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Hölderlin, Friedrich: Gedichte. Stuttgart u. a., 1826.

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Wohl gehn Frühlinge fort, ein Jahr verdränget
das andre,
Wechselnd und streitend, so tost droben vorüber
die Zeit
Ueber sterblichem Haupt, doch nicht vor seligen Augen,
Und den Liebenden ist anderes Leben geschenkt.
Denn sie alle, die Tag' und Jahre der Sterne,
sie waren
Diotima! um uns innig und ewig vereint.
4.
Aber wir, zufrieden gesellt, wie die liebenden
Schwäne,
Wenn sie ruhen am See, oder auf Wellen gewiegt,
Niedersehn in die Wasser, wo silberne Wolken sich
spiegeln,
Und ätherisches Blau unter den Schiffenden wallt,
So auf Erden wandelten wir. Und drohte der
Nord auch,
Er, der Liebenden Feind, klagenbereitend, und
fiel
Von den Aesten das Laub, und flog im Winde der
Regen,
Ruhig lächelten wir, fühlten den eigenen Gott
Unter trautem Gespräch, in Einem Seelengesange,
Ganz in Frieden mit uns kindlich und freudig
allein.
Wohl gehn Fruͤhlinge fort, ein Jahr verdraͤnget
das andre,
Wechſelnd und ſtreitend, ſo tost droben voruͤber
die Zeit
Ueber ſterblichem Haupt, doch nicht vor ſeligen Augen,
Und den Liebenden iſt anderes Leben geſchenkt.
Denn ſie alle, die Tag' und Jahre der Sterne,
ſie waren
Diotima! um uns innig und ewig vereint.
4.
Aber wir, zufrieden geſellt, wie die liebenden
Schwaͤne,
Wenn ſie ruhen am See, oder auf Wellen gewiegt,
Niederſehn in die Waſſer, wo ſilberne Wolken ſich
ſpiegeln,
Und aͤtheriſches Blau unter den Schiffenden wallt,
So auf Erden wandelten wir. Und drohte der
Nord auch,
Er, der Liebenden Feind, klagenbereitend, und
fiel
Von den Aeſten das Laub, und flog im Winde der
Regen,
Ruhig laͤchelten wir, fuͤhlten den eigenen Gott
Unter trautem Geſpraͤch, in Einem Seelengeſange,
Ganz in Frieden mit uns kindlich und freudig
allein.
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[130/0138] Wohl gehn Fruͤhlinge fort, ein Jahr verdraͤnget das andre, Wechſelnd und ſtreitend, ſo tost droben voruͤber die Zeit Ueber ſterblichem Haupt, doch nicht vor ſeligen Augen, Und den Liebenden iſt anderes Leben geſchenkt. Denn ſie alle, die Tag' und Jahre der Sterne, ſie waren Diotima! um uns innig und ewig vereint. 4. Aber wir, zufrieden geſellt, wie die liebenden Schwaͤne, Wenn ſie ruhen am See, oder auf Wellen gewiegt, Niederſehn in die Waſſer, wo ſilberne Wolken ſich ſpiegeln, Und aͤtheriſches Blau unter den Schiffenden wallt, So auf Erden wandelten wir. Und drohte der Nord auch, Er, der Liebenden Feind, klagenbereitend, und fiel Von den Aeſten das Laub, und flog im Winde der Regen, Ruhig laͤchelten wir, fuͤhlten den eigenen Gott Unter trautem Geſpraͤch, in Einem Seelengeſange, Ganz in Frieden mit uns kindlich und freudig allein.

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Zitationshilfe: Hölderlin, Friedrich: Gedichte. Stuttgart u. a., 1826, S. 130. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hoelderlin_gedichte_1826/138>, abgerufen am 21.11.2024.