Hölderlin, Friedrich: Hyperion. Erster Band. Tübingen, 1797.warum sollte denn ich nicht pflanzen können und baun, was noth ist? Was? der arabische Kaufmann säete seinen Koran aus, und es wuchs ein Volk von Schülern, wie ein unendlicher Wald, ihm auf, und der Aker sollte nicht auch gedeihn, wo die alte Wahrheit wiederkehrt in neu lebendiger Jugend? Es werde von Grund aus anders! Aus der Wurzel der Menschheit sprosse die neue Welt! Eine neue Gottheit walte über ihnen, eine neue Zukunft kläre vor ihnen sich auf. In der Werkstatt, in den Häusern, in den Versammlungen, in den Tempeln, überall werd' es anders! Aber ich muss noch ausgehn, zu lernen. Ich bin ein Künstler, aber ich bin nicht geschikt. Ich bilde im Geiste, aber ich weiss noch die Hand nicht zu führen - Du gehest nach Italien, sagte Diotima, nach Deutschland, Frankreich - wie viel Jahre brauchst Du? drei - vier - ich denke drei sind genug; Du bist ja keiner von den Langsamen, und suchst das Grösste und das Schönste nur - "Und dann?" Du wirst Erzieher unsers Volks, Du wirst ein grosser Mensch seyn, hoff' ich. Und wenn ich dann Dich so umfasse, da werd' ich träumen, als wär' ich ein Theil des herrlichen Manns, da werd' ich frohlokken, als hättst Du mir die Hälfte deiner Unsterblichkeit, wie Pollux dem Kastor, geschenkt, o! ich werd' ein stolzes Mädchen werden, Hyperion! warum sollte denn ich nicht pflanzen können und baun, was noth ist? Was? der arabische Kaufmann säete seinen Koran aus, und es wuchs ein Volk von Schülern, wie ein unendlicher Wald, ihm auf, und der Aker sollte nicht auch gedeihn, wo die alte Wahrheit wiederkehrt in neu lebendiger Jugend? Es werde von Grund aus anders! Aus der Wurzel der Menschheit sprosse die neue Welt! Eine neue Gottheit walte über ihnen, eine neue Zukunft kläre vor ihnen sich auf. In der Werkstatt, in den Häusern, in den Versammlungen, in den Tempeln, überall werd’ es anders! Aber ich muss noch ausgehn, zu lernen. Ich bin ein Künstler, aber ich bin nicht geschikt. Ich bilde im Geiste, aber ich weiss noch die Hand nicht zu führen – Du gehest nach Italien, sagte Diotima, nach Deutschland, Frankreich – wie viel Jahre brauchst Du? drei – vier – ich denke drei sind genug; Du bist ja keiner von den Langsamen, und suchst das Grösste und das Schönste nur – „Und dann?“ Du wirst Erzieher unsers Volks, Du wirst ein grosser Mensch seyn, hoff’ ich. Und wenn ich dann Dich so umfasse, da werd’ ich träumen, als wär’ ich ein Theil des herrlichen Manns, da werd’ ich frohlokken, als hättst Du mir die Hälfte deiner Unsterblichkeit, wie Pollux dem Kastor, geschenkt, o! ich werd’ ein stolzes Mädchen werden, Hyperion! <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div type="chapter" n="2"> <p><pb facs="#f0165"/> warum sollte denn ich nicht pflanzen können und baun, was noth ist?</p><lb/> <p>Was? der arabische Kaufmann säete seinen Koran aus, und es wuchs ein Volk von Schülern, wie ein unendlicher Wald, ihm auf, und der Aker sollte nicht auch gedeihn, wo die alte Wahrheit wiederkehrt in neu lebendiger Jugend?</p><lb/> <p>Es werde von Grund aus anders! Aus der Wurzel der Menschheit sprosse die neue Welt! Eine neue Gottheit walte über ihnen, eine neue Zukunft kläre vor ihnen sich auf.</p><lb/> <p>In der Werkstatt, in den Häusern, in den Versammlungen, in den Tempeln, überall werd’ es anders!</p><lb/> <p>Aber ich muss noch ausgehn, zu lernen. Ich bin ein Künstler, aber ich bin nicht geschikt. Ich bilde im Geiste, aber ich weiss noch die Hand nicht zu führen –</p><lb/> <p>Du gehest nach Italien, sagte Diotima, nach Deutschland, Frankreich – wie viel Jahre brauchst Du? drei – vier – ich denke drei sind genug; Du bist ja keiner von den Langsamen, und suchst das Grösste und das Schönste nur –</p><lb/> <p>„Und dann?“</p><lb/> <p>Du wirst Erzieher unsers Volks, Du wirst ein grosser Mensch seyn, hoff’ ich. Und wenn ich dann Dich so umfasse, da werd’ ich träumen, als wär’ ich ein Theil des herrlichen Manns, da werd’ ich frohlokken, als hättst Du mir die Hälfte deiner Unsterblichkeit, wie Pollux dem Kastor, geschenkt, o! ich werd’ ein stolzes Mädchen werden, Hyperion!</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0165]
warum sollte denn ich nicht pflanzen können und baun, was noth ist?
Was? der arabische Kaufmann säete seinen Koran aus, und es wuchs ein Volk von Schülern, wie ein unendlicher Wald, ihm auf, und der Aker sollte nicht auch gedeihn, wo die alte Wahrheit wiederkehrt in neu lebendiger Jugend?
Es werde von Grund aus anders! Aus der Wurzel der Menschheit sprosse die neue Welt! Eine neue Gottheit walte über ihnen, eine neue Zukunft kläre vor ihnen sich auf.
In der Werkstatt, in den Häusern, in den Versammlungen, in den Tempeln, überall werd’ es anders!
Aber ich muss noch ausgehn, zu lernen. Ich bin ein Künstler, aber ich bin nicht geschikt. Ich bilde im Geiste, aber ich weiss noch die Hand nicht zu führen –
Du gehest nach Italien, sagte Diotima, nach Deutschland, Frankreich – wie viel Jahre brauchst Du? drei – vier – ich denke drei sind genug; Du bist ja keiner von den Langsamen, und suchst das Grösste und das Schönste nur –
„Und dann?“
Du wirst Erzieher unsers Volks, Du wirst ein grosser Mensch seyn, hoff’ ich. Und wenn ich dann Dich so umfasse, da werd’ ich träumen, als wär’ ich ein Theil des herrlichen Manns, da werd’ ich frohlokken, als hättst Du mir die Hälfte deiner Unsterblichkeit, wie Pollux dem Kastor, geschenkt, o! ich werd’ ein stolzes Mädchen werden, Hyperion!
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Zitationshilfe: | Hölderlin, Friedrich: Hyperion. Erster Band. Tübingen, 1797, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hoelderlin_hyperion01_1797/165>, abgerufen am 16.07.2024. |