrachtung des Tempels zurück. Dieses majestätische Gebäude ist
der Sonne gewidmet. Man sieht an diesem Orte sowohl ihren Aufgang als auch
ihren Untergang, und genießt die erhabensten Schauspiele, womit der Morgen und
der Abend unsre Schöpfung entzücken. Der Tempel konnte daher keinem andern We-
sen in der sichtbaren Natur anständiger gewidmet werden. Die Aussicht vereinigt
mit der Größe Fruchtbarkeit und Leben; und diese Vorstellungen stimmen mit dem
Begriff von der alles belebenden Seele der Schöpfung so wohl überein, daß sie einan-
der so nahe angehören, wie die Wirkung der Ursache. Der Tempel ist von runder
Form, die eine entfernte Beziehung auf die ins Auge fallende Gestalt der Sonne hat,
und seine Kuppel ruhet frey auf den prächtigen Säulen der korinthischen Ordnung.
Sein Inneres besteht aus einem hohen, heitern und reich verzierten Saal. Die
Wände sind mit Früchten und Blumen, als Sinnbildern der Fruchtbarkeit und der
Freude, geziert. Oben an der Decke erblickt man eine große weiße Rundung, von
deren Rande goldene Lichtstrahlen ausgehen. Und in ihr selbst lieset man diese In-
schrift mit goldenen Buchstaben:
O! welche Pracht! Welch Auge siehet ganz
Die Herrlichkeit, die den umgeben,
Der alles, alles füllt, vor dem die Himmel beben;
Des Herren Thron verhüllt sein eigner Glanz!

Mit dieser Inschrift erhebt sich der Geist zu den höchsten Betrachtungen, zu welchen er
durch den Charakter der Aussicht und des Gebäudes nur vorbereitet ward; er schwingt
sich über diese Landschaften, selbst über diese Sonne hinaus, zu dem Schöpfer noch an-
drer Sonnen und andrer Welten empor, den erhabensten Flug, den der menschliche
Geist von hier zu wagen vermag. Ueber dem Eingange des Tempels, der sich gegen
Mittag eröffnet, erscheint im Gebälk eine kleine Himmelskugel, an welche auf jeder
Seite ein Genius den Arm lehnt. Der Genius des Morgens zur Rechten hält in
der andern Hand eine brennende Fackel in die Höhe, und der Genius des Abends zur
Linken hat seine Fackel umgekehrt. Dieses Sinnbild kündigt gleich beym Eintritt die
Bestimmung des Tempels an. Das ganze Werk hat einen weißen Anwurf, und
macht auf dem Hügel zwischen der Anpflanzung eine treffliche Wirkung, die das Auge

schon
IV Band. E e

von Gaͤrten.
von Farben in einen ſanften Dunſt verlieren, verbreiten ſich auf allen Seiten. Man
uͤberſchaut ganz die beyden Staͤdte Hamburg und Altona, mit ihren Thuͤrmen und
der ſtolzen Ausbreitung ihrer Gebaͤude; und uͤber ſie hinaus ruhet das Auge in dem
blauen Duft ferner Landſchaften. Nachdem es in der unermeßlichen Ausdehnung an
hundert frohen Scenen der Fruchtbarkeit und des Ueberfluſſes geſchwelgt hat, kehrt es
zu der naͤhern Betrachtung des Tempels zuruͤck. Dieſes majeſtaͤtiſche Gebaͤude iſt
der Sonne gewidmet. Man ſieht an dieſem Orte ſowohl ihren Aufgang als auch
ihren Untergang, und genießt die erhabenſten Schauſpiele, womit der Morgen und
der Abend unſre Schoͤpfung entzuͤcken. Der Tempel konnte daher keinem andern We-
ſen in der ſichtbaren Natur anſtaͤndiger gewidmet werden. Die Ausſicht vereinigt
mit der Groͤße Fruchtbarkeit und Leben; und dieſe Vorſtellungen ſtimmen mit dem
Begriff von der alles belebenden Seele der Schoͤpfung ſo wohl uͤberein, daß ſie einan-
der ſo nahe angehoͤren, wie die Wirkung der Urſache. Der Tempel iſt von runder
Form, die eine entfernte Beziehung auf die ins Auge fallende Geſtalt der Sonne hat,
und ſeine Kuppel ruhet frey auf den praͤchtigen Saͤulen der korinthiſchen Ordnung.
Sein Inneres beſteht aus einem hohen, heitern und reich verzierten Saal. Die
Waͤnde ſind mit Fruͤchten und Blumen, als Sinnbildern der Fruchtbarkeit und der
Freude, geziert. Oben an der Decke erblickt man eine große weiße Rundung, von
deren Rande goldene Lichtſtrahlen ausgehen. Und in ihr ſelbſt lieſet man dieſe In-
ſchrift mit goldenen Buchſtaben:
O! welche Pracht! Welch Auge ſiehet ganz
Die Herrlichkeit, die den umgeben,
Der alles, alles fuͤllt, vor dem die Himmel beben;
Des Herren Thron verhuͤllt ſein eigner Glanz!

Mit dieſer Inſchrift erhebt ſich der Geiſt zu den hoͤchſten Betrachtungen, zu welchen er
durch den Charakter der Ausſicht und des Gebaͤudes nur vorbereitet ward; er ſchwingt
ſich uͤber dieſe Landſchaften, ſelbſt uͤber dieſe Sonne hinaus, zu dem Schoͤpfer noch an-
drer Sonnen und andrer Welten empor, den erhabenſten Flug, den der menſchliche
Geiſt von hier zu wagen vermag. Ueber dem Eingange des Tempels, der ſich gegen
Mittag eroͤffnet, erſcheint im Gebaͤlk eine kleine Himmelskugel, an welche auf jeder
Seite ein Genius den Arm lehnt. Der Genius des Morgens zur Rechten haͤlt in
der andern Hand eine brennende Fackel in die Hoͤhe, und der Genius des Abends zur
Linken hat ſeine Fackel umgekehrt. Dieſes Sinnbild kuͤndigt gleich beym Eintritt die
Beſtimmung des Tempels an. Das ganze Werk hat einen weißen Anwurf, und
macht auf dem Huͤgel zwiſchen der Anpflanzung eine treffliche Wirkung, die das Auge

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IV Band. E e
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[217/0221] von Gaͤrten. von Farben in einen ſanften Dunſt verlieren, verbreiten ſich auf allen Seiten. Man uͤberſchaut ganz die beyden Staͤdte Hamburg und Altona, mit ihren Thuͤrmen und der ſtolzen Ausbreitung ihrer Gebaͤude; und uͤber ſie hinaus ruhet das Auge in dem blauen Duft ferner Landſchaften. Nachdem es in der unermeßlichen Ausdehnung an hundert frohen Scenen der Fruchtbarkeit und des Ueberfluſſes geſchwelgt hat, kehrt es zu der naͤhern Betrachtung des Tempels zuruͤck. Dieſes majeſtaͤtiſche Gebaͤude iſt der Sonne gewidmet. Man ſieht an dieſem Orte ſowohl ihren Aufgang als auch ihren Untergang, und genießt die erhabenſten Schauſpiele, womit der Morgen und der Abend unſre Schoͤpfung entzuͤcken. Der Tempel konnte daher keinem andern We- ſen in der ſichtbaren Natur anſtaͤndiger gewidmet werden. Die Ausſicht vereinigt mit der Groͤße Fruchtbarkeit und Leben; und dieſe Vorſtellungen ſtimmen mit dem Begriff von der alles belebenden Seele der Schoͤpfung ſo wohl uͤberein, daß ſie einan- der ſo nahe angehoͤren, wie die Wirkung der Urſache. Der Tempel iſt von runder Form, die eine entfernte Beziehung auf die ins Auge fallende Geſtalt der Sonne hat, und ſeine Kuppel ruhet frey auf den praͤchtigen Saͤulen der korinthiſchen Ordnung. Sein Inneres beſteht aus einem hohen, heitern und reich verzierten Saal. Die Waͤnde ſind mit Fruͤchten und Blumen, als Sinnbildern der Fruchtbarkeit und der Freude, geziert. Oben an der Decke erblickt man eine große weiße Rundung, von deren Rande goldene Lichtſtrahlen ausgehen. Und in ihr ſelbſt lieſet man dieſe In- ſchrift mit goldenen Buchſtaben: O! welche Pracht! Welch Auge ſiehet ganz Die Herrlichkeit, die den umgeben, Der alles, alles fuͤllt, vor dem die Himmel beben; Des Herren Thron verhuͤllt ſein eigner Glanz! Mit dieſer Inſchrift erhebt ſich der Geiſt zu den hoͤchſten Betrachtungen, zu welchen er durch den Charakter der Ausſicht und des Gebaͤudes nur vorbereitet ward; er ſchwingt ſich uͤber dieſe Landſchaften, ſelbſt uͤber dieſe Sonne hinaus, zu dem Schoͤpfer noch an- drer Sonnen und andrer Welten empor, den erhabenſten Flug, den der menſchliche Geiſt von hier zu wagen vermag. Ueber dem Eingange des Tempels, der ſich gegen Mittag eroͤffnet, erſcheint im Gebaͤlk eine kleine Himmelskugel, an welche auf jeder Seite ein Genius den Arm lehnt. Der Genius des Morgens zur Rechten haͤlt in der andern Hand eine brennende Fackel in die Hoͤhe, und der Genius des Abends zur Linken hat ſeine Fackel umgekehrt. Dieſes Sinnbild kuͤndigt gleich beym Eintritt die Beſtimmung des Tempels an. Das ganze Werk hat einen weißen Anwurf, und macht auf dem Huͤgel zwiſchen der Anpflanzung eine treffliche Wirkung, die das Auge ſchon IV Band. E e

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Zitationshilfe: Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 4. Leipzig, 1782, S. 217. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hirschfeld_gartenkunst4_1782/221>, abgerufen am 09.05.2024.