Hölderlin, Friedrich: Hyperion. Erster Band. Tübingen, 1797.Sie nannte sie alle mit Namen, schuff ihnen aus Liebe neue, schönere, und wusste genau die fröhlichste Lebenszeit von jeder. Wie eine Schwester, wenn aus jeder Eke ein Geliebtes ihr entgegenkömmt, und jedes gerne zuerst gegrüsst seyn möchte, so war das stille Wesen mit Aug und Hand beschäftigt, seelig zerstreut, wenn auf der Wiese wir giengen, oder im Walde. Und das war so ganz nicht angenommen, angebildet, das war so mit ihr aufgewachsen. Es ist doch ewig gewiss und zeigt sich überall; je unschuldiger, schöner eine Seele, desto vertrauter mit den andern Glüklichen leben, die man seelenlos nennt. Hyperion an Bellarmin. Tausendmal hab' ich in meiner Herzensfreude gelacht über die Menschen, die sich einbilden, ein erhabner Geist könne unmöglich wissen, wie man ein Gemüsse bereitet. Diotima konnte wohl zur rechten Zeit recht herzhaft von dem Feuerheerde sprechen, und es ist gewiss nichts edler, als ein edles Mädchen, das die allwohlthätige Flamme besorgt, und, ähnlich der Natur, die herzerfreuende Speise bereitet. Sie nannte sie alle mit Namen, schuff ihnen aus Liebe neue, schönere, und wusste genau die fröhlichste Lebenszeit von jeder. Wie eine Schwester, wenn aus jeder Eke ein Geliebtes ihr entgegenkömmt, und jedes gerne zuerst gegrüsst seyn möchte, so war das stille Wesen mit Aug und Hand beschäftigt, seelig zerstreut, wenn auf der Wiese wir giengen, oder im Walde. Und das war so ganz nicht angenommen, angebildet, das war so mit ihr aufgewachsen. Es ist doch ewig gewiss und zeigt sich überall; je unschuldiger, schöner eine Seele, desto vertrauter mit den andern Glüklichen leben, die man seelenlos nennt. Hyperion an Bellarmin. Tausendmal hab’ ich in meiner Herzensfreude gelacht über die Menschen, die sich einbilden, ein erhabner Geist könne unmöglich wissen, wie man ein Gemüsse bereitet. Diotima konnte wohl zur rechten Zeit recht herzhaft von dem Feuerheerde sprechen, und es ist gewiss nichts edler, als ein edles Mädchen, das die allwohlthätige Flamme besorgt, und, ähnlich der Natur, die herzerfreuende Speise bereitet. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div type="chapter" n="2"> <pb facs="#f0106"/> <p>Sie nannte sie alle mit Namen, schuff ihnen aus Liebe neue, schönere, und wusste genau die fröhlichste Lebenszeit von jeder.</p><lb/> <p>Wie eine Schwester, wenn aus jeder Eke ein Geliebtes ihr entgegenkömmt, und jedes gerne zuerst gegrüsst seyn möchte, so war das stille Wesen mit Aug und Hand beschäftigt, seelig zerstreut, wenn auf der Wiese wir giengen, oder im Walde.</p><lb/> <p>Und das war so ganz nicht angenommen, angebildet, das war so mit ihr aufgewachsen.</p><lb/> <p>Es ist doch ewig gewiss und zeigt sich überall; je unschuldiger, schöner eine Seele, desto vertrauter mit den andern Glüklichen leben, die man seelenlos nennt.</p><lb/> </div><lb/> <div type="chapter" n="2"> <head><hi rendition="#g #k">Hyperion</hi> an <hi rendition="#g #k">Bellarmin</hi>.</head><lb/> <p>Tausendmal hab’ ich in meiner Herzensfreude gelacht über die Menschen, die sich einbilden, ein erhabner Geist könne unmöglich wissen, wie man ein Gemüsse bereitet. Diotima konnte wohl zur rechten Zeit recht herzhaft von dem Feuerheerde sprechen, und es ist gewiss nichts edler, als ein edles Mädchen, das die allwohlthätige Flamme besorgt, und, ähnlich der Natur, die herzerfreuende Speise bereitet.</p><lb/> </div><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [0106]
Sie nannte sie alle mit Namen, schuff ihnen aus Liebe neue, schönere, und wusste genau die fröhlichste Lebenszeit von jeder.
Wie eine Schwester, wenn aus jeder Eke ein Geliebtes ihr entgegenkömmt, und jedes gerne zuerst gegrüsst seyn möchte, so war das stille Wesen mit Aug und Hand beschäftigt, seelig zerstreut, wenn auf der Wiese wir giengen, oder im Walde.
Und das war so ganz nicht angenommen, angebildet, das war so mit ihr aufgewachsen.
Es ist doch ewig gewiss und zeigt sich überall; je unschuldiger, schöner eine Seele, desto vertrauter mit den andern Glüklichen leben, die man seelenlos nennt.
Hyperion an Bellarmin.
Tausendmal hab’ ich in meiner Herzensfreude gelacht über die Menschen, die sich einbilden, ein erhabner Geist könne unmöglich wissen, wie man ein Gemüsse bereitet. Diotima konnte wohl zur rechten Zeit recht herzhaft von dem Feuerheerde sprechen, und es ist gewiss nichts edler, als ein edles Mädchen, das die allwohlthätige Flamme besorgt, und, ähnlich der Natur, die herzerfreuende Speise bereitet.
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Zitationshilfe: | Hölderlin, Friedrich: Hyperion. Erster Band. Tübingen, 1797, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hoelderlin_hyperion01_1797/106>, abgerufen am 16.07.2024. |