Johann Gottfried, Hoche: Vertraute Briefe über die jetzige abentheuerliche Lesesucht. Hannover, 1794.fremden Boden, wo uns nichts mehr behagen Mit Bildern aus der Einbildungkraft ge- fremden Boden, wo uns nichts mehr behagen Mit Bildern aus der Einbildungkraft ge- <TEI> <text> <body> <div type="letter" n="1"> <p><pb facs="#f0106" n="106"/> fremden Boden, wo uns nichts mehr behagen<lb/> will. Unſere Jdeale von Freundſchaft und Gluͤck<lb/> ſuchen wir vergebens und Mißmuth und Unzu-<lb/> friedenheit begegnet uns uͤberall. Die Empfindun-<lb/> gen fuͤr das was uns umgiebt ſind abgeſtumpft,<lb/> unſere Gefuͤhle verſtimmt. Wir verſtimmen an-<lb/> dere mit uns, und begehen dadurch große Ungerech-<lb/> tigkeit und Uebereilung im urtheilen und handeln,<lb/> werden <hi rendition="#fr">intolerant</hi> und <hi rendition="#fr">inſolent.</hi> Verſtimmte<lb/> Einbildungskraft ſetzt den Menſchen außer ſich,<lb/> und macht ihn vergeſſen was in ihm iſt. Die<lb/> Wahrheit, die in ſeinem Charakter, in <hi rendition="#fr">ſeinen</hi><lb/> Empfindungen war, gehet in Taͤuſchung uͤber.</p><lb/> <p>Mit Bildern aus der Einbildungkraft ge-<lb/> ſammelt durch ſie ſelbſt verfeinert und durch die<lb/> Lektuͤre falſch gerichtet, trit das junge Maͤdchen,<lb/> der <hi rendition="#i">junge</hi> Mann <hi rendition="#i">in die große Welt, wo er</hi> nichts<lb/> ſeinen Bildern entſprechendes findet. Man<lb/> traͤumte ſich Jdeale von haͤuslicher Gluͤckſeeligkeit;<lb/> uͤberſpannte Begriffe aus der Romanenwelt wol-<lb/> len ſich mit denen aus der wirklichen Welt nicht<lb/> homogeniſiren, und das junge Maͤdchen |als Gat-<lb/> tin getaͤuſcht, betrogen und ungluͤcklich,<lb/> macht ſelbſt wieder ungluͤcklich. — Beiſpiele<lb/> erlaͤutern, aber anfuͤhren darf ich ſie nicht. Haͤngt<lb/> nicht oft die Wahl eines Gatten oder Gattin<lb/> blos von einem Jdeale der Phantaſie, von der<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [106/0106]
fremden Boden, wo uns nichts mehr behagen
will. Unſere Jdeale von Freundſchaft und Gluͤck
ſuchen wir vergebens und Mißmuth und Unzu-
friedenheit begegnet uns uͤberall. Die Empfindun-
gen fuͤr das was uns umgiebt ſind abgeſtumpft,
unſere Gefuͤhle verſtimmt. Wir verſtimmen an-
dere mit uns, und begehen dadurch große Ungerech-
tigkeit und Uebereilung im urtheilen und handeln,
werden intolerant und inſolent. Verſtimmte
Einbildungskraft ſetzt den Menſchen außer ſich,
und macht ihn vergeſſen was in ihm iſt. Die
Wahrheit, die in ſeinem Charakter, in ſeinen
Empfindungen war, gehet in Taͤuſchung uͤber.
Mit Bildern aus der Einbildungkraft ge-
ſammelt durch ſie ſelbſt verfeinert und durch die
Lektuͤre falſch gerichtet, trit das junge Maͤdchen,
der junge Mann in die große Welt, wo er nichts
ſeinen Bildern entſprechendes findet. Man
traͤumte ſich Jdeale von haͤuslicher Gluͤckſeeligkeit;
uͤberſpannte Begriffe aus der Romanenwelt wol-
len ſich mit denen aus der wirklichen Welt nicht
homogeniſiren, und das junge Maͤdchen |als Gat-
tin getaͤuſcht, betrogen und ungluͤcklich,
macht ſelbſt wieder ungluͤcklich. — Beiſpiele
erlaͤutern, aber anfuͤhren darf ich ſie nicht. Haͤngt
nicht oft die Wahl eines Gatten oder Gattin
blos von einem Jdeale der Phantaſie, von der
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