Hölderlin, Friedrich: Hyperion. Erster Band. Tübingen, 1797.Walds, der am Abend noch grünte, und des Nachts darauf im Feuer aufging. Hier, sagte Diotima, lernt man stille seyn über sein eigen Schiksaal, es seye gut oder böse. Hier lernt man stille seyn über Alles, fuhr ich fort. Hätten die Schnitter, die diess Kornfeld gemäht, ihre Scheunen mit seinen Halmen bereichert, so wäre nichts verloren gegangen, und ich wollte mich begnügen, hier als Ährenleser zu stehn; aber wer gewann denn? Ganz Europa, erwiedert' einer von den Freunden. O ja! rief ich, sie haben die Säulen und Statuen weggeschleift und an einander verkauft, haben die edlen Gestalten nicht wenig geschäzt, der Seltenheit wegen, wie man Papagayen und Affen schäzt. Sage das nicht! erwiedert' derselbe; und mangelt' auch wirklich ihnen der Geist von all' dem Schönen, so wär' es, weil der nicht weggetragen werden konnte und nicht gekauft. Ja wohl! rief ich. Dieser Geist war auch untergegangen noch ehe die Zerstörer über Attika kamen. Erst, wenn die Häuser und Tempel ausgestorben, wagen sich die wilden Thiere in die Thore und Gassen. Wer jenen Geist hat, sagte Diotima trö- Walds, der am Abend noch grünte, und des Nachts darauf im Feuer aufging. Hier, sagte Diotima, lernt man stille seyn über sein eigen Schiksaal, es seye gut oder böse. Hier lernt man stille seyn über Alles, fuhr ich fort. Hätten die Schnitter, die diess Kornfeld gemäht, ihre Scheunen mit seinen Halmen bereichert, so wäre nichts verloren gegangen, und ich wollte mich begnügen, hier als Ährenleser zu stehn; aber wer gewann denn? Ganz Europa, erwiedert’ einer von den Freunden. O ja! rief ich, sie haben die Säulen und Statuen weggeschleift und an einander verkauft, haben die edlen Gestalten nicht wenig geschäzt, der Seltenheit wegen, wie man Papagayen und Affen schäzt. Sage das nicht! erwiedert’ derselbe; und mangelt’ auch wirklich ihnen der Geist von all’ dem Schönen, so wär’ es, weil der nicht weggetragen werden konnte und nicht gekauft. Ja wohl! rief ich. Dieser Geist war auch untergegangen noch ehe die Zerstörer über Attika kamen. Erst, wenn die Häuser und Tempel ausgestorben, wagen sich die wilden Thiere in die Thore und Gassen. Wer jenen Geist hat, sagte Diotima trö- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div type="chapter" n="2"> <p><pb facs="#f0158"/> Walds, der am Abend noch grünte, und des Nachts darauf im Feuer aufging.</p><lb/> <p>Hier, sagte Diotima, lernt man stille seyn über sein eigen Schiksaal, es seye gut oder böse.</p><lb/> <p>Hier lernt man stille seyn über Alles, fuhr ich fort. Hätten die Schnitter, die diess Kornfeld gemäht, ihre Scheunen mit seinen Halmen bereichert, so wäre nichts verloren gegangen, und ich wollte mich begnügen, hier als Ährenleser zu stehn; aber wer gewann denn?</p><lb/> <p>Ganz Europa, erwiedert’ einer von den Freunden.</p><lb/> <p>O ja! rief ich, sie haben die Säulen und Statuen weggeschleift und an einander verkauft, haben die edlen Gestalten nicht wenig geschäzt, der Seltenheit wegen, wie man Papagayen und Affen schäzt.</p><lb/> <p>Sage das nicht! erwiedert’ derselbe; und mangelt’ auch wirklich ihnen der Geist von all’ dem Schönen, so wär’ es, weil der nicht weggetragen werden konnte und nicht gekauft.</p><lb/> <p>Ja wohl! rief ich. Dieser Geist war auch untergegangen noch ehe die Zerstörer über Attika kamen. Erst, wenn die Häuser und Tempel ausgestorben, wagen sich die wilden Thiere in die Thore und Gassen.</p><lb/> <p>Wer jenen Geist hat, sagte Diotima trö- </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0158]
Walds, der am Abend noch grünte, und des Nachts darauf im Feuer aufging.
Hier, sagte Diotima, lernt man stille seyn über sein eigen Schiksaal, es seye gut oder böse.
Hier lernt man stille seyn über Alles, fuhr ich fort. Hätten die Schnitter, die diess Kornfeld gemäht, ihre Scheunen mit seinen Halmen bereichert, so wäre nichts verloren gegangen, und ich wollte mich begnügen, hier als Ährenleser zu stehn; aber wer gewann denn?
Ganz Europa, erwiedert’ einer von den Freunden.
O ja! rief ich, sie haben die Säulen und Statuen weggeschleift und an einander verkauft, haben die edlen Gestalten nicht wenig geschäzt, der Seltenheit wegen, wie man Papagayen und Affen schäzt.
Sage das nicht! erwiedert’ derselbe; und mangelt’ auch wirklich ihnen der Geist von all’ dem Schönen, so wär’ es, weil der nicht weggetragen werden konnte und nicht gekauft.
Ja wohl! rief ich. Dieser Geist war auch untergegangen noch ehe die Zerstörer über Attika kamen. Erst, wenn die Häuser und Tempel ausgestorben, wagen sich die wilden Thiere in die Thore und Gassen.
Wer jenen Geist hat, sagte Diotima trö-
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/hoelderlin_hyperion01_1797 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/hoelderlin_hyperion01_1797/158 |
Zitationshilfe: | Hölderlin, Friedrich: Hyperion. Erster Band. Tübingen, 1797, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hoelderlin_hyperion01_1797/158>, abgerufen am 16.02.2025. |