Hölderlin, Friedrich: Hyperion. Erster Band. Tübingen, 1797.Lass mich! lass mich! rief ich; ich sträubte mich umsonst; der Mensch machte mich zum Kinde; ich verbarg's ihm auch nicht; er sah meine Thränen, und weh ihm, wenn er sie nicht sehen durfte! Wir schwelgen, begann nun Alabanda wieder, wir tödten im Rausche die Zeit. Wir haben unsre Bräutigamstage zusammen, rief ich erheitert, da darf es wohl noch lauten, als wäre man in Arkadien. - Aber auf unser vorig Gespräch zu kommen! Du räumst dem Staate denn doch zu viel Gewalt ein. Er darf nicht fordern, was er nicht erzwingen kann. Was aber die Liebe giebt und der Geist, das lässt sich nicht erzwingen. Das lass' er unangetastet, oder man nehme sein Gesez und schlag' es an den Pranger! Beim Himmel! der weiss nicht, was er sündigt, der den Staat zur Sittenschule machen will. Immerhin hat das den Staat zur Hölle gemacht, dass ihn der Mensch zu seinem Himmel machen wollte. Die rauhe Hülse um den Kern des Lebens und nichts weiter ist der Staat. Er ist die Mauer um den Garten menschlicher Früchte und Blumen. Lass mich! lass mich! rief ich; ich sträubte mich umsonst; der Mensch machte mich zum Kinde; ich verbarg’s ihm auch nicht; er sah meine Thränen, und weh ihm, wenn er sie nicht sehen durfte! Wir schwelgen, begann nun Alabanda wieder, wir tödten im Rausche die Zeit. Wir haben unsre Bräutigamstage zusammen, rief ich erheitert, da darf es wohl noch lauten, als wäre man in Arkadien. – Aber auf unser vorig Gespräch zu kommen! Du räumst dem Staate denn doch zu viel Gewalt ein. Er darf nicht fordern, was er nicht erzwingen kann. Was aber die Liebe giebt und der Geist, das lässt sich nicht erzwingen. Das lass’ er unangetastet, oder man nehme sein Gesez und schlag’ es an den Pranger! Beim Himmel! der weiss nicht, was er sündigt, der den Staat zur Sittenschule machen will. Immerhin hat das den Staat zur Hölle gemacht, dass ihn der Mensch zu seinem Himmel machen wollte. Die rauhe Hülse um den Kern des Lebens und nichts weiter ist der Staat. Er ist die Mauer um den Garten menschlicher Früchte und Blumen. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div type="chapter" n="2"> <pb facs="#f0059"/> <p>Lass mich! lass mich! rief ich; ich sträubte mich umsonst; der Mensch machte mich zum Kinde; ich verbarg’s ihm auch nicht; er sah meine Thränen, und weh ihm, wenn er sie nicht sehen durfte!</p><lb/> <p>Wir schwelgen, begann nun Alabanda wieder, wir tödten im Rausche die Zeit.</p><lb/> <p>Wir haben unsre Bräutigamstage zusammen, rief ich erheitert, da darf es wohl noch lauten, als wäre man in Arkadien. – Aber auf unser vorig Gespräch zu kommen!</p><lb/> <p>Du räumst dem Staate denn doch zu viel Gewalt ein. Er darf nicht fordern, was er nicht erzwingen kann. Was aber die Liebe giebt und der Geist, das lässt sich nicht erzwingen. Das lass’ er unangetastet, oder man nehme sein Gesez und schlag’ es an den Pranger! Beim Himmel! der weiss nicht, was er sündigt, der den Staat zur Sittenschule machen will. Immerhin hat das den Staat zur Hölle gemacht, dass ihn der Mensch zu seinem Himmel machen wollte.</p><lb/> <p>Die rauhe Hülse um den Kern des Lebens und nichts weiter ist der Staat. Er ist die Mauer um den Garten menschlicher Früchte und Blumen.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0059]
Lass mich! lass mich! rief ich; ich sträubte mich umsonst; der Mensch machte mich zum Kinde; ich verbarg’s ihm auch nicht; er sah meine Thränen, und weh ihm, wenn er sie nicht sehen durfte!
Wir schwelgen, begann nun Alabanda wieder, wir tödten im Rausche die Zeit.
Wir haben unsre Bräutigamstage zusammen, rief ich erheitert, da darf es wohl noch lauten, als wäre man in Arkadien. – Aber auf unser vorig Gespräch zu kommen!
Du räumst dem Staate denn doch zu viel Gewalt ein. Er darf nicht fordern, was er nicht erzwingen kann. Was aber die Liebe giebt und der Geist, das lässt sich nicht erzwingen. Das lass’ er unangetastet, oder man nehme sein Gesez und schlag’ es an den Pranger! Beim Himmel! der weiss nicht, was er sündigt, der den Staat zur Sittenschule machen will. Immerhin hat das den Staat zur Hölle gemacht, dass ihn der Mensch zu seinem Himmel machen wollte.
Die rauhe Hülse um den Kern des Lebens und nichts weiter ist der Staat. Er ist die Mauer um den Garten menschlicher Früchte und Blumen.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/hoelderlin_hyperion01_1797 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/hoelderlin_hyperion01_1797/59 |
Zitationshilfe: | Hölderlin, Friedrich: Hyperion. Erster Band. Tübingen, 1797, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hoelderlin_hyperion01_1797/59>, abgerufen am 16.07.2024. |