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Johann Gottfried, Hoche: Vertraute Briefe über die jetzige abentheuerliche Lesesucht. Hannover, 1794.

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Jch bin weit entfernt den Verfassern eine
böse Absicht unter zu legen, ich halte es viel-
mehr für eine falsch geleitete Spielerei. Man
muß die Wirkung eines Buchs wohl von der
Absicht nud Person des Verfassers unterscheiden.
Jene kann zufällig, oder in andern Dingen vor-
bereitet seyn, den Verfasser trift dann nur der
Tadel daß er nicht weise gehandelt habe.
Wer indeß nicht so denken wollte wie ich, der
könnte auf folgende Art räsonniren: Der Phi-
losoph hat immer noch die Bemerkung richtig
gefunden, daß die Charaktere der Nation, von
dem Stande der Gesellschaft abhängen, in wel-
chem sie leben, und von den politischen An-
stalten, die sie unter sich eingeführt haben,
und daß die menschliche Seele, so oft sie sich
in einerlei Stellung befindet, in den entfernte-
sten Weltaltern, und abgelegensten Ländern,
eben die Bildung annehmen und mit einerlei
Sitten bezeichnet seyn, und an einerlei Beschäf-
tigung des Geistes Geschmack finden wird. Die
Schriftsteller die daher für den Geschmack
oder für die geistige Nahrung durch ihre Ritter-
geschichten sorgen wollen, müssen entweder glau-
ben, daß wir auf jener Stuffe der Ritter stehen,
und unser politischer Charakter mit jenem eins
ist, oder sie rechnen darauf einen solchen her-
vorzubringen, dadurch daß sie dem vorhandenen
jene Richtung zu geben suchen. Glauben sie das

Jch bin weit entfernt den Verfaſſern eine
boͤſe Abſicht unter zu legen, ich halte es viel-
mehr fuͤr eine falſch geleitete Spielerei. Man
muß die Wirkung eines Buchs wohl von der
Abſicht nud Perſon des Verfaſſers unterſcheiden.
Jene kann zufaͤllig, oder in andern Dingen vor-
bereitet ſeyn, den Verfaſſer trift dann nur der
Tadel daß er nicht weiſe gehandelt habe.
Wer indeß nicht ſo denken wollte wie ich, der
koͤnnte auf folgende Art raͤſonniren: Der Phi-
loſoph hat immer noch die Bemerkung richtig
gefunden, daß die Charaktere der Nation, von
dem Stande der Geſellſchaft abhaͤngen, in wel-
chem ſie leben, und von den politiſchen An-
ſtalten, die ſie unter ſich eingefuͤhrt haben,
und daß die menſchliche Seele, ſo oft ſie ſich
in einerlei Stellung befindet, in den entfernte-
ſten Weltaltern, und abgelegenſten Laͤndern,
eben die Bildung annehmen und mit einerlei
Sitten bezeichnet ſeyn, und an einerlei Beſchaͤf-
tigung des Geiſtes Geſchmack finden wird. Die
Schriftſteller die daher fuͤr den Geſchmack
oder fuͤr die geiſtige Nahrung durch ihre Ritter-
geſchichten ſorgen wollen, muͤſſen entweder glau-
ben, daß wir auf jener Stuffe der Ritter ſtehen,
und unſer politiſcher Charakter mit jenem eins
iſt, oder ſie rechnen darauf einen ſolchen her-
vorzubringen, dadurch daß ſie dem vorhandenen
jene Richtung zu geben ſuchen. Glauben ſie das

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[56/0056] Jch bin weit entfernt den Verfaſſern eine boͤſe Abſicht unter zu legen, ich halte es viel- mehr fuͤr eine falſch geleitete Spielerei. Man muß die Wirkung eines Buchs wohl von der Abſicht nud Perſon des Verfaſſers unterſcheiden. Jene kann zufaͤllig, oder in andern Dingen vor- bereitet ſeyn, den Verfaſſer trift dann nur der Tadel daß er nicht weiſe gehandelt habe. Wer indeß nicht ſo denken wollte wie ich, der koͤnnte auf folgende Art raͤſonniren: Der Phi- loſoph hat immer noch die Bemerkung richtig gefunden, daß die Charaktere der Nation, von dem Stande der Geſellſchaft abhaͤngen, in wel- chem ſie leben, und von den politiſchen An- ſtalten, die ſie unter ſich eingefuͤhrt haben, und daß die menſchliche Seele, ſo oft ſie ſich in einerlei Stellung befindet, in den entfernte- ſten Weltaltern, und abgelegenſten Laͤndern, eben die Bildung annehmen und mit einerlei Sitten bezeichnet ſeyn, und an einerlei Beſchaͤf- tigung des Geiſtes Geſchmack finden wird. Die Schriftſteller die daher fuͤr den Geſchmack oder fuͤr die geiſtige Nahrung durch ihre Ritter- geſchichten ſorgen wollen, muͤſſen entweder glau- ben, daß wir auf jener Stuffe der Ritter ſtehen, und unſer politiſcher Charakter mit jenem eins iſt, oder ſie rechnen darauf einen ſolchen her- vorzubringen, dadurch daß ſie dem vorhandenen jene Richtung zu geben ſuchen. Glauben ſie das

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Zitationshilfe: Johann Gottfried, Hoche: Vertraute Briefe über die jetzige abentheuerliche Lesesucht. Hannover, 1794, S. 56. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hoche_lesesucht_1794/56>, abgerufen am 28.11.2024.