Hölderlin, Friedrich: Hyperion. Erster Band. Tübingen, 1797.und der liebliche Othem an die Seele mir gieng - o Bellarmin! die Sinne vergehn mir und der Geist entflieht. Ich seh', ich sehe, wie das enden muss. Das Steuer ist in die Wooge gefallen und das Schiff wird, wie an den Füssen ein Kind, ergriffen und an die Felsen geschleudert. Hyperion an Bellarmin. Es giebt grosse Stunden im Leben. Wir schauen an ihnen hinauf, wie an den kolossalischen Gestalten der Zukunft und des Altertums, wir kämpfen einen herrlichen Kampf mit ihnen, und bestehn wir vor ihnen, so werden sie, wie Schwestern, und verlassen uns nicht. Wir sassen einst zusammen auf unsrem Berge, auf einem Steine der alten Stadt dieser Insel und sprachen davon, wie hier der Löwe Demosthenes sein Ende gefunden, wie er hier mit heiligem selbsterwähltem Tode aus den Macedonischen Ketten und Dolchen sich zur Freiheit geholfen - Der herrliche Geist gieng scherzend aus der Welt, rief einer; warum nicht? sagt' ich; er hatte nichts mehr hier zu suchen; Athen war Alexanders Dirne geworden, und die Welt, wie ein Hirsch, von dem grossen Jäger zu Tode gehezt. und der liebliche Othem an die Seele mir gieng – o Bellarmin! die Sinne vergehn mir und der Geist entflieht. Ich seh’, ich sehe, wie das enden muss. Das Steuer ist in die Wooge gefallen und das Schiff wird, wie an den Füssen ein Kind, ergriffen und an die Felsen geschleudert. Hyperion an Bellarmin. Es giebt grosse Stunden im Leben. Wir schauen an ihnen hinauf, wie an den kolossalischen Gestalten der Zukunft und des Altertums, wir kämpfen einen herrlichen Kampf mit ihnen, und bestehn wir vor ihnen, so werden sie, wie Schwestern, und verlassen uns nicht. Wir sassen einst zusammen auf unsrem Berge, auf einem Steine der alten Stadt dieser Insel und sprachen davon, wie hier der Löwe Demosthenes sein Ende gefunden, wie er hier mit heiligem selbsterwähltem Tode aus den Macedonischen Ketten und Dolchen sich zur Freiheit geholfen – Der herrliche Geist gieng scherzend aus der Welt, rief einer; warum nicht? sagt’ ich; er hatte nichts mehr hier zu suchen; Athen war Alexanders Dirne geworden, und die Welt, wie ein Hirsch, von dem grossen Jäger zu Tode gehezt. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div type="chapter" n="2"> <p><pb facs="#f0142"/> und der liebliche Othem an die Seele mir gieng – o <hi rendition="#g">Bellarmin!</hi> die Sinne vergehn mir und der Geist entflieht.</p><lb/> <p>Ich seh’, ich sehe, wie das enden muss. Das Steuer ist in die Wooge gefallen und das Schiff wird, wie an den Füssen ein Kind, ergriffen und an die Felsen geschleudert.</p><lb/> </div><lb/> <div type="chapter" n="2"> <head><hi rendition="#g #k">Hyperion</hi> an <hi rendition="#g #k">Bellarmin</hi>.</head><lb/> <p>Es giebt grosse Stunden im Leben. Wir schauen an ihnen hinauf, wie an den kolossalischen Gestalten der Zukunft und des Altertums, wir kämpfen einen herrlichen Kampf mit ihnen, und bestehn wir vor ihnen, so werden sie, wie Schwestern, und verlassen uns nicht.</p><lb/> <p>Wir sassen einst zusammen auf unsrem Berge, auf einem Steine der alten Stadt dieser Insel und sprachen davon, wie hier der Löwe Demosthenes sein Ende gefunden, wie er hier mit heiligem selbsterwähltem Tode aus den Macedonischen Ketten und Dolchen sich zur Freiheit geholfen – Der herrliche Geist gieng scherzend aus der Welt, rief einer; warum nicht? sagt’ ich; er hatte nichts mehr hier zu suchen; Athen war Alexanders Dirne geworden, und die Welt, wie ein Hirsch, von dem grossen Jäger zu Tode gehezt.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0142]
und der liebliche Othem an die Seele mir gieng – o Bellarmin! die Sinne vergehn mir und der Geist entflieht.
Ich seh’, ich sehe, wie das enden muss. Das Steuer ist in die Wooge gefallen und das Schiff wird, wie an den Füssen ein Kind, ergriffen und an die Felsen geschleudert.
Hyperion an Bellarmin.
Es giebt grosse Stunden im Leben. Wir schauen an ihnen hinauf, wie an den kolossalischen Gestalten der Zukunft und des Altertums, wir kämpfen einen herrlichen Kampf mit ihnen, und bestehn wir vor ihnen, so werden sie, wie Schwestern, und verlassen uns nicht.
Wir sassen einst zusammen auf unsrem Berge, auf einem Steine der alten Stadt dieser Insel und sprachen davon, wie hier der Löwe Demosthenes sein Ende gefunden, wie er hier mit heiligem selbsterwähltem Tode aus den Macedonischen Ketten und Dolchen sich zur Freiheit geholfen – Der herrliche Geist gieng scherzend aus der Welt, rief einer; warum nicht? sagt’ ich; er hatte nichts mehr hier zu suchen; Athen war Alexanders Dirne geworden, und die Welt, wie ein Hirsch, von dem grossen Jäger zu Tode gehezt.
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Zitationshilfe: | Hölderlin, Friedrich: Hyperion. Erster Band. Tübingen, 1797, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hoelderlin_hyperion01_1797/142>, abgerufen am 16.07.2024. |