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Johann Gottfried, Hoche: Vertraute Briefe über die jetzige abentheuerliche Lesesucht. Hannover, 1794.

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Niemand wird mit einenmahle ganz schlecht,
er würde denn auch nicht den Abscheu gegen
sich erregen, den er durch das successive Zuneh-
men in seinen Lastern erregt; Absichten und
Mittel müssen ihn kenntlich machen, und seine
Fertigkeit im Bösen, durch Uebung erlangt, Ab-
scheu hervorbringen. Wird er es auf einmal:
so leuchtet auch dem ungeübtesten Verstande die
Unmöglichkeit ein, und immer wird der Gedanke
"so schlecht bist du nicht" in einem verborge-
nen Winkel der Seele liegen. Auch Niemand
wird auf einmal gut; wir würden uns gewiß
auch nicht so für ihn interessiren, als wenn
wir den Kampf mit seinen Leidenschaften, das
successive Gelingen und Fortscheiten im Guten
sehen. Hierdurch wird das Jnteresse gespannt,
das Vergnügen erhöhet, das Herz erwärmt,
und man fängt an den Gegenstand zu lieben.
Endlich gibt der Triumpf über Leidenschaften
dem Leser eine beseligende Ruhe, und kann
ihn geneigt machen einen ähnlichen Kampf
zu bestehen. Jch ärgere mich immer wenn ich
einen Roman oder eine Komödie, die sonst ge-
wiß meine Lektüre nicht sind, aus der Fabrik
der Gebrüder Liskovs sinde, worin der Laster-
hafte ohne alle Schwürigkeit in ein paar Mi-
nuten zu einem vortreflichen Menschen umgear-
beiter wird, wo man auf die Aechtheit der

Niemand wird mit einenmahle ganz ſchlecht,
er wuͤrde denn auch nicht den Abſcheu gegen
ſich erregen, den er durch das ſucceſſive Zuneh-
men in ſeinen Laſtern erregt; Abſichten und
Mittel muͤſſen ihn kenntlich machen, und ſeine
Fertigkeit im Boͤſen, durch Uebung erlangt, Ab-
ſcheu hervorbringen. Wird er es auf einmal:
ſo leuchtet auch dem ungeuͤbteſten Verſtande die
Unmoͤglichkeit ein, und immer wird der Gedanke
“ſo ſchlecht biſt du nicht” in einem verborge-
nen Winkel der Seele liegen. Auch Niemand
wird auf einmal gut; wir wuͤrden uns gewiß
auch nicht ſo fuͤr ihn intereſſiren, als wenn
wir den Kampf mit ſeinen Leidenſchaften, das
ſucceſſive Gelingen und Fortſcheiten im Guten
ſehen. Hierdurch wird das Jntereſſe geſpannt,
das Vergnuͤgen erhoͤhet, das Herz erwaͤrmt,
und man faͤngt an den Gegenſtand zu lieben.
Endlich gibt der Triumpf uͤber Leidenſchaften
dem Leſer eine beſeligende Ruhe, und kann
ihn geneigt machen einen aͤhnlichen Kampf
zu beſtehen. Jch aͤrgere mich immer wenn ich
einen Roman oder eine Komoͤdie, die ſonſt ge-
wiß meine Lektuͤre nicht ſind, aus der Fabrik
der Gebruͤder Liſkovs ſinde, worin der Laſter-
hafte ohne alle Schwuͤrigkeit in ein paar Mi-
nuten zu einem vortreflichen Menſchen umgear-
beiter wird, wo man auf die Aechtheit der

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[134/0134] Niemand wird mit einenmahle ganz ſchlecht, er wuͤrde denn auch nicht den Abſcheu gegen ſich erregen, den er durch das ſucceſſive Zuneh- men in ſeinen Laſtern erregt; Abſichten und Mittel muͤſſen ihn kenntlich machen, und ſeine Fertigkeit im Boͤſen, durch Uebung erlangt, Ab- ſcheu hervorbringen. Wird er es auf einmal: ſo leuchtet auch dem ungeuͤbteſten Verſtande die Unmoͤglichkeit ein, und immer wird der Gedanke “ſo ſchlecht biſt du nicht” in einem verborge- nen Winkel der Seele liegen. Auch Niemand wird auf einmal gut; wir wuͤrden uns gewiß auch nicht ſo fuͤr ihn intereſſiren, als wenn wir den Kampf mit ſeinen Leidenſchaften, das ſucceſſive Gelingen und Fortſcheiten im Guten ſehen. Hierdurch wird das Jntereſſe geſpannt, das Vergnuͤgen erhoͤhet, das Herz erwaͤrmt, und man faͤngt an den Gegenſtand zu lieben. Endlich gibt der Triumpf uͤber Leidenſchaften dem Leſer eine beſeligende Ruhe, und kann ihn geneigt machen einen aͤhnlichen Kampf zu beſtehen. Jch aͤrgere mich immer wenn ich einen Roman oder eine Komoͤdie, die ſonſt ge- wiß meine Lektuͤre nicht ſind, aus der Fabrik der Gebruͤder Liſkovs ſinde, worin der Laſter- hafte ohne alle Schwuͤrigkeit in ein paar Mi- nuten zu einem vortreflichen Menſchen umgear- beiter wird, wo man auf die Aechtheit der

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Zitationshilfe: Johann Gottfried, Hoche: Vertraute Briefe über die jetzige abentheuerliche Lesesucht. Hannover, 1794, S. 134. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hoche_lesesucht_1794/134>, abgerufen am 24.11.2024.