Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 5. Leipzig, 1785.Fünfter Abschnitt. Gärten oder Scenen [Spaltenumbruch]
Wenn im Schalle heller Glocken Heimwärts sich die Schafe locken, Und im Gehn das Lämmchen saugt; Wenn die Erlen duftend säuseln, Wenn die Mücken Teiche kräuseln, Wenn der Frosch sich quäkend bläht, Wenn im Nachtigallenthale [Spaltenumbruch]
Hesper mit verliebtem Strale Heimlich meine Quelle küßt; Wenn das Geißblatt süße Düfte In dem Wehen leiser Lüfte Labend mir entgegen haucht; Wenn der Fisch im Wasser hüpfet, Aus der kalten Tiefe schlüpfet, Und der Schwan zu Neste geht; Wenn, wie eine Braut erröthend, Luna freundlich kömmt, und flötend Philomele sie begrüßt -- *) Dies sind die Augenblicke der lieblichsten Bilder und der süßesten Empfindungen: Wenns *) Fr. Leop. Graf zu Stolberg. **) Das Landleben 4te Aufl. 1776 vorletzte Betrachtung.
Fuͤnfter Abſchnitt. Gaͤrten oder Scenen [Spaltenumbruch]
Wenn im Schalle heller Glocken Heimwaͤrts ſich die Schafe locken, Und im Gehn das Laͤmmchen ſaugt; Wenn die Erlen duftend ſaͤuſeln, Wenn die Muͤcken Teiche kraͤuſeln, Wenn der Froſch ſich quaͤkend blaͤht, Wenn im Nachtigallenthale [Spaltenumbruch]
Heſper mit verliebtem Strale Heimlich meine Quelle kuͤßt; Wenn das Geißblatt ſuͤße Duͤfte In dem Wehen leiſer Luͤfte Labend mir entgegen haucht; Wenn der Fiſch im Waſſer huͤpfet, Aus der kalten Tiefe ſchluͤpfet, Und der Schwan zu Neſte geht; Wenn, wie eine Braut erroͤthend, Luna freundlich koͤmmt, und floͤtend Philomele ſie begruͤßt — *) Dies ſind die Augenblicke der lieblichſten Bilder und der ſuͤßeſten Empfindungen: Wenns *) Fr. Leop. Graf zu Stolberg. **) Das Landleben 4te Aufl. 1776 vorletzte Betrachtung.
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Fuͤnfter Abſchnitt. Gaͤrten oder Scenen
Wenn im Schalle heller Glocken
Heimwaͤrts ſich die Schafe locken,
Und im Gehn das Laͤmmchen ſaugt;
Wenn die Erlen duftend ſaͤuſeln,
Wenn die Muͤcken Teiche kraͤuſeln,
Wenn der Froſch ſich quaͤkend blaͤht,
Wenn im Nachtigallenthale
Heſper mit verliebtem Strale
Heimlich meine Quelle kuͤßt;
Wenn das Geißblatt ſuͤße Duͤfte
In dem Wehen leiſer Luͤfte
Labend mir entgegen haucht;
Wenn der Fiſch im Waſſer huͤpfet,
Aus der kalten Tiefe ſchluͤpfet,
Und der Schwan zu Neſte geht;
Wenn, wie eine Braut erroͤthend,
Luna freundlich koͤmmt, und floͤtend
Philomele ſie begruͤßt — *)
Dies ſind die Augenblicke der lieblichſten Bilder und der ſuͤßeſten Empfindungen:
eine frohe Erholung der erſchoͤpften Kraͤfte, ein gelaſſenes Nachſinnen, eine ſanfte
Milde, die ſich uͤber alle unſere Gedanken, alle unſere Empfindungen verbreitet, ein
Gefuͤhl von der Veraͤnderung und Verſchwindung der Scenen der Welt, das nicht
ſchmerzhaft, nicht niederſchlagend iſt, ſondern das empfindſame Herz lehrreich unter-
haͤlt. In dieſen Augenblicken fuͤhlen wir uns ſo geneigt zum Genuſſe jeder Art von
gemilderter Empfindung, zu Ergießungen vertraulicher Zaͤrtlichkeit, zu ruhigen Un-
terredungen uͤber den Werth des Lebens, uͤber ſeine Beſtimmung und ſeine Hoffnun-
gen. **) Alle Veraͤnderungen, die jetzt in der Natur vorgehen, das allmaͤlige Ent-
weichen der Sonne, die Verlaͤngerung der Schatten, die Verduͤſterung ganzer Flaͤ-
chen, indeſſen nach und nach der noch an den Hoͤhen ſchwebende falbe Schein ver-
liſcht, die verſtummende Geſchaͤftigkeit des Tages, die beginnende Ruhe aller Ge-
ſchoͤpfe, das Aufgluͤhen des Mondes und die feyerliche Majeſtaͤt des ſich hie und da
ſternenden Himmels, vereinigen ſich, dieſe Stimmung der Seele zu unterhalten.
Wie beſeligend iſt nicht dieſer Selbſtgenuß in der Feyer des Abends, wenn lieb-
liche Gefuͤhle und ſuͤße Phantaſien mit ernſten Betrachtungen wechſeln, bald in der
Unterredung mit einem weiſen Freund, bald in der ſtummen Unterhaltung der Ein-
ſamkeit! Wie manche ſanfte Seele findet nicht ihre Empfindung in dieſer Stelle
wieder!
Wenns
*) Fr. Leop. Graf zu Stolberg.
**) Das Landleben 4te Aufl. 1776 vorletzte Betrachtung.
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