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Johann Gottfried, Hoche: Vertraute Briefe über die jetzige abentheuerliche Lesesucht. Hannover, 1794.

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also der Untersatz in dem Hauptzweck des Lesens
den ich oben angab. -- Die weiblichliche Lek-
türe muß

"das Herz der Leserin für das Gute erwär-
"men, ihre Gefühle und Empfindungen sanft
"rühren, aber nicht so erschüttern daß sie in
"Unordnug kommen, und durch den Reiz die-
"ser angenehmen Empfindungen, die richtig ge-
"leitet werden, zum Streben nach höherer sitt-
"lichen Vollkommenheit hinziehon. Sie muß
"durch den Einklang ihrer Gefühle und Em-
"pfindungen das Einstimmige in ihren Hand-
"lungen befördern, und so den sanften
"liebenswürdigen Charakter bilden, der un-
"widerstehlich anziehet, und alles, was sich
"ihm nähert, fröhlich macht. Die Bildung des
"weiblichen Charakters, die Richtung ihrer
"Seelenkräfte ist so wichtig, und der Einfluß
"derselben auf das ganze menschliche Leben so
"entschieden, daß Erzieher und Erziehe-
"rinnen unverantwortlich fehlen, wenn sie ihn
"vernachlässigen. Eben dies trift die Schrift-
"steller die das weibliche Geschlecht so klein
"behandeln. Das Vergnügen, welches Frauen-
"zimmmer durch die Lektüre geniessen, muß,
"weil sie durch ihr Geschlecht und Erziehung
"zum abstrakten denken nicht bestimmt zu
"seyn scheinen, in einer leichten Beschäftigung

alſo der Unterſatz in dem Hauptzweck des Leſens
den ich oben angab. — Die weiblichliche Lek-
tuͤre muß

“das Herz der Leſerin fuͤr das Gute erwaͤr-
„men, ihre Gefuͤhle und Empfindungen ſanft
„ruͤhren, aber nicht ſo erſchuͤttern daß ſie in
„Unordnug kommen, und durch den Reiz die-
„ſer angenehmen Empfindungen, die richtig ge-
„leitet werden, zum Streben nach hoͤherer ſitt-
„lichen Vollkommenheit hinziehon. Sie muß
„durch den Einklang ihrer Gefuͤhle und Em-
„pfindungen das Einſtimmige in ihren Hand-
„lungen befoͤrdern, und ſo den ſanften
„liebenswuͤrdigen Charakter bilden, der un-
„widerſtehlich anziehet, und alles, was ſich
„ihm naͤhert, froͤhlich macht. Die Bildung des
„weiblichen Charakters, die Richtung ihrer
„Seelenkraͤfte iſt ſo wichtig, und der Einfluß
„derſelben auf das ganze menſchliche Leben ſo
„entſchieden, daß Erzieher und Erziehe-
„rinnen unverantwortlich fehlen, wenn ſie ihn
„vernachlaͤſſigen. Eben dies trift die Schrift-
„ſteller die das weibliche Geſchlecht ſo klein
„behandeln. Das Vergnuͤgen, welches Frauen-
„zimm̃er durch die Lektuͤre genieſſen, muß,
„weil ſie durch ihr Geſchlecht und Erziehung
„zum abſtrakten denken nicht beſtimmt zu
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[93/0093] alſo der Unterſatz in dem Hauptzweck des Leſens den ich oben angab. — Die weiblichliche Lek- tuͤre muß “das Herz der Leſerin fuͤr das Gute erwaͤr- „men, ihre Gefuͤhle und Empfindungen ſanft „ruͤhren, aber nicht ſo erſchuͤttern daß ſie in „Unordnug kommen, und durch den Reiz die- „ſer angenehmen Empfindungen, die richtig ge- „leitet werden, zum Streben nach hoͤherer ſitt- „lichen Vollkommenheit hinziehon. Sie muß „durch den Einklang ihrer Gefuͤhle und Em- „pfindungen das Einſtimmige in ihren Hand- „lungen befoͤrdern, und ſo den ſanften „liebenswuͤrdigen Charakter bilden, der un- „widerſtehlich anziehet, und alles, was ſich „ihm naͤhert, froͤhlich macht. Die Bildung des „weiblichen Charakters, die Richtung ihrer „Seelenkraͤfte iſt ſo wichtig, und der Einfluß „derſelben auf das ganze menſchliche Leben ſo „entſchieden, daß Erzieher und Erziehe- „rinnen unverantwortlich fehlen, wenn ſie ihn „vernachlaͤſſigen. Eben dies trift die Schrift- „ſteller die das weibliche Geſchlecht ſo klein „behandeln. Das Vergnuͤgen, welches Frauen- „zimm̃er durch die Lektuͤre genieſſen, muß, „weil ſie durch ihr Geſchlecht und Erziehung „zum abſtrakten denken nicht beſtimmt zu „ſeyn ſcheinen, in einer leichten Beſchaͤftigung

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Zitationshilfe: Johann Gottfried, Hoche: Vertraute Briefe über die jetzige abentheuerliche Lesesucht. Hannover, 1794, S. 93. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hoche_lesesucht_1794/93>, abgerufen am 24.11.2024.