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Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 4. Leipzig, 1782.

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Dritter Abschnitt. Gärten
wo sich die schöne Ismene einst badete; das Ohngefähr führte den jungen Hylas hin-
zu; er erblickte die Geliebte, die sein Herz schon lange heimlich angebetet, durchs Ge-
büsch. Wie wird ihm beym Anblick so vieler Reize! Begierden und edles Gefühl
kämpfen in seinem Innersten gegen einander, er kann sich dem Rausche seiner Sinne
nur durch eine plötzliche Flucht entreißen, er flieht, und im Fliehen läßt er ein Papier
fallen; die schöne Ismene, erschreckt durch das Geräusch, welches sie gehört, sieht sich
auf allen Seiten um, erblickt das Papier; ihr Herz wird gerührt von so edler Gesin-
nung, von so vieler Liebe. Hylas ward geliebt, Hylas ward glücklich, und das An-
denken dieser standhaft Liebenden steht noch auf einem nahen Eichbaume eingegraben.

Hier in einer tiefliegenden abgesonderten Gegend ist ein ruhiges und klares
Wasser, welches einen kleinen See bildet. Der Mond verläßt nie den Horizont,
ohne sich lange darinn zu bespiegeln und zu bewundern. Die Ufer sind mit Pappel-
bäumen bepflanzt; unter dem Schutze ihrer friedlichen Schatten erblickt man in der
Ferne ein kleines philosophisches Monument. Es ist dem Andenken eines Mannes
geheiliget, dessen Genie die Welt erleuchtete; er wurde in derselben verfolgt, weil er
sich durch seine Unabhängigkeit über die eitle Größe hinwegsetzen wollte. Stille und
Ruhe herrscht auf diesem kleinen Plätzchen, und diese Art von Elysium scheint für das
ruhige Glück und für den wahren Genuß der Seele gemacht zu seyn.

Dort sieht man einen Wald von alten Eichen, unter welchen man in der tief-
sten Dunkelheit des Gehölzes einen Tempel erblickt, welcher dem Nachdenken eine
stille Freystätte darbietet. Dort wird der Dichter nicht in seinem göttlichen Enthu-
siasmus gestört; dort findet er jene erhabenen Gedanken, die er in seinen Gedichten
ausdrücken soll.

Queer durch einen Cedernwald führt eine unmerkliche Anhöhe bis auf den Gi-
pfel eines hohen Berges, an dessen Fuße ein Fluß sich durch fruchtbare Wiesen hin-
wegschleicht: hier schwebt das Auge auf einem weiten Horizonte, der in der Ferne
durch ein Amphitheater von Gebirgen eingefaßt ist. Schon verbreitet die Sonne
mit Majestät ihren Strahlenglanz umher. Der Vorhang der neblichen Dünste rollt
sich auf bey ihrer Erscheinung; lange Schatten werfen die vergoldeten Bäume, Häu-
ser und Hügel auf den Teppich von Grün hin, der noch von den Perlen des Morgen-
thaues glänzt; tausend und tausend zufällige Lichter bereichern dieses herrliche Gemäl-
de, wo der Philosoph, nachdem er alle seine Systeme vergebens erschöpft hat, ge-
zwungen ist, ein Wesen der Wesen, und einen Geber aller Dinge zu erkennen.

Aber bald ruft uns die Anmuth der Schatten und das liebenswürdige Grün der
Wiesen in das Thal, um unsere Augen von diesem blendenden Schauspiele ausruhen
zu lassen; am Fuße des Berges ist ein Gehölz, wo Hopfen und Geißblatt sich um

Bäume

Dritter Abſchnitt. Gaͤrten
wo ſich die ſchoͤne Iſmene einſt badete; das Ohngefaͤhr fuͤhrte den jungen Hylas hin-
zu; er erblickte die Geliebte, die ſein Herz ſchon lange heimlich angebetet, durchs Ge-
buͤſch. Wie wird ihm beym Anblick ſo vieler Reize! Begierden und edles Gefuͤhl
kaͤmpfen in ſeinem Innerſten gegen einander, er kann ſich dem Rauſche ſeiner Sinne
nur durch eine ploͤtzliche Flucht entreißen, er flieht, und im Fliehen laͤßt er ein Papier
fallen; die ſchoͤne Iſmene, erſchreckt durch das Geraͤuſch, welches ſie gehoͤrt, ſieht ſich
auf allen Seiten um, erblickt das Papier; ihr Herz wird geruͤhrt von ſo edler Geſin-
nung, von ſo vieler Liebe. Hylas ward geliebt, Hylas ward gluͤcklich, und das An-
denken dieſer ſtandhaft Liebenden ſteht noch auf einem nahen Eichbaume eingegraben.

Hier in einer tiefliegenden abgeſonderten Gegend iſt ein ruhiges und klares
Waſſer, welches einen kleinen See bildet. Der Mond verlaͤßt nie den Horizont,
ohne ſich lange darinn zu beſpiegeln und zu bewundern. Die Ufer ſind mit Pappel-
baͤumen bepflanzt; unter dem Schutze ihrer friedlichen Schatten erblickt man in der
Ferne ein kleines philoſophiſches Monument. Es iſt dem Andenken eines Mannes
geheiliget, deſſen Genie die Welt erleuchtete; er wurde in derſelben verfolgt, weil er
ſich durch ſeine Unabhaͤngigkeit uͤber die eitle Groͤße hinwegſetzen wollte. Stille und
Ruhe herrſcht auf dieſem kleinen Plaͤtzchen, und dieſe Art von Elyſium ſcheint fuͤr das
ruhige Gluͤck und fuͤr den wahren Genuß der Seele gemacht zu ſeyn.

Dort ſieht man einen Wald von alten Eichen, unter welchen man in der tief-
ſten Dunkelheit des Gehoͤlzes einen Tempel erblickt, welcher dem Nachdenken eine
ſtille Freyſtaͤtte darbietet. Dort wird der Dichter nicht in ſeinem goͤttlichen Enthu-
ſiasmus geſtoͤrt; dort findet er jene erhabenen Gedanken, die er in ſeinen Gedichten
ausdruͤcken ſoll.

Queer durch einen Cedernwald fuͤhrt eine unmerkliche Anhoͤhe bis auf den Gi-
pfel eines hohen Berges, an deſſen Fuße ein Fluß ſich durch fruchtbare Wieſen hin-
wegſchleicht: hier ſchwebt das Auge auf einem weiten Horizonte, der in der Ferne
durch ein Amphitheater von Gebirgen eingefaßt iſt. Schon verbreitet die Sonne
mit Majeſtaͤt ihren Strahlenglanz umher. Der Vorhang der neblichen Duͤnſte rollt
ſich auf bey ihrer Erſcheinung; lange Schatten werfen die vergoldeten Baͤume, Haͤu-
ſer und Huͤgel auf den Teppich von Gruͤn hin, der noch von den Perlen des Morgen-
thaues glaͤnzt; tauſend und tauſend zufaͤllige Lichter bereichern dieſes herrliche Gemaͤl-
de, wo der Philoſoph, nachdem er alle ſeine Syſteme vergebens erſchoͤpft hat, ge-
zwungen iſt, ein Weſen der Weſen, und einen Geber aller Dinge zu erkennen.

Aber bald ruft uns die Anmuth der Schatten und das liebenswuͤrdige Gruͤn der
Wieſen in das Thal, um unſere Augen von dieſem blendenden Schauſpiele ausruhen
zu laſſen; am Fuße des Berges iſt ein Gehoͤlz, wo Hopfen und Geißblatt ſich um

Baͤume
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[66/0070] Dritter Abſchnitt. Gaͤrten wo ſich die ſchoͤne Iſmene einſt badete; das Ohngefaͤhr fuͤhrte den jungen Hylas hin- zu; er erblickte die Geliebte, die ſein Herz ſchon lange heimlich angebetet, durchs Ge- buͤſch. Wie wird ihm beym Anblick ſo vieler Reize! Begierden und edles Gefuͤhl kaͤmpfen in ſeinem Innerſten gegen einander, er kann ſich dem Rauſche ſeiner Sinne nur durch eine ploͤtzliche Flucht entreißen, er flieht, und im Fliehen laͤßt er ein Papier fallen; die ſchoͤne Iſmene, erſchreckt durch das Geraͤuſch, welches ſie gehoͤrt, ſieht ſich auf allen Seiten um, erblickt das Papier; ihr Herz wird geruͤhrt von ſo edler Geſin- nung, von ſo vieler Liebe. Hylas ward geliebt, Hylas ward gluͤcklich, und das An- denken dieſer ſtandhaft Liebenden ſteht noch auf einem nahen Eichbaume eingegraben. Hier in einer tiefliegenden abgeſonderten Gegend iſt ein ruhiges und klares Waſſer, welches einen kleinen See bildet. Der Mond verlaͤßt nie den Horizont, ohne ſich lange darinn zu beſpiegeln und zu bewundern. Die Ufer ſind mit Pappel- baͤumen bepflanzt; unter dem Schutze ihrer friedlichen Schatten erblickt man in der Ferne ein kleines philoſophiſches Monument. Es iſt dem Andenken eines Mannes geheiliget, deſſen Genie die Welt erleuchtete; er wurde in derſelben verfolgt, weil er ſich durch ſeine Unabhaͤngigkeit uͤber die eitle Groͤße hinwegſetzen wollte. Stille und Ruhe herrſcht auf dieſem kleinen Plaͤtzchen, und dieſe Art von Elyſium ſcheint fuͤr das ruhige Gluͤck und fuͤr den wahren Genuß der Seele gemacht zu ſeyn. Dort ſieht man einen Wald von alten Eichen, unter welchen man in der tief- ſten Dunkelheit des Gehoͤlzes einen Tempel erblickt, welcher dem Nachdenken eine ſtille Freyſtaͤtte darbietet. Dort wird der Dichter nicht in ſeinem goͤttlichen Enthu- ſiasmus geſtoͤrt; dort findet er jene erhabenen Gedanken, die er in ſeinen Gedichten ausdruͤcken ſoll. Queer durch einen Cedernwald fuͤhrt eine unmerkliche Anhoͤhe bis auf den Gi- pfel eines hohen Berges, an deſſen Fuße ein Fluß ſich durch fruchtbare Wieſen hin- wegſchleicht: hier ſchwebt das Auge auf einem weiten Horizonte, der in der Ferne durch ein Amphitheater von Gebirgen eingefaßt iſt. Schon verbreitet die Sonne mit Majeſtaͤt ihren Strahlenglanz umher. Der Vorhang der neblichen Duͤnſte rollt ſich auf bey ihrer Erſcheinung; lange Schatten werfen die vergoldeten Baͤume, Haͤu- ſer und Huͤgel auf den Teppich von Gruͤn hin, der noch von den Perlen des Morgen- thaues glaͤnzt; tauſend und tauſend zufaͤllige Lichter bereichern dieſes herrliche Gemaͤl- de, wo der Philoſoph, nachdem er alle ſeine Syſteme vergebens erſchoͤpft hat, ge- zwungen iſt, ein Weſen der Weſen, und einen Geber aller Dinge zu erkennen. Aber bald ruft uns die Anmuth der Schatten und das liebenswuͤrdige Gruͤn der Wieſen in das Thal, um unſere Augen von dieſem blendenden Schauſpiele ausruhen zu laſſen; am Fuße des Berges iſt ein Gehoͤlz, wo Hopfen und Geißblatt ſich um Baͤume

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Zitationshilfe: Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 4. Leipzig, 1782, S. 66. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hirschfeld_gartenkunst4_1782/70>, abgerufen am 21.11.2024.