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Johann Gottfried, Hoche: Vertraute Briefe über die jetzige abentheuerliche Lesesucht. Hannover, 1794.

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Jch behaupte also fest, daß aus Mangel
an nüzlichen Beschäftigungen keine Langeweile
entstehen kann, denn sie können nicht fehlen,
wenn man sie nur aufsuchen will. Jn den er-
sten Ständen könnte man nothgedrungen das
Gegentheil zugeben, wenn man sie satirisiren
wollte, aber warlich nicht in dem Bürgerstande.
Wem sein Gesinde und seine Kinder gleichgül-
tig sind, der hat sich gewiß nicht recht um sei-
ne Pfiichten bekümmert, und kann die Nichter-
füllung seiner häuslichen Pflichten häusliches
Glück hervorbringen? ich dächte das höchste
Glück des Lebens sollte doch nicht langweilig
seyn zu besorgen!

Wer in seinem Hause Langeweile findet,
der ist gewiß im hohen Grade unglücklich; wird
er sie in Gesellschaft vergessen, wohin er sie
mitbringt? vielleicht auf einige Augenblicke, um
sie dann noch drückender zu fühlen. Sollte die
Lektüre das Gegenmittel zu Hause seyn: so
müßte sie warlich anders beschaffen seyn, denn
das ewige Einerlei der Modebücher und be-
sonders der Rittermährchen, von Anfang bis zu
Ende, dient gewiß mehr dazu die Langeweile
zu vermehren als zu vermindern. Aus ihnen
gehet Mißmuth, Unzufriedenheit mit sich selbst,
und mit denen die uns umgehen hervor, die

F

Jch behaupte alſo feſt, daß aus Mangel
an nuͤzlichen Beſchaͤftigungen keine Langeweile
entſtehen kann, denn ſie koͤnnen nicht fehlen,
wenn man ſie nur aufſuchen will. Jn den er-
ſten Staͤnden koͤnnte man nothgedrungen das
Gegentheil zugeben, wenn man ſie ſatiriſiren
wollte, aber warlich nicht in dem Buͤrgerſtande.
Wem ſein Geſinde und ſeine Kinder gleichguͤl-
tig ſind, der hat ſich gewiß nicht recht um ſei-
ne Pfiichten bekuͤmmert, und kann die Nichter-
fuͤllung ſeiner haͤuslichen Pflichten haͤusliches
Gluͤck hervorbringen? ich daͤchte das hoͤchſte
Gluͤck des Lebens ſollte doch nicht langweilig
ſeyn zu beſorgen!

Wer in ſeinem Hauſe Langeweile findet,
der iſt gewiß im hohen Grade ungluͤcklich; wird
er ſie in Geſellſchaft vergeſſen, wohin er ſie
mitbringt? vielleicht auf einige Augenblicke, um
ſie dann noch druͤckender zu fuͤhlen. Sollte die
Lektuͤre das Gegenmittel zu Hauſe ſeyn: ſo
muͤßte ſie warlich anders beſchaffen ſeyn, denn
das ewige Einerlei der Modebuͤcher und be-
ſonders der Rittermaͤhrchen, von Anfang bis zu
Ende, dient gewiß mehr dazu die Langeweile
zu vermehren als zu vermindern. Aus ihnen
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und mit denen die uns umgehen hervor, die

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[81/0081] Jch behaupte alſo feſt, daß aus Mangel an nuͤzlichen Beſchaͤftigungen keine Langeweile entſtehen kann, denn ſie koͤnnen nicht fehlen, wenn man ſie nur aufſuchen will. Jn den er- ſten Staͤnden koͤnnte man nothgedrungen das Gegentheil zugeben, wenn man ſie ſatiriſiren wollte, aber warlich nicht in dem Buͤrgerſtande. Wem ſein Geſinde und ſeine Kinder gleichguͤl- tig ſind, der hat ſich gewiß nicht recht um ſei- ne Pfiichten bekuͤmmert, und kann die Nichter- fuͤllung ſeiner haͤuslichen Pflichten haͤusliches Gluͤck hervorbringen? ich daͤchte das hoͤchſte Gluͤck des Lebens ſollte doch nicht langweilig ſeyn zu beſorgen! Wer in ſeinem Hauſe Langeweile findet, der iſt gewiß im hohen Grade ungluͤcklich; wird er ſie in Geſellſchaft vergeſſen, wohin er ſie mitbringt? vielleicht auf einige Augenblicke, um ſie dann noch druͤckender zu fuͤhlen. Sollte die Lektuͤre das Gegenmittel zu Hauſe ſeyn: ſo muͤßte ſie warlich anders beſchaffen ſeyn, denn das ewige Einerlei der Modebuͤcher und be- ſonders der Rittermaͤhrchen, von Anfang bis zu Ende, dient gewiß mehr dazu die Langeweile zu vermehren als zu vermindern. Aus ihnen gehet Mißmuth, Unzufriedenheit mit ſich ſelbſt, und mit denen die uns umgehen hervor, die F

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Zitationshilfe: Johann Gottfried, Hoche: Vertraute Briefe über die jetzige abentheuerliche Lesesucht. Hannover, 1794, S. 81. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hoche_lesesucht_1794/81>, abgerufen am 25.11.2024.