Hölderlin, Friedrich: Hyperion. Erster Band. Tübingen, 1797.Wer sehnt sich nicht nach Freuden der Liebe und grossen Thaten, wenn im Auge des Himmels und im Busen der Erde der Frühling wiederkehrt? Ich erhob mich, wie vom Krankenbette, leise und langsam, aber von geheimen Hoffnungen zitterte mir die Brust so selig, daß ich drüber vergass, zu fragen, was diess zu bedeuten habe. Schönere Träume umfiengen mich jezt im Schlafe, und wenn ich erwachte, waren sie mir im Herzen, wie die Spur eines Kusses auf der Wange der Geliebten. O das Morgenlicht und ich, wir giengen nun uns entgegen, wie versöhnte Freunde, wenn sie noch etwas fremde thun, und doch den nahen unendlichen Augenblik des Umarmens schon in der Seele tragen. Es that nun wirklich einmal wieder mein Auge sich auf, freilich, nicht mehr, wie sonst, gerüstet und erfüllt mit eigner Kraft, es war bittender geworden, es fleht' um Leben, aber es war mir im Innersten doch, als könnt' es wieder werden mit mir, wie sonst, und besser. Ich sahe die Menschen wieder an, als sollt' auch ich wirken und mich freuen unter ihnen. Ich schloss mich wirklich herzlich überall an. Wer sehnt sich nicht nach Freuden der Liebe und grossen Thaten, wenn im Auge des Himmels und im Busen der Erde der Frühling wiederkehrt? Ich erhob mich, wie vom Krankenbette, leise und langsam, aber von geheimen Hoffnungen zitterte mir die Brust so selig, daß ich drüber vergass, zu fragen, was diess zu bedeuten habe. Schönere Träume umfiengen mich jezt im Schlafe, und wenn ich erwachte, waren sie mir im Herzen, wie die Spur eines Kusses auf der Wange der Geliebten. O das Morgenlicht und ich, wir giengen nun uns entgegen, wie versöhnte Freunde, wenn sie noch etwas fremde thun, und doch den nahen unendlichen Augenblik des Umarmens schon in der Seele tragen. Es that nun wirklich einmal wieder mein Auge sich auf, freilich, nicht mehr, wie sonst, gerüstet und erfüllt mit eigner Kraft, es war bittender geworden, es fleht’ um Leben, aber es war mir im Innersten doch, als könnt’ es wieder werden mit mir, wie sonst, und besser. Ich sahe die Menschen wieder an, als sollt’ auch ich wirken und mich freuen unter ihnen. Ich schloss mich wirklich herzlich überall an. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div type="chapter" n="2"> <pb facs="#f0081"/> <p>Wer sehnt sich nicht nach Freuden der Liebe und grossen Thaten, wenn im Auge des Himmels und im Busen der Erde der Frühling wiederkehrt?</p><lb/> <p>Ich erhob mich, wie vom Krankenbette, leise und langsam, aber von geheimen Hoffnungen zitterte mir die Brust so selig, daß ich drüber vergass, zu fragen, was diess zu bedeuten habe.</p><lb/> <p>Schönere Träume umfiengen mich jezt im Schlafe, und wenn ich erwachte, waren sie mir im Herzen, wie die Spur eines Kusses auf der Wange der Geliebten. O das Morgenlicht und ich, wir giengen nun uns entgegen, wie versöhnte Freunde, wenn sie noch etwas fremde thun, und doch den nahen unendlichen Augenblik des Umarmens schon in der Seele tragen.</p><lb/> <p>Es that nun wirklich einmal wieder mein Auge sich auf, freilich, nicht mehr, wie sonst, gerüstet und erfüllt mit eigner Kraft, es war bittender geworden, es fleht’ um Leben, aber es war mir im Innersten doch, als könnt’ es wieder werden mit mir, wie sonst, und besser.</p><lb/> <p>Ich sahe die Menschen wieder an, als sollt’ auch ich wirken und mich freuen unter ihnen. Ich schloss mich wirklich herzlich überall an.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0081]
Wer sehnt sich nicht nach Freuden der Liebe und grossen Thaten, wenn im Auge des Himmels und im Busen der Erde der Frühling wiederkehrt?
Ich erhob mich, wie vom Krankenbette, leise und langsam, aber von geheimen Hoffnungen zitterte mir die Brust so selig, daß ich drüber vergass, zu fragen, was diess zu bedeuten habe.
Schönere Träume umfiengen mich jezt im Schlafe, und wenn ich erwachte, waren sie mir im Herzen, wie die Spur eines Kusses auf der Wange der Geliebten. O das Morgenlicht und ich, wir giengen nun uns entgegen, wie versöhnte Freunde, wenn sie noch etwas fremde thun, und doch den nahen unendlichen Augenblik des Umarmens schon in der Seele tragen.
Es that nun wirklich einmal wieder mein Auge sich auf, freilich, nicht mehr, wie sonst, gerüstet und erfüllt mit eigner Kraft, es war bittender geworden, es fleht’ um Leben, aber es war mir im Innersten doch, als könnt’ es wieder werden mit mir, wie sonst, und besser.
Ich sahe die Menschen wieder an, als sollt’ auch ich wirken und mich freuen unter ihnen. Ich schloss mich wirklich herzlich überall an.
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Zitationshilfe: | Hölderlin, Friedrich: Hyperion. Erster Band. Tübingen, 1797, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hoelderlin_hyperion01_1797/81>, abgerufen am 16.07.2024. |