Johann Gottfried, Hoche: Vertraute Briefe über die jetzige abentheuerliche Lesesucht. Hannover, 1794.Die Einbildungskraft ist wie ein reißender Die Einbildungſkraft iſt wie ein reißender <TEI> <text> <body> <div type="letter" n="1"> <pb facs="#f0103" n="103"/> <p>Die Einbildungſkraft iſt wie ein reißender<lb/> Strom der ſeine Ufer durchbrochen hat und alles mit<lb/> ſich fortreißt. Was fuͤr Nahrung findet die Phan-<lb/> taſie in den Buͤchern des jetzigen Geſchmacks?<lb/> Romane aller Arten, aus dem Himmel und aus<lb/> der Hoͤlle werden reichlich aufgetiſcht. Was fuͤr<lb/> Quellen des Laſters werden dadurch eroͤfnet, die<lb/> vielleicht bei reifern Jahren und Kraͤften <hi rendition="#fr">nicht,</hi><lb/> oder doch <hi rendition="#fr">nicht ſo</hi> geſchadet haͤtten, die wol<lb/> auf immer verborgen geblieben waͤren. Dieſe<lb/> verfuͤhriſchen Bilder, wie vergiften ſie das Herz<lb/> und wie beruͤcken ſie den Verſtand. Unſchuld und<lb/> Tugend werden bekaͤmpft, man traͤgt ſie zu<lb/> Grabe, und mit ihnen Ruhe und Gluͤck des Le-<lb/> bens. Die uͤppigen Schilderungen, die Zauberbil-<lb/> der der Wolluſt, der verraͤtheriſche Schleyer, der<lb/> ſie dekt, was ſtiften ſie? Die zuͤgelloſe Phantaſie<lb/> in den Jahren, wo weder feſte Grundſaͤtze noch<lb/> Erfahrung ihr widerſtehen, wohin fuͤhren ſie?<lb/> O fragt die Aerzte ſie werden euch die Ungluͤckli-<lb/> chen, ihre Leiden und Qualen ſchildern, euch<lb/> mit der Summe des geheimen Elends bekannt<lb/> machen. Tauſend Krankheiten des Koͤrpers und<lb/> des Geiſtes nahmen ihren Anfang in Buͤchern;<lb/> die ungluͤcklichen Opfer ihrer Phantaſie und Neu-<lb/> gierde ſchleichen wie ein Schatten daher mit blei-<lb/> chen Lippen, und Augen ohne Feuer, al-<lb/> le Kraft des Lebens iſt verſchwunden zur<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [103/0103]
Die Einbildungſkraft iſt wie ein reißender
Strom der ſeine Ufer durchbrochen hat und alles mit
ſich fortreißt. Was fuͤr Nahrung findet die Phan-
taſie in den Buͤchern des jetzigen Geſchmacks?
Romane aller Arten, aus dem Himmel und aus
der Hoͤlle werden reichlich aufgetiſcht. Was fuͤr
Quellen des Laſters werden dadurch eroͤfnet, die
vielleicht bei reifern Jahren und Kraͤften nicht,
oder doch nicht ſo geſchadet haͤtten, die wol
auf immer verborgen geblieben waͤren. Dieſe
verfuͤhriſchen Bilder, wie vergiften ſie das Herz
und wie beruͤcken ſie den Verſtand. Unſchuld und
Tugend werden bekaͤmpft, man traͤgt ſie zu
Grabe, und mit ihnen Ruhe und Gluͤck des Le-
bens. Die uͤppigen Schilderungen, die Zauberbil-
der der Wolluſt, der verraͤtheriſche Schleyer, der
ſie dekt, was ſtiften ſie? Die zuͤgelloſe Phantaſie
in den Jahren, wo weder feſte Grundſaͤtze noch
Erfahrung ihr widerſtehen, wohin fuͤhren ſie?
O fragt die Aerzte ſie werden euch die Ungluͤckli-
chen, ihre Leiden und Qualen ſchildern, euch
mit der Summe des geheimen Elends bekannt
machen. Tauſend Krankheiten des Koͤrpers und
des Geiſtes nahmen ihren Anfang in Buͤchern;
die ungluͤcklichen Opfer ihrer Phantaſie und Neu-
gierde ſchleichen wie ein Schatten daher mit blei-
chen Lippen, und Augen ohne Feuer, al-
le Kraft des Lebens iſt verſchwunden zur
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