Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Hoffmann, E. T. A.: Meister Floh. Frankfurt (Main), 1822.

Bild:
<< vorherige Seite

wunderbare Sprachen redeten. Keine Erscheinung
paßte zu der andern und in der bangen Klage brust¬
zerreissender Wehmuth, die durch die Luft ertönte, schien
sich die Dissonanz der Erscheinungen auszusprechen.
Doch eben diese Dissonanz verherrlichte nur noch mehr
die tiefe Grundharmonie, die siegend hervorbrach, und
alles, was entzweit geschienen, vereinigte zu ewiger
namenloser Lust.

"Verwirrt," zischelte Meister Floh, "verwirrt
"Euch nicht, guter Herr Peregrinus, das sind Ge¬
"danken des Traumes, die Ihr da schaut. Sollte
"auch vielleicht noch etwas mehr dahinter stecken, so
"ist es wohl jetzt nicht an der Zeit, das weiter zu
"untersuchen. Ruft nur die verführerische Kleine bei
"ihrem rechten Namen und fragt sie dann aus, wie
"Ihr Lust habt."

Da die Kleine verschiedene Namen führte, so
hätte es, wie man denken sollte, dem Peregrinus
schwer fallen müssen, den rechten zu treffen. Peregri¬
nus rief aber, ohne sich im mindesten zu besinnen:
Dörtje Elverdink! Holdes liebes Mädchen! wäre es
kein Trug? wäre es möglich, daß du mich wirklich
lieben könntest? Sogleich erwachte die Kleine aus
ihrem träumerischen Zustande, schlug die Aeuglein
auf, und sprach mit leuchtendem Blick: "Welche

10

wunderbare Sprachen redeten. Keine Erſcheinung
paßte zu der andern und in der bangen Klage bruſt¬
zerreiſſender Wehmuth, die durch die Luft ertönte, ſchien
ſich die Diſſonanz der Erſcheinungen auszuſprechen.
Doch eben dieſe Diſſonanz verherrlichte nur noch mehr
die tiefe Grundharmonie, die ſiegend hervorbrach, und
alles, was entzweit geſchienen, vereinigte zu ewiger
namenloſer Luſt.

»Verwirrt,» ziſchelte Meiſter Floh, »verwirrt
»Euch nicht, guter Herr Peregrinus, das ſind Ge¬
»danken des Traumes, die Ihr da ſchaut. Sollte
»auch vielleicht noch etwas mehr dahinter ſtecken, ſo
»iſt es wohl jetzt nicht an der Zeit, das weiter zu
»unterſuchen. Ruft nur die verführeriſche Kleine bei
»ihrem rechten Namen und fragt ſie dann aus, wie
»Ihr Luſt habt.»

Da die Kleine verſchiedene Namen führte, ſo
hätte es, wie man denken ſollte, dem Peregrinus
ſchwer fallen müſſen, den rechten zu treffen. Peregri¬
nus rief aber, ohne ſich im mindeſten zu beſinnen:
Dörtje Elverdink! Holdes liebes Mädchen! wäre es
kein Trug? wäre es möglich, daß du mich wirklich
lieben könnteſt? Sogleich erwachte die Kleine aus
ihrem träumeriſchen Zuſtande, ſchlug die Aeuglein
auf, und ſprach mit leuchtendem Blick: »Welche

10
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0150" n="145"/>
wunderbare Sprachen redeten. Keine Er&#x017F;cheinung<lb/>
paßte zu der andern und in der bangen Klage bru&#x017F;<lb/>
zerrei&#x017F;&#x017F;ender Wehmuth, die durch die Luft ertönte, &#x017F;chien<lb/>
&#x017F;ich die Di&#x017F;&#x017F;onanz der Er&#x017F;cheinungen auszu&#x017F;prechen.<lb/>
Doch eben die&#x017F;e Di&#x017F;&#x017F;onanz verherrlichte nur noch mehr<lb/>
die tiefe Grundharmonie, die &#x017F;iegend hervorbrach, und<lb/>
alles, was entzweit ge&#x017F;chienen, vereinigte zu ewiger<lb/>
namenlo&#x017F;er Lu&#x017F;t.</p><lb/>
          <p>»Verwirrt,» zi&#x017F;chelte Mei&#x017F;ter Floh, »verwirrt<lb/>
»Euch nicht, guter Herr Peregrinus, das &#x017F;ind Ge¬<lb/>
»danken des Traumes, die Ihr da &#x017F;chaut. Sollte<lb/>
»auch vielleicht noch etwas mehr dahinter &#x017F;tecken, &#x017F;o<lb/>
»i&#x017F;t es wohl jetzt nicht an der Zeit, das weiter zu<lb/>
»unter&#x017F;uchen. Ruft nur die verführeri&#x017F;che Kleine bei<lb/>
»ihrem rechten Namen und fragt &#x017F;ie dann aus, wie<lb/>
»Ihr Lu&#x017F;t habt.»</p><lb/>
          <p>Da die Kleine ver&#x017F;chiedene Namen führte, &#x017F;o<lb/>
hätte es, wie man denken &#x017F;ollte, dem Peregrinus<lb/>
&#x017F;chwer fallen mü&#x017F;&#x017F;en, den rechten zu treffen. Peregri¬<lb/>
nus rief aber, ohne &#x017F;ich im minde&#x017F;ten zu be&#x017F;innen:<lb/>
Dörtje Elverdink! Holdes liebes Mädchen! wäre es<lb/>
kein Trug? wäre es möglich, daß du mich wirklich<lb/>
lieben könnte&#x017F;t? Sogleich erwachte die Kleine aus<lb/>
ihrem träumeri&#x017F;chen Zu&#x017F;tande, &#x017F;chlug die Aeuglein<lb/>
auf, und &#x017F;prach mit leuchtendem Blick: »Welche<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">10<lb/></fw>
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[145/0150] wunderbare Sprachen redeten. Keine Erſcheinung paßte zu der andern und in der bangen Klage bruſt¬ zerreiſſender Wehmuth, die durch die Luft ertönte, ſchien ſich die Diſſonanz der Erſcheinungen auszuſprechen. Doch eben dieſe Diſſonanz verherrlichte nur noch mehr die tiefe Grundharmonie, die ſiegend hervorbrach, und alles, was entzweit geſchienen, vereinigte zu ewiger namenloſer Luſt. »Verwirrt,» ziſchelte Meiſter Floh, »verwirrt »Euch nicht, guter Herr Peregrinus, das ſind Ge¬ »danken des Traumes, die Ihr da ſchaut. Sollte »auch vielleicht noch etwas mehr dahinter ſtecken, ſo »iſt es wohl jetzt nicht an der Zeit, das weiter zu »unterſuchen. Ruft nur die verführeriſche Kleine bei »ihrem rechten Namen und fragt ſie dann aus, wie »Ihr Luſt habt.» Da die Kleine verſchiedene Namen führte, ſo hätte es, wie man denken ſollte, dem Peregrinus ſchwer fallen müſſen, den rechten zu treffen. Peregri¬ nus rief aber, ohne ſich im mindeſten zu beſinnen: Dörtje Elverdink! Holdes liebes Mädchen! wäre es kein Trug? wäre es möglich, daß du mich wirklich lieben könnteſt? Sogleich erwachte die Kleine aus ihrem träumeriſchen Zuſtande, ſchlug die Aeuglein auf, und ſprach mit leuchtendem Blick: »Welche 10

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hoffmann_floh_1822
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hoffmann_floh_1822/150
Zitationshilfe: Hoffmann, E. T. A.: Meister Floh. Frankfurt (Main), 1822, S. 145. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hoffmann_floh_1822/150>, abgerufen am 21.11.2024.