Hölderlin, Friedrich: Hyperion. Zweiter Band. Tübingen, 1799.Das rettet ihn allein, daß er sich aufmacht und die Natter zertritt, das kriechende Jahrhundert, das alle schöne Natur im Keime vergiftet! - Altern sollt ich, Diotima! wenn ich Griechenland befreie? altern, ärmlich werden, ein gemeiner Mensch? O so war er wohl recht schaal und leer und gottverlassen, der Athenerjüngling, da er als Siegesbothe von Marathon über den Gipfel des Pentele kam und hinabsah in die Thäler von Attika! Lieber! Lieber! rief Diotima, sei doch still! ich sage dir kein Wort mehr. Du sollst gehn, sollst gehen, stolzer Mensch! Ach! wenn du so bist, hab' ich keine Macht, kein Recht auf dich. Sie weinte bitter und ich stand, wie ein Verbrecher, vor ihr. Vergieb mir, göttliches Mädchen! rief ich, vor ihr niedergesunken, o vergieb mir, wo ich muß! Ich wähle nicht, ich sinne nicht. Eine Macht ist in mir und ich weiß nicht, ob ich es selbst bin, was zu dem Schritte mich treibt. Deine volle Seele gebietet dirs, antwortete sie. Ihr nicht zu folgen, führt oft zum Untergange, doch, ihr zu folgen, wohl auch. Das beste ist, du gehst, denn es ist größer. Handle du; ich will es tragen. Das rettet ihn allein, daß er sich aufmacht und die Natter zertritt, das kriechende Jahrhundert, das alle schöne Natur im Keime vergiftet! – Altern sollt ich, Diotima! wenn ich Griechenland befreie? altern, ärmlich werden, ein gemeiner Mensch? O so war er wohl recht schaal und leer und gottverlassen, der Athenerjüngling, da er als Siegesbothe von Marathon über den Gipfel des Pentele kam und hinabsah in die Thäler von Attika! Lieber! Lieber! rief Diotima, sei doch still! ich sage dir kein Wort mehr. Du sollst gehn, sollst gehen, stolzer Mensch! Ach! wenn du so bist, hab’ ich keine Macht, kein Recht auf dich. Sie weinte bitter und ich stand, wie ein Verbrecher, vor ihr. Vergieb mir, göttliches Mädchen! rief ich, vor ihr niedergesunken, o vergieb mir, wo ich muß! Ich wähle nicht, ich sinne nicht. Eine Macht ist in mir und ich weiß nicht, ob ich es selbst bin, was zu dem Schritte mich treibt. Deine volle Seele gebietet dirs, antwortete sie. Ihr nicht zu folgen, führt oft zum Untergange, doch, ihr zu folgen, wohl auch. Das beste ist, du gehst, denn es ist größer. Handle du; ich will es tragen. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div type="chapter" n="2"> <p><pb facs="#f0010"/> Das rettet ihn allein, daß er sich aufmacht und die Natter zertritt, das kriechende Jahrhundert, das alle schöne Natur im Keime vergiftet! – Altern sollt ich, Diotima! wenn ich Griechenland befreie? altern, ärmlich werden, ein gemeiner Mensch? O so war er wohl recht schaal und leer und gottverlassen, der Athenerjüngling, da er als Siegesbothe von Marathon über den Gipfel des Pentele kam und hinabsah in die Thäler von Attika!</p><lb/> <p>Lieber! Lieber! rief Diotima, sei doch still! ich sage dir kein Wort mehr. Du sollst gehn, sollst gehen, stolzer Mensch! Ach! wenn du so bist, hab’ ich keine Macht, kein Recht auf dich.</p><lb/> <p>Sie weinte bitter und ich stand, wie ein Verbrecher, vor ihr. Vergieb mir, göttliches Mädchen! rief ich, vor ihr niedergesunken, o vergieb mir, wo ich muß! Ich wähle nicht, ich sinne nicht. Eine Macht ist in mir und ich weiß nicht, ob ich es selbst bin, was zu dem Schritte mich treibt. Deine volle Seele gebietet dirs, antwortete sie. Ihr nicht zu folgen, führt oft zum Untergange, doch, ihr zu folgen, wohl auch. Das beste ist, du gehst, denn es ist größer. Handle du; ich will es tragen.</p><lb/> </div><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [0010]
Das rettet ihn allein, daß er sich aufmacht und die Natter zertritt, das kriechende Jahrhundert, das alle schöne Natur im Keime vergiftet! – Altern sollt ich, Diotima! wenn ich Griechenland befreie? altern, ärmlich werden, ein gemeiner Mensch? O so war er wohl recht schaal und leer und gottverlassen, der Athenerjüngling, da er als Siegesbothe von Marathon über den Gipfel des Pentele kam und hinabsah in die Thäler von Attika!
Lieber! Lieber! rief Diotima, sei doch still! ich sage dir kein Wort mehr. Du sollst gehn, sollst gehen, stolzer Mensch! Ach! wenn du so bist, hab’ ich keine Macht, kein Recht auf dich.
Sie weinte bitter und ich stand, wie ein Verbrecher, vor ihr. Vergieb mir, göttliches Mädchen! rief ich, vor ihr niedergesunken, o vergieb mir, wo ich muß! Ich wähle nicht, ich sinne nicht. Eine Macht ist in mir und ich weiß nicht, ob ich es selbst bin, was zu dem Schritte mich treibt. Deine volle Seele gebietet dirs, antwortete sie. Ihr nicht zu folgen, führt oft zum Untergange, doch, ihr zu folgen, wohl auch. Das beste ist, du gehst, denn es ist größer. Handle du; ich will es tragen.
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(2019-12-12T13:52:36Z)
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Andre Pietsch, Christian Thomas: Bearbeitung der digitalen Edition.
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