Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 4. Leipzig, 1782.

Bild:
<< vorherige Seite

von Gärten.
angepflanztes Ellerngebüsch stürzt. Unter diesem Geräusch wandelt man, am obern
Rande der Wiese, auf einem kurzen Pfad zu einem Wald hinüber. Man sieht bey
diesem Uebergang die Wiese mit ihrer Wendung sich vorwärts nach der Nordseite zwi-
schen der Umkränzung der Wälder hinaufziehen; zur Linken verbreitet sie sich in einer
ansehnlichen Länge gegen Westen hin, neben den Spatziergängen, die wir durchwan-
derten. Der Wald, in den wir jetzt treten, besteht aus Eichen und Buchen mit aller-
ley Untergebüsch; seine Bäume sind hoch und schattenreich; die windenden Pfade stei-
gen und senken sich; zur Linken reizen Durchsichten auf die Wiese und auf den jensei-
tigen Wald, der sie bekränzt. Beyde Wälder, die sie einfassen, stehen auf Abhän-
gen, und diese Lage macht die Aussichten mehr malerisch. Man kommt auf einen
freyen Platz, und hat zur Rechten die Anhöhe mit dem türkischen Zelt. Die Wald-
gänge winden sich weiter fort, und endlich läuft einer queer über diese Wiese nach dem
jenseitigen Walde; zwey andre aber führen noch diesseits nach der Höhe.

Sie vereinigen sich unerwartet in einem schmalen Pfad, der in ein fast ganz ver-
schlossenes Gebüsch fällt, und sich durchdrängt. Auf einmal fällt auf einem geraden
Gang, der auf der einen Seite mit Rosen und Blumen prangt, auf der andern von
Disteln starrt und mit babylonischen Weiden trauert, eine alte ehrwürdige Eiche ins
Auge. Sie ist diesseits mit einem Waldaltar von Bork und einem Auftritt zu ihm
umgeben; eine Inschrift auf einer weißen befestigten Tafel ruft das Auge und erregt
Erwartung. Man tritt näher und liest:
Einen Becher der Freuden hat in der Rechten, der Linken
Einen wütenden Dolch die Einsamkeit, reicht dem Beglückten
Ihren Becher, dem Leidenden reicht sie den wütenden Dolch hin.
*)

Reiche deinen Freudenbecher, holde Einsamkeit, jedem deiner Freunde, so oft er diese
Scene betritt. Sie ist im wahren Geschmack angelegt. Die angezeigte Bepflan-
zung des Zuganges stimmt ganz der Inschrift zu. Der Glückliche fühlt hier eine
Einsamkeit, die nichts Schauderhaftes hat, die ihn bey der Entfernung der Gesell-
schaft doch mit dem Anblick der schönen Natur und mit dem Genuß Seiner Selbst un-
terhält. Die Aussicht in die Ferne ist durch das höhere Feld gehemmt; doch ist das
nahe umliegende Revier reizend. Man steht auf der Höhe. Die Wiese, die in
dieser Gegend ihren Anfang nimmt, bildet, indem sie sich in der Niedrigung hinabwin-
det, einen heitern schmalen Strich. Im Vorgrunde steigen einige Eichen aus der
Tiefe herauf, und zwischen ihnen eröffnen sich anmuthige Durchsichten auf die hellere
Fläche der breiter sich hinziehenden Wiese hinab. Indem man an der Eiche mit dem

Altar
*) Aus der Messiade.
F f 2

von Gaͤrten.
angepflanztes Ellerngebuͤſch ſtuͤrzt. Unter dieſem Geraͤuſch wandelt man, am obern
Rande der Wieſe, auf einem kurzen Pfad zu einem Wald hinuͤber. Man ſieht bey
dieſem Uebergang die Wieſe mit ihrer Wendung ſich vorwaͤrts nach der Nordſeite zwi-
ſchen der Umkraͤnzung der Waͤlder hinaufziehen; zur Linken verbreitet ſie ſich in einer
anſehnlichen Laͤnge gegen Weſten hin, neben den Spatziergaͤngen, die wir durchwan-
derten. Der Wald, in den wir jetzt treten, beſteht aus Eichen und Buchen mit aller-
ley Untergebuͤſch; ſeine Baͤume ſind hoch und ſchattenreich; die windenden Pfade ſtei-
gen und ſenken ſich; zur Linken reizen Durchſichten auf die Wieſe und auf den jenſei-
tigen Wald, der ſie bekraͤnzt. Beyde Waͤlder, die ſie einfaſſen, ſtehen auf Abhaͤn-
gen, und dieſe Lage macht die Ausſichten mehr maleriſch. Man kommt auf einen
freyen Platz, und hat zur Rechten die Anhoͤhe mit dem tuͤrkiſchen Zelt. Die Wald-
gaͤnge winden ſich weiter fort, und endlich laͤuft einer queer uͤber dieſe Wieſe nach dem
jenſeitigen Walde; zwey andre aber fuͤhren noch dieſſeits nach der Hoͤhe.

Sie vereinigen ſich unerwartet in einem ſchmalen Pfad, der in ein faſt ganz ver-
ſchloſſenes Gebuͤſch faͤllt, und ſich durchdraͤngt. Auf einmal faͤllt auf einem geraden
Gang, der auf der einen Seite mit Roſen und Blumen prangt, auf der andern von
Diſteln ſtarrt und mit babyloniſchen Weiden trauert, eine alte ehrwuͤrdige Eiche ins
Auge. Sie iſt dieſſeits mit einem Waldaltar von Bork und einem Auftritt zu ihm
umgeben; eine Inſchrift auf einer weißen befeſtigten Tafel ruft das Auge und erregt
Erwartung. Man tritt naͤher und lieſt:
Einen Becher der Freuden hat in der Rechten, der Linken
Einen wuͤtenden Dolch die Einſamkeit, reicht dem Begluͤckten
Ihren Becher, dem Leidenden reicht ſie den wuͤtenden Dolch hin.
*)

Reiche deinen Freudenbecher, holde Einſamkeit, jedem deiner Freunde, ſo oft er dieſe
Scene betritt. Sie iſt im wahren Geſchmack angelegt. Die angezeigte Bepflan-
zung des Zuganges ſtimmt ganz der Inſchrift zu. Der Gluͤckliche fuͤhlt hier eine
Einſamkeit, die nichts Schauderhaftes hat, die ihn bey der Entfernung der Geſell-
ſchaft doch mit dem Anblick der ſchoͤnen Natur und mit dem Genuß Seiner Selbſt un-
terhaͤlt. Die Ausſicht in die Ferne iſt durch das hoͤhere Feld gehemmt; doch iſt das
nahe umliegende Revier reizend. Man ſteht auf der Hoͤhe. Die Wieſe, die in
dieſer Gegend ihren Anfang nimmt, bildet, indem ſie ſich in der Niedrigung hinabwin-
det, einen heitern ſchmalen Strich. Im Vorgrunde ſteigen einige Eichen aus der
Tiefe herauf, und zwiſchen ihnen eroͤffnen ſich anmuthige Durchſichten auf die hellere
Flaͤche der breiter ſich hinziehenden Wieſe hinab. Indem man an der Eiche mit dem

Altar
*) Aus der Meſſiade.
F f 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0231" n="227"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">von Ga&#x0364;rten.</hi></fw><lb/>
angepflanztes Ellerngebu&#x0364;&#x017F;ch &#x017F;tu&#x0364;rzt. Unter die&#x017F;em Gera&#x0364;u&#x017F;ch wandelt man, am obern<lb/>
Rande der Wie&#x017F;e, auf einem kurzen Pfad zu einem Wald hinu&#x0364;ber. Man &#x017F;ieht bey<lb/>
die&#x017F;em Uebergang die Wie&#x017F;e mit ihrer Wendung &#x017F;ich vorwa&#x0364;rts nach der Nord&#x017F;eite zwi-<lb/>
&#x017F;chen der Umkra&#x0364;nzung der Wa&#x0364;lder hinaufziehen; zur Linken verbreitet &#x017F;ie &#x017F;ich in einer<lb/>
an&#x017F;ehnlichen La&#x0364;nge gegen We&#x017F;ten hin, neben den Spatzierga&#x0364;ngen, die wir durchwan-<lb/>
derten. Der Wald, in den wir jetzt treten, be&#x017F;teht aus Eichen und Buchen mit aller-<lb/>
ley Untergebu&#x0364;&#x017F;ch; &#x017F;eine Ba&#x0364;ume &#x017F;ind hoch und &#x017F;chattenreich; die windenden Pfade &#x017F;tei-<lb/>
gen und &#x017F;enken &#x017F;ich; zur Linken reizen Durch&#x017F;ichten auf die Wie&#x017F;e und auf den jen&#x017F;ei-<lb/>
tigen Wald, der &#x017F;ie bekra&#x0364;nzt. Beyde Wa&#x0364;lder, die &#x017F;ie einfa&#x017F;&#x017F;en, &#x017F;tehen auf Abha&#x0364;n-<lb/>
gen, und die&#x017F;e Lage macht die Aus&#x017F;ichten mehr maleri&#x017F;ch. Man kommt auf einen<lb/>
freyen Platz, und hat zur Rechten die Anho&#x0364;he mit dem <hi rendition="#fr">tu&#x0364;rki&#x017F;chen</hi> Zelt. Die Wald-<lb/>
ga&#x0364;nge winden &#x017F;ich weiter fort, und endlich la&#x0364;uft einer queer u&#x0364;ber die&#x017F;e Wie&#x017F;e nach dem<lb/>
jen&#x017F;eitigen Walde; zwey andre aber fu&#x0364;hren noch die&#x017F;&#x017F;eits nach der Ho&#x0364;he.</p><lb/>
          <p>Sie vereinigen &#x017F;ich unerwartet in einem &#x017F;chmalen Pfad, der in ein fa&#x017F;t ganz ver-<lb/>
&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;enes Gebu&#x0364;&#x017F;ch fa&#x0364;llt, und &#x017F;ich durchdra&#x0364;ngt. Auf einmal fa&#x0364;llt auf einem geraden<lb/>
Gang, der auf der einen Seite mit Ro&#x017F;en und Blumen prangt, auf der andern von<lb/>
Di&#x017F;teln &#x017F;tarrt und mit babyloni&#x017F;chen Weiden trauert, eine alte ehrwu&#x0364;rdige Eiche ins<lb/>
Auge. Sie i&#x017F;t die&#x017F;&#x017F;eits mit einem Waldaltar von Bork und einem Auftritt zu ihm<lb/>
umgeben; eine In&#x017F;chrift auf einer weißen befe&#x017F;tigten Tafel ruft das Auge und erregt<lb/>
Erwartung. Man tritt na&#x0364;her und lie&#x017F;t:<lb/><quote><cit><quote><hi rendition="#et">Einen Becher der Freuden hat in der Rechten, der Linken<lb/>
Einen wu&#x0364;tenden Dolch die Ein&#x017F;amkeit, reicht dem Beglu&#x0364;ckten<lb/>
Ihren Becher, dem Leidenden reicht &#x017F;ie den wu&#x0364;tenden Dolch hin.</hi></quote><bibl><note place="foot" n="*)">Aus der Me&#x017F;&#x017F;iade.</note></bibl></cit></quote><lb/>
Reiche deinen Freudenbecher, holde Ein&#x017F;amkeit, jedem deiner Freunde, &#x017F;o oft er die&#x017F;e<lb/>
Scene betritt. Sie i&#x017F;t im wahren Ge&#x017F;chmack angelegt. Die angezeigte Bepflan-<lb/>
zung des Zuganges &#x017F;timmt ganz der In&#x017F;chrift zu. Der Glu&#x0364;ckliche fu&#x0364;hlt hier eine<lb/>
Ein&#x017F;amkeit, die nichts Schauderhaftes hat, die ihn bey der Entfernung der Ge&#x017F;ell-<lb/>
&#x017F;chaft doch mit dem Anblick der &#x017F;cho&#x0364;nen Natur und mit dem Genuß Seiner Selb&#x017F;t un-<lb/>
terha&#x0364;lt. Die Aus&#x017F;icht in die Ferne i&#x017F;t durch das ho&#x0364;here Feld gehemmt; doch i&#x017F;t das<lb/>
nahe umliegende Revier reizend. Man &#x017F;teht auf der Ho&#x0364;he. Die Wie&#x017F;e, die in<lb/>
die&#x017F;er Gegend ihren Anfang nimmt, bildet, indem &#x017F;ie &#x017F;ich in der Niedrigung hinabwin-<lb/>
det, einen heitern &#x017F;chmalen Strich. Im Vorgrunde &#x017F;teigen einige Eichen aus der<lb/>
Tiefe herauf, und zwi&#x017F;chen ihnen ero&#x0364;ffnen &#x017F;ich anmuthige Durch&#x017F;ichten auf die hellere<lb/>
Fla&#x0364;che der breiter &#x017F;ich hinziehenden Wie&#x017F;e hinab. Indem man an der Eiche mit dem<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">F f 2</fw><fw place="bottom" type="catch">Altar</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[227/0231] von Gaͤrten. angepflanztes Ellerngebuͤſch ſtuͤrzt. Unter dieſem Geraͤuſch wandelt man, am obern Rande der Wieſe, auf einem kurzen Pfad zu einem Wald hinuͤber. Man ſieht bey dieſem Uebergang die Wieſe mit ihrer Wendung ſich vorwaͤrts nach der Nordſeite zwi- ſchen der Umkraͤnzung der Waͤlder hinaufziehen; zur Linken verbreitet ſie ſich in einer anſehnlichen Laͤnge gegen Weſten hin, neben den Spatziergaͤngen, die wir durchwan- derten. Der Wald, in den wir jetzt treten, beſteht aus Eichen und Buchen mit aller- ley Untergebuͤſch; ſeine Baͤume ſind hoch und ſchattenreich; die windenden Pfade ſtei- gen und ſenken ſich; zur Linken reizen Durchſichten auf die Wieſe und auf den jenſei- tigen Wald, der ſie bekraͤnzt. Beyde Waͤlder, die ſie einfaſſen, ſtehen auf Abhaͤn- gen, und dieſe Lage macht die Ausſichten mehr maleriſch. Man kommt auf einen freyen Platz, und hat zur Rechten die Anhoͤhe mit dem tuͤrkiſchen Zelt. Die Wald- gaͤnge winden ſich weiter fort, und endlich laͤuft einer queer uͤber dieſe Wieſe nach dem jenſeitigen Walde; zwey andre aber fuͤhren noch dieſſeits nach der Hoͤhe. Sie vereinigen ſich unerwartet in einem ſchmalen Pfad, der in ein faſt ganz ver- ſchloſſenes Gebuͤſch faͤllt, und ſich durchdraͤngt. Auf einmal faͤllt auf einem geraden Gang, der auf der einen Seite mit Roſen und Blumen prangt, auf der andern von Diſteln ſtarrt und mit babyloniſchen Weiden trauert, eine alte ehrwuͤrdige Eiche ins Auge. Sie iſt dieſſeits mit einem Waldaltar von Bork und einem Auftritt zu ihm umgeben; eine Inſchrift auf einer weißen befeſtigten Tafel ruft das Auge und erregt Erwartung. Man tritt naͤher und lieſt: Einen Becher der Freuden hat in der Rechten, der Linken Einen wuͤtenden Dolch die Einſamkeit, reicht dem Begluͤckten Ihren Becher, dem Leidenden reicht ſie den wuͤtenden Dolch hin. *) Reiche deinen Freudenbecher, holde Einſamkeit, jedem deiner Freunde, ſo oft er dieſe Scene betritt. Sie iſt im wahren Geſchmack angelegt. Die angezeigte Bepflan- zung des Zuganges ſtimmt ganz der Inſchrift zu. Der Gluͤckliche fuͤhlt hier eine Einſamkeit, die nichts Schauderhaftes hat, die ihn bey der Entfernung der Geſell- ſchaft doch mit dem Anblick der ſchoͤnen Natur und mit dem Genuß Seiner Selbſt un- terhaͤlt. Die Ausſicht in die Ferne iſt durch das hoͤhere Feld gehemmt; doch iſt das nahe umliegende Revier reizend. Man ſteht auf der Hoͤhe. Die Wieſe, die in dieſer Gegend ihren Anfang nimmt, bildet, indem ſie ſich in der Niedrigung hinabwin- det, einen heitern ſchmalen Strich. Im Vorgrunde ſteigen einige Eichen aus der Tiefe herauf, und zwiſchen ihnen eroͤffnen ſich anmuthige Durchſichten auf die hellere Flaͤche der breiter ſich hinziehenden Wieſe hinab. Indem man an der Eiche mit dem Altar *) Aus der Meſſiade. F f 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hirschfeld_gartenkunst4_1782
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hirschfeld_gartenkunst4_1782/231
Zitationshilfe: Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 4. Leipzig, 1782, S. 227. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hirschfeld_gartenkunst4_1782/231>, abgerufen am 10.05.2024.