Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 4. Leipzig, 1782.Erster Abschnitt. Vermischte Bemerkungen Der elende Geschmack, der in allen europäischen Gärten herrschte, war selbst In diesem Zeitpunkt trat Kent auf, Maler genug, um die Reize der Land- mener
Erſter Abſchnitt. Vermiſchte Bemerkungen Der elende Geſchmack, der in allen europaͤiſchen Gaͤrten herrſchte, war ſelbſt In dieſem Zeitpunkt trat Kent auf, Maler genug, um die Reize der Land- mener
<TEI> <text> <body> <div n="2"> <div n="3"> <pb facs="#f0008" n="4"/> <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Erſter Abſchnitt. Vermiſchte Bemerkungen</hi> </fw><lb/> <p>Der elende Geſchmack, der in allen europaͤiſchen Gaͤrten herrſchte, war ſelbſt<lb/> in <hi rendition="#fr">England</hi> gegen die Zeit, da <hi rendition="#fr">Kent</hi> erſchien, aufs hoͤchſte geſtiegen. <hi rendition="#fr">Le Notre</hi><lb/> hatte ſeine ermuͤdende Symmetrie nicht blos in <hi rendition="#fr">Frankreich</hi> ausgebreitet; er ſuchte<lb/> ſie auch in <hi rendition="#fr">Italien</hi> noch mehr einzufuͤhren, und gieng ſelbſt nach <hi rendition="#fr">England</hi>, um den<lb/> denkenden <hi rendition="#fr">Britten</hi> zu ſeiner Manier zu verleiten. Hier pflanzte er die Parks zu<lb/><hi rendition="#fr">St. James</hi> und <hi rendition="#fr">Greenwich</hi>, die Denkmaͤler ſeines verirrten Geſchmacks ſind.<lb/> Die ſeltſamſten Kuͤnſteleyen giengen immer weiter, bis <hi rendition="#fr">Wiſe</hi> die Gaͤrten mit Rieſen,<lb/> Ungeheuern, Wappen und Motto’s, aus Taxus und Buxbaum geſchnitten, anfuͤllte.<lb/> Weiter konnte die Ungereimtheit nicht gehen; die Fluth wandte ſich. <hi rendition="#fr">Bridgmann</hi>,<lb/> der naͤchſte Modegaͤrtner, war weit beſcheidner; er verbannte alles gruͤne Schnitzwerk,<lb/> und kehrte nicht einmal zu dem genauen Viereck des vorigen Zeitalters zuruͤck. Er<lb/> erweiterte ſeine Plane, wollte nicht mehr jede Eintheilung gerade ſo, wie das Gegen-<lb/> uͤberſtehende, machen, und wiewohl er noch ſehr an geraden Gaͤngen mit hohen ge-<lb/> ſchnittenen Hecken hieng, ſo waren ſie doch nur die Hauptlinien. Die uͤbrigen ver-<lb/> aͤnderte er durch wilde Gebuͤſche und natuͤrliche Eichenwaͤldchen, obgleich noch inner-<lb/> halb gerader Hecken. Er gieng weiter, und wagte es, in dem koͤniglichen Garten<lb/> zu <hi rendition="#fr">Richmond</hi> bebaute Felder und Waldſtuͤcke an den Seiten der unaufhoͤrlichen und<lb/> ermuͤdenden Alleen einzufuͤhren. Aber das geſchah nicht eher, bis ſich auch andre<lb/> Kuͤnſtler von der ſtrengen Symmetrie losgeriſſen hatten. Der vornehmſte Schritt,<lb/> der zu der folgenden Verbeſſerung leitete, war das Niederreißen der Mauern, als<lb/> Graͤnzen, und die Einfuͤhrung der Graͤben; ein Verſuch, der damals fuͤr ſo erſtau-<lb/> nenswuͤrdig gehalten ward, daß der gemeine Mann ſie Ha! Ha’s! nannte, um die<lb/> Wirkung von der Ueberraſchung auszudruͤcken, daß er ſich ſo ploͤtzlich und unvermerkt<lb/> in ſeinem Gange aufgehalten fand. Kaum war dieſe einfache Bezauberung veran-<lb/> ſtaltet, als das Ebnen, Maͤhen und Walzen folgte. Das Stuͤck Landes, welches<lb/> draußen an den Graben ſtieß, ſollte von nun an mit der Flaͤche dieſſeits zuſammen-<lb/> ſchmelzen; und der Garten ſollte auf der andern Seite von ſeiner erſten Regelmaͤßig-<lb/> keit befreyt werden, um mehr mit der wildern Gegend draußen uͤbereinzukommen.<lb/> Der Graben zeichnete den Garten ab. Um aber keine zu auffallende Linie zwiſchen<lb/> dem Schoͤnen und Rauhen zu ziehen, wurden die angraͤnzende Theile in die Zeichnung<lb/> des Ganzen hineingezogen; und als die Natur erſt mit in den Plan aufgenommen<lb/> war, ſo zeichnete jeder Schritt, den man in der Verſchoͤnerung that, neue Annehm-<lb/> lichkeiten aus, und gab neue Ideen ein.</p><lb/> <p>In dieſem Zeitpunkt trat <hi rendition="#fr">Kent</hi> auf, Maler genug, um die Reize der Land-<lb/> ſchaft zu empfinden, kuͤhn und zuverſichtlich genug, um zu wagen und zu befehlen,<lb/> und geboren mit einem Genie, ein großes Syſtem aus der Daͤmmerung unvollkom-<lb/> <fw place="bottom" type="catch">mener</fw><lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [4/0008]
Erſter Abſchnitt. Vermiſchte Bemerkungen
Der elende Geſchmack, der in allen europaͤiſchen Gaͤrten herrſchte, war ſelbſt
in England gegen die Zeit, da Kent erſchien, aufs hoͤchſte geſtiegen. Le Notre
hatte ſeine ermuͤdende Symmetrie nicht blos in Frankreich ausgebreitet; er ſuchte
ſie auch in Italien noch mehr einzufuͤhren, und gieng ſelbſt nach England, um den
denkenden Britten zu ſeiner Manier zu verleiten. Hier pflanzte er die Parks zu
St. James und Greenwich, die Denkmaͤler ſeines verirrten Geſchmacks ſind.
Die ſeltſamſten Kuͤnſteleyen giengen immer weiter, bis Wiſe die Gaͤrten mit Rieſen,
Ungeheuern, Wappen und Motto’s, aus Taxus und Buxbaum geſchnitten, anfuͤllte.
Weiter konnte die Ungereimtheit nicht gehen; die Fluth wandte ſich. Bridgmann,
der naͤchſte Modegaͤrtner, war weit beſcheidner; er verbannte alles gruͤne Schnitzwerk,
und kehrte nicht einmal zu dem genauen Viereck des vorigen Zeitalters zuruͤck. Er
erweiterte ſeine Plane, wollte nicht mehr jede Eintheilung gerade ſo, wie das Gegen-
uͤberſtehende, machen, und wiewohl er noch ſehr an geraden Gaͤngen mit hohen ge-
ſchnittenen Hecken hieng, ſo waren ſie doch nur die Hauptlinien. Die uͤbrigen ver-
aͤnderte er durch wilde Gebuͤſche und natuͤrliche Eichenwaͤldchen, obgleich noch inner-
halb gerader Hecken. Er gieng weiter, und wagte es, in dem koͤniglichen Garten
zu Richmond bebaute Felder und Waldſtuͤcke an den Seiten der unaufhoͤrlichen und
ermuͤdenden Alleen einzufuͤhren. Aber das geſchah nicht eher, bis ſich auch andre
Kuͤnſtler von der ſtrengen Symmetrie losgeriſſen hatten. Der vornehmſte Schritt,
der zu der folgenden Verbeſſerung leitete, war das Niederreißen der Mauern, als
Graͤnzen, und die Einfuͤhrung der Graͤben; ein Verſuch, der damals fuͤr ſo erſtau-
nenswuͤrdig gehalten ward, daß der gemeine Mann ſie Ha! Ha’s! nannte, um die
Wirkung von der Ueberraſchung auszudruͤcken, daß er ſich ſo ploͤtzlich und unvermerkt
in ſeinem Gange aufgehalten fand. Kaum war dieſe einfache Bezauberung veran-
ſtaltet, als das Ebnen, Maͤhen und Walzen folgte. Das Stuͤck Landes, welches
draußen an den Graben ſtieß, ſollte von nun an mit der Flaͤche dieſſeits zuſammen-
ſchmelzen; und der Garten ſollte auf der andern Seite von ſeiner erſten Regelmaͤßig-
keit befreyt werden, um mehr mit der wildern Gegend draußen uͤbereinzukommen.
Der Graben zeichnete den Garten ab. Um aber keine zu auffallende Linie zwiſchen
dem Schoͤnen und Rauhen zu ziehen, wurden die angraͤnzende Theile in die Zeichnung
des Ganzen hineingezogen; und als die Natur erſt mit in den Plan aufgenommen
war, ſo zeichnete jeder Schritt, den man in der Verſchoͤnerung that, neue Annehm-
lichkeiten aus, und gab neue Ideen ein.
In dieſem Zeitpunkt trat Kent auf, Maler genug, um die Reize der Land-
ſchaft zu empfinden, kuͤhn und zuverſichtlich genug, um zu wagen und zu befehlen,
und geboren mit einem Genie, ein großes Syſtem aus der Daͤmmerung unvollkom-
mener
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