Hölderlin, Friedrich: Hyperion. Zweiter Band. Tübingen, 1799.eine Freude. Der ächte Schmerz begeistert. Wer auf sein Elend tritt, steht höher. Und das ist herrlich, daß wir erst im Leiden recht der Seele Freiheit fühlen. Freiheit! wer das Wort versteht - es ist ein tiefes Wort, Diotima. Ich bin so innigst angefochten, bin so unerhört gekränkt, bin ohne Hoffnung, ohne Ziel, bin gänzlich ehrlos, und doch ist eine Macht in mir, ein Unbezwingliches, das mein Gebein mit süßen Schauern durchdringt, so oft es rege wird in mir. Auch hab' ich meinen Alabanda noch. Der hat so wenig zu gewinnen, als ich selbst. Den kann ich ohne Schaden mir behalten. Ach! der königliche Jüngling hätt' ein besser Loos verdient. Er ist so sanft geworden und so still. Das will mir oft das Herz zerreißen. Aber einer erhält den andern. Wir sagen uns nichts; was sollten wir uns sagen? aber es ist denn doch ein Seegen in manchem kleinen Liebesdienste, den wir uns leisten. Da schläft er und lächelt genügsam, mitten in unsrem Schiksaal. Der Gute! er weiß nicht, was ich thue. Er würd' es nicht dulden. Du must an Diotima schreiben, gebot er mir, und must ihr sagen, daß sie bald mit dir sich aufmacht, in ein leidlicher Land zu eine Freude. Der ächte Schmerz begeistert. Wer auf sein Elend tritt, steht höher. Und das ist herrlich, daß wir erst im Leiden recht der Seele Freiheit fühlen. Freiheit! wer das Wort versteht – es ist ein tiefes Wort, Diotima. Ich bin so innigst angefochten, bin so unerhört gekränkt, bin ohne Hoffnung, ohne Ziel, bin gänzlich ehrlos, und doch ist eine Macht in mir, ein Unbezwingliches, das mein Gebein mit süßen Schauern durchdringt, so oft es rege wird in mir. Auch hab’ ich meinen Alabanda noch. Der hat so wenig zu gewinnen, als ich selbst. Den kann ich ohne Schaden mir behalten. Ach! der königliche Jüngling hätt’ ein besser Loos verdient. Er ist so sanft geworden und so still. Das will mir oft das Herz zerreißen. Aber einer erhält den andern. Wir sagen uns nichts; was sollten wir uns sagen? aber es ist denn doch ein Seegen in manchem kleinen Liebesdienste, den wir uns leisten. Da schläft er und lächelt genügsam, mitten in unsrem Schiksaal. Der Gute! er weiß nicht, was ich thue. Er würd’ es nicht dulden. Du must an Diotima schreiben, gebot er mir, und must ihr sagen, daß sie bald mit dir sich aufmacht, in ein leidlicher Land zu <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div type="chapter" n="2"> <p><pb facs="#f0050"/> eine Freude. Der ächte Schmerz begeistert. Wer auf sein Elend tritt, steht höher. Und das ist herrlich, daß wir erst im Leiden recht der Seele Freiheit fühlen. Freiheit! wer das Wort versteht – es ist ein tiefes Wort, Diotima. Ich bin so innigst angefochten, bin so unerhört gekränkt, bin ohne Hoffnung, ohne Ziel, bin gänzlich ehrlos, und doch ist eine Macht in mir, ein Unbezwingliches, das mein Gebein mit süßen Schauern durchdringt, so oft es rege wird in mir.</p><lb/> <p>Auch hab’ ich meinen Alabanda noch. Der hat so wenig zu gewinnen, als ich selbst. Den kann ich ohne Schaden mir behalten. Ach! der königliche Jüngling hätt’ ein besser Loos verdient. Er ist so sanft geworden und so still. Das will mir oft das Herz zerreißen. Aber einer erhält den andern. Wir sagen uns nichts; was sollten wir uns sagen? aber es ist denn doch ein Seegen in manchem kleinen Liebesdienste, den wir uns leisten.</p><lb/> <p>Da schläft er und lächelt genügsam, mitten in unsrem Schiksaal. Der Gute! er weiß nicht, was ich thue. Er würd’ es nicht dulden. Du must an Diotima schreiben, gebot er mir, und must ihr sagen, daß sie bald mit dir sich aufmacht, in ein leidlicher Land zu </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0050]
eine Freude. Der ächte Schmerz begeistert. Wer auf sein Elend tritt, steht höher. Und das ist herrlich, daß wir erst im Leiden recht der Seele Freiheit fühlen. Freiheit! wer das Wort versteht – es ist ein tiefes Wort, Diotima. Ich bin so innigst angefochten, bin so unerhört gekränkt, bin ohne Hoffnung, ohne Ziel, bin gänzlich ehrlos, und doch ist eine Macht in mir, ein Unbezwingliches, das mein Gebein mit süßen Schauern durchdringt, so oft es rege wird in mir.
Auch hab’ ich meinen Alabanda noch. Der hat so wenig zu gewinnen, als ich selbst. Den kann ich ohne Schaden mir behalten. Ach! der königliche Jüngling hätt’ ein besser Loos verdient. Er ist so sanft geworden und so still. Das will mir oft das Herz zerreißen. Aber einer erhält den andern. Wir sagen uns nichts; was sollten wir uns sagen? aber es ist denn doch ein Seegen in manchem kleinen Liebesdienste, den wir uns leisten.
Da schläft er und lächelt genügsam, mitten in unsrem Schiksaal. Der Gute! er weiß nicht, was ich thue. Er würd’ es nicht dulden. Du must an Diotima schreiben, gebot er mir, und must ihr sagen, daß sie bald mit dir sich aufmacht, in ein leidlicher Land zu
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Andre Pietsch, Christian Thomas: Bearbeitung der digitalen Edition.
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