b. Der Rheinfall bey Schaffhausen in der Schweitz.*)
Man steigt zu Lauffen, einem geringen Dorf im Canton Zürich, ab, und geht auf den Rand des sehr steilen Felsen, der über den Rhein hängt. Man blickt von da schnurgerade auf den Wasserfall hinunter, und sieht, wie sich der Strom mit einer schauernden Wuth und Gewalt über die Seiten des Felsen stürzt. Von da steigt man herab, bis man ein wenig unter dem obern Bett des Flusses ist; man steht hart an dem Fall, so daß man ihn sehr leicht mit der Hand berühren kann. Ein Gerüste ist recht in dem Staubregen dieses fürchterlichen Falls, und auf dem erhabensten Ge- sichtspunkt aufgerichtet. Eine See von Schaum, der sich herabwälzt, eine bestän- dige Wolke von Gestäube, die sich auf eine große Entfernung umher, und sehr hoch verbreitet, kurz die Majestät des ganzen Anblicks übersteigt alle Erwartungen der Ein- bildungskraft, und geht über alle Beschreibung. Ohngefähr auf hundert Schuhe von dem Gerüste, nach dem Augenmaaß zu urtheilen, stehen zwey Felsen mitten in dem Fall, die von dieser Seite, wo man sie ganz in die Breite sieht, ein Stück zu seyn scheinen. Der nächste von ihnen ist von dem anhaltenden Anprellen des Stroms durchlöchert, und das Wasser drängt sich mit unsäglicher Wuth und einem dumpfen Gebrülle durch. Wir überließen uns eine Zeitlang der stummen Bewunderung und dem Schauer dieses erhabenen wunderbaren Anblicks; stiegen dann herab, und fuh- ren unter dem Fall über den Fluß, der gewaltig strömte und brauste. Bis hieher hat man nur den Wasserfall von der Seite gesehen; aber nun öffnet er sich nach und nach, und stellet ein anders Gemälde dar. Die auffallendsten Gegenstände sind diese. Auf der einen Seite ein Schloß recht auf der Spitze des Absturzes, das über den Fall herüberhängt; nahe dabey eine Kirche, und einige Häuser. Auf der andern Seite, hart am Fall, ein Haufen Häuser; im Hintergrunde sanfte Hügel mit Weinstöcken bepflanzt, oder mit hangendem Gehölze schattirt. Auf dem Gipfel ein niedliches Dörfchen in einem Kreis von Bäumen; die große Masse Wasser, die aus dem Grunde dieser Hügel hervorzubrechen scheint; die zween oben erwähnten Felsen, die mitten in dem Fall und im Mittelpunkt seines jähsten Sturzes trotzig ihre Häupter emporheben, mit Gesträuche behangen sind, und den Fall in zween Hauptarme thei- len. Die Farbe des Rheins ist unbeschreiblich schön, und helles Meergrün; diese herrliche Mischung der Farben, wie sich der blendende weiße Schaum hineinverliert, ist auffallend, und thut dem Auge unbeschreiblich wohl. Man hat hier den Anblick von einer Eisenschmelzhütte hart am Fluß, welcher gedämmt ist, damit er nicht die
benach-
*) Coxe 2ter Br.
M 3
nach dem Charakter der Gegenden.
b. Der Rheinfall bey Schaffhauſen in der Schweitz.*)
Man ſteigt zu Lauffen, einem geringen Dorf im Canton Zuͤrich, ab, und geht auf den Rand des ſehr ſteilen Felſen, der uͤber den Rhein haͤngt. Man blickt von da ſchnurgerade auf den Waſſerfall hinunter, und ſieht, wie ſich der Strom mit einer ſchauernden Wuth und Gewalt uͤber die Seiten des Felſen ſtuͤrzt. Von da ſteigt man herab, bis man ein wenig unter dem obern Bett des Fluſſes iſt; man ſteht hart an dem Fall, ſo daß man ihn ſehr leicht mit der Hand beruͤhren kann. Ein Geruͤſte iſt recht in dem Staubregen dieſes fuͤrchterlichen Falls, und auf dem erhabenſten Ge- ſichtspunkt aufgerichtet. Eine See von Schaum, der ſich herabwaͤlzt, eine beſtaͤn- dige Wolke von Geſtaͤube, die ſich auf eine große Entfernung umher, und ſehr hoch verbreitet, kurz die Majeſtaͤt des ganzen Anblicks uͤberſteigt alle Erwartungen der Ein- bildungskraft, und geht uͤber alle Beſchreibung. Ohngefaͤhr auf hundert Schuhe von dem Geruͤſte, nach dem Augenmaaß zu urtheilen, ſtehen zwey Felſen mitten in dem Fall, die von dieſer Seite, wo man ſie ganz in die Breite ſieht, ein Stuͤck zu ſeyn ſcheinen. Der naͤchſte von ihnen iſt von dem anhaltenden Anprellen des Stroms durchloͤchert, und das Waſſer draͤngt ſich mit unſaͤglicher Wuth und einem dumpfen Gebruͤlle durch. Wir uͤberließen uns eine Zeitlang der ſtummen Bewunderung und dem Schauer dieſes erhabenen wunderbaren Anblicks; ſtiegen dann herab, und fuh- ren unter dem Fall uͤber den Fluß, der gewaltig ſtroͤmte und brauſte. Bis hieher hat man nur den Waſſerfall von der Seite geſehen; aber nun oͤffnet er ſich nach und nach, und ſtellet ein anders Gemaͤlde dar. Die auffallendſten Gegenſtaͤnde ſind dieſe. Auf der einen Seite ein Schloß recht auf der Spitze des Abſturzes, das uͤber den Fall heruͤberhaͤngt; nahe dabey eine Kirche, und einige Haͤuſer. Auf der andern Seite, hart am Fall, ein Haufen Haͤuſer; im Hintergrunde ſanfte Huͤgel mit Weinſtoͤcken bepflanzt, oder mit hangendem Gehoͤlze ſchattirt. Auf dem Gipfel ein niedliches Doͤrfchen in einem Kreis von Baͤumen; die große Maſſe Waſſer, die aus dem Grunde dieſer Huͤgel hervorzubrechen ſcheint; die zween oben erwaͤhnten Felſen, die mitten in dem Fall und im Mittelpunkt ſeines jaͤhſten Sturzes trotzig ihre Haͤupter emporheben, mit Geſtraͤuche behangen ſind, und den Fall in zween Hauptarme thei- len. Die Farbe des Rheins iſt unbeſchreiblich ſchoͤn, und helles Meergruͤn; dieſe herrliche Miſchung der Farben, wie ſich der blendende weiße Schaum hineinverliert, iſt auffallend, und thut dem Auge unbeſchreiblich wohl. Man hat hier den Anblick von einer Eiſenſchmelzhuͤtte hart am Fluß, welcher gedaͤmmt iſt, damit er nicht die
benach-
*) Coxe 2ter Br.
M 3
<TEI><text><body><divn="2"><divn="3"><divn="4"><pbfacs="#f0097"n="93"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b">nach dem Charakter der Gegenden.</hi></fw><lb/><divn="5"><head><hirendition="#b"><hirendition="#aq">b.</hi><lb/>
Der Rheinfall bey Schaffhauſen in der Schweitz.</hi><noteplace="foot"n="*)">Coxe 2ter Br.</note></head><lb/><p>Man ſteigt zu <hirendition="#fr">Lauffen</hi>, einem geringen Dorf im Canton <hirendition="#fr">Zuͤrich</hi>, ab, und<lb/>
geht auf den Rand des ſehr ſteilen Felſen, der uͤber den <hirendition="#fr">Rhein</hi> haͤngt. Man blickt<lb/>
von da ſchnurgerade auf den Waſſerfall hinunter, und ſieht, wie ſich der Strom mit<lb/>
einer ſchauernden Wuth und Gewalt uͤber die Seiten des Felſen ſtuͤrzt. Von da ſteigt<lb/>
man herab, bis man ein wenig unter dem obern Bett des Fluſſes iſt; man ſteht hart<lb/>
an dem Fall, ſo daß man ihn ſehr leicht mit der Hand beruͤhren kann. Ein Geruͤſte<lb/>
iſt recht in dem Staubregen dieſes fuͤrchterlichen Falls, und auf dem erhabenſten Ge-<lb/>ſichtspunkt aufgerichtet. Eine See von Schaum, der ſich herabwaͤlzt, eine beſtaͤn-<lb/>
dige Wolke von Geſtaͤube, die ſich auf eine große Entfernung umher, und ſehr hoch<lb/>
verbreitet, kurz die Majeſtaͤt des ganzen Anblicks uͤberſteigt alle Erwartungen der Ein-<lb/>
bildungskraft, und geht uͤber alle Beſchreibung. Ohngefaͤhr auf hundert Schuhe von<lb/>
dem Geruͤſte, nach dem Augenmaaß zu urtheilen, ſtehen zwey Felſen mitten in dem<lb/>
Fall, die von dieſer Seite, wo man ſie ganz in die Breite ſieht, ein Stuͤck zu ſeyn<lb/>ſcheinen. Der naͤchſte von ihnen iſt von dem anhaltenden Anprellen des Stroms<lb/>
durchloͤchert, und das Waſſer draͤngt ſich mit unſaͤglicher Wuth und einem dumpfen<lb/>
Gebruͤlle durch. Wir uͤberließen uns eine Zeitlang der ſtummen Bewunderung und<lb/>
dem Schauer dieſes erhabenen wunderbaren Anblicks; ſtiegen dann herab, und fuh-<lb/>
ren unter dem Fall uͤber den Fluß, der gewaltig ſtroͤmte und brauſte. Bis hieher<lb/>
hat man nur den Waſſerfall von der Seite geſehen; aber nun oͤffnet er ſich nach und<lb/>
nach, und ſtellet ein anders Gemaͤlde dar. Die auffallendſten Gegenſtaͤnde ſind dieſe.<lb/>
Auf der einen Seite ein Schloß recht auf der Spitze des Abſturzes, das uͤber den Fall<lb/>
heruͤberhaͤngt; nahe dabey eine Kirche, und einige Haͤuſer. Auf der andern Seite,<lb/>
hart am Fall, ein Haufen Haͤuſer; im Hintergrunde ſanfte Huͤgel mit Weinſtoͤcken<lb/>
bepflanzt, oder mit hangendem Gehoͤlze ſchattirt. Auf dem Gipfel ein niedliches<lb/>
Doͤrfchen in einem Kreis von Baͤumen; die große Maſſe Waſſer, die aus dem<lb/>
Grunde dieſer Huͤgel hervorzubrechen ſcheint; die zween oben erwaͤhnten Felſen, die<lb/>
mitten in dem Fall und im Mittelpunkt ſeines jaͤhſten Sturzes trotzig ihre Haͤupter<lb/>
emporheben, mit Geſtraͤuche behangen ſind, und den Fall in zween Hauptarme thei-<lb/>
len. Die Farbe des <hirendition="#fr">Rheins</hi> iſt unbeſchreiblich ſchoͤn, und helles Meergruͤn; dieſe<lb/>
herrliche Miſchung der Farben, wie ſich der blendende weiße Schaum hineinverliert,<lb/>
iſt auffallend, und thut dem Auge unbeſchreiblich wohl. Man hat hier den Anblick<lb/>
von einer Eiſenſchmelzhuͤtte hart am Fluß, welcher gedaͤmmt iſt, damit er nicht die<lb/><fwplace="bottom"type="sig">M 3</fw><fwplace="bottom"type="catch">benach-</fw><lb/></p></div></div></div></div></body></text></TEI>
[93/0097]
nach dem Charakter der Gegenden.
b.
Der Rheinfall bey Schaffhauſen in der Schweitz. *)
Man ſteigt zu Lauffen, einem geringen Dorf im Canton Zuͤrich, ab, und
geht auf den Rand des ſehr ſteilen Felſen, der uͤber den Rhein haͤngt. Man blickt
von da ſchnurgerade auf den Waſſerfall hinunter, und ſieht, wie ſich der Strom mit
einer ſchauernden Wuth und Gewalt uͤber die Seiten des Felſen ſtuͤrzt. Von da ſteigt
man herab, bis man ein wenig unter dem obern Bett des Fluſſes iſt; man ſteht hart
an dem Fall, ſo daß man ihn ſehr leicht mit der Hand beruͤhren kann. Ein Geruͤſte
iſt recht in dem Staubregen dieſes fuͤrchterlichen Falls, und auf dem erhabenſten Ge-
ſichtspunkt aufgerichtet. Eine See von Schaum, der ſich herabwaͤlzt, eine beſtaͤn-
dige Wolke von Geſtaͤube, die ſich auf eine große Entfernung umher, und ſehr hoch
verbreitet, kurz die Majeſtaͤt des ganzen Anblicks uͤberſteigt alle Erwartungen der Ein-
bildungskraft, und geht uͤber alle Beſchreibung. Ohngefaͤhr auf hundert Schuhe von
dem Geruͤſte, nach dem Augenmaaß zu urtheilen, ſtehen zwey Felſen mitten in dem
Fall, die von dieſer Seite, wo man ſie ganz in die Breite ſieht, ein Stuͤck zu ſeyn
ſcheinen. Der naͤchſte von ihnen iſt von dem anhaltenden Anprellen des Stroms
durchloͤchert, und das Waſſer draͤngt ſich mit unſaͤglicher Wuth und einem dumpfen
Gebruͤlle durch. Wir uͤberließen uns eine Zeitlang der ſtummen Bewunderung und
dem Schauer dieſes erhabenen wunderbaren Anblicks; ſtiegen dann herab, und fuh-
ren unter dem Fall uͤber den Fluß, der gewaltig ſtroͤmte und brauſte. Bis hieher
hat man nur den Waſſerfall von der Seite geſehen; aber nun oͤffnet er ſich nach und
nach, und ſtellet ein anders Gemaͤlde dar. Die auffallendſten Gegenſtaͤnde ſind dieſe.
Auf der einen Seite ein Schloß recht auf der Spitze des Abſturzes, das uͤber den Fall
heruͤberhaͤngt; nahe dabey eine Kirche, und einige Haͤuſer. Auf der andern Seite,
hart am Fall, ein Haufen Haͤuſer; im Hintergrunde ſanfte Huͤgel mit Weinſtoͤcken
bepflanzt, oder mit hangendem Gehoͤlze ſchattirt. Auf dem Gipfel ein niedliches
Doͤrfchen in einem Kreis von Baͤumen; die große Maſſe Waſſer, die aus dem
Grunde dieſer Huͤgel hervorzubrechen ſcheint; die zween oben erwaͤhnten Felſen, die
mitten in dem Fall und im Mittelpunkt ſeines jaͤhſten Sturzes trotzig ihre Haͤupter
emporheben, mit Geſtraͤuche behangen ſind, und den Fall in zween Hauptarme thei-
len. Die Farbe des Rheins iſt unbeſchreiblich ſchoͤn, und helles Meergruͤn; dieſe
herrliche Miſchung der Farben, wie ſich der blendende weiße Schaum hineinverliert,
iſt auffallend, und thut dem Auge unbeſchreiblich wohl. Man hat hier den Anblick
von einer Eiſenſchmelzhuͤtte hart am Fluß, welcher gedaͤmmt iſt, damit er nicht die
benach-
*) Coxe 2ter Br.
M 3
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 4. Leipzig, 1782, S. 93. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hirschfeld_gartenkunst4_1782/97>, abgerufen am 16.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.