Johann Gottfried, Hoche: Vertraute Briefe über die jetzige abentheuerliche Lesesucht. Hannover, 1794.Heute habe ich hier das erste Konzert be- Warum setzen doch die Komponisten so ein- Heute habe ich hier das erſte Konzert be- Warum ſetzen doch die Komponiſten ſo ein- <TEI> <text> <body> <div type="letter" n="1"> <pb facs="#f0006" n="6"/> <p>Heute habe ich hier das erſte Konzert be-<lb/> ſucht. — Erwarten Sie aber daruͤber keine Cri-<lb/> tik von mir, ich ſpare gern mein Urtheil in ſol-<lb/> chen Faͤllen, dagegen bitte ich Sie mit einigen<lb/> Phantaſien Nachſicht zu haben, die ich fuͤr Sie<lb/> ſo niederſchreibe, wie ſie mir einfielen.</p><lb/> <p>Warum ſetzen doch die Komponiſten ſo ein-<lb/> fach, oder vielmehr, warum laßen ſie den Spie-<lb/> lern ſo viel Zeit und Raum ihre burlesken<lb/> Schnirkel und Triller da anzubringen, wo ſie<lb/> nicht bingehoͤren? oder iſt es ein Eigenſinn der<lb/> Spieler, daß ſie es beßer machen wollen, als<lb/> es der Komponiſt wollte, der ſtatt des feſten<lb/> Tons, den er verlangte, lauter Schwebungen hoͤ-<lb/> ren muß? — So dachte ich, und mit einemmale<lb/> ſiel mir ein, daß wol ein jeder Menſch ſeine<lb/> eigene Rolle eben ſo mit Verzierungen ſpielen<lb/> wolle, die gar nicht in den Plan deſſen gehoͤ-<lb/> ren, der ſie ihm zu getheilt habe. Jch fand die<lb/> Muſik als ein Gemaͤhlde nicht blos fuͤr jeden<lb/> einzelnen Menſchen, ſondern fuͤr die große Schoͤ-<lb/> pfung ſo paſſend, daß ich vergaß im Konzert<lb/> zu ſeyn. Meine Aufmerkſamkeit war dahin,<lb/> und ich ſchwaͤrmte in meiner Einbildung aus<lb/> der wirklichen Welt hinaus. Wo ich mit mei-<lb/> nen Gedanken ſtehen blieb, haͤtte mir der ſagen<lb/> koͤnnen, der die Thraͤnen in meinem Auge be-<lb/> merkt haͤtte. — Wie oft moͤgen wir in unſer<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [6/0006]
Heute habe ich hier das erſte Konzert be-
ſucht. — Erwarten Sie aber daruͤber keine Cri-
tik von mir, ich ſpare gern mein Urtheil in ſol-
chen Faͤllen, dagegen bitte ich Sie mit einigen
Phantaſien Nachſicht zu haben, die ich fuͤr Sie
ſo niederſchreibe, wie ſie mir einfielen.
Warum ſetzen doch die Komponiſten ſo ein-
fach, oder vielmehr, warum laßen ſie den Spie-
lern ſo viel Zeit und Raum ihre burlesken
Schnirkel und Triller da anzubringen, wo ſie
nicht bingehoͤren? oder iſt es ein Eigenſinn der
Spieler, daß ſie es beßer machen wollen, als
es der Komponiſt wollte, der ſtatt des feſten
Tons, den er verlangte, lauter Schwebungen hoͤ-
ren muß? — So dachte ich, und mit einemmale
ſiel mir ein, daß wol ein jeder Menſch ſeine
eigene Rolle eben ſo mit Verzierungen ſpielen
wolle, die gar nicht in den Plan deſſen gehoͤ-
ren, der ſie ihm zu getheilt habe. Jch fand die
Muſik als ein Gemaͤhlde nicht blos fuͤr jeden
einzelnen Menſchen, ſondern fuͤr die große Schoͤ-
pfung ſo paſſend, daß ich vergaß im Konzert
zu ſeyn. Meine Aufmerkſamkeit war dahin,
und ich ſchwaͤrmte in meiner Einbildung aus
der wirklichen Welt hinaus. Wo ich mit mei-
nen Gedanken ſtehen blieb, haͤtte mir der ſagen
koͤnnen, der die Thraͤnen in meinem Auge be-
merkt haͤtte. — Wie oft moͤgen wir in unſer
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