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[Hoffmann, E. T. A.]: Nachtstücke. Bd. 1. Berlin, 1817.

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der böse Sandmann, der uns immer von Papa
forttreibt? -- wie sieht er denn aus? "Es gibt
keinen Sandmann, mein liebes Kind, erwiederte
die Mutter: wenn ich sage, der Sandmann kommt,
so will das nur heißen, ihr seyd schläfrig und
könnt die Augen nicht offen behalten, als hätte
man Euch Sand hineingestreut." -- Der Mut¬
ter Antwort befriedigte mich nicht, ja in meinem
kindischen Gemüth entfaltete sich deutlich der Ge¬
danke, daß die Mutter den Sandmann nur ver¬
läugne, damit wir uns vor ihm nicht fürchten
sollten, ich hörte ihn ja immer die Treppe her¬
aufkommen. Voll Neugierde, näheres von diesem
Sandmann und seiner Beziehung auf uns Kinder
zu erfahren, frug ich endlich die alte Frau, die
meine jüngste Schwester wartete: was denn
das für ein Mann sei, der Sandmann? "Ei
Thanelchen, erwiederte diese, weißt du das
noch nicht? Das ist ein böser Mann, der kommt
zu den Kindern, wenn sie nicht zu Bett' gehen
wollen und wirft ihnen Händevoll Sand in die
Augen, daß sie blutig zum Kopf herausspringen,

der boͤſe Sandmann, der uns immer von Papa
forttreibt? — wie ſieht er denn aus? „Es gibt
keinen Sandmann, mein liebes Kind, erwiederte
die Mutter: wenn ich ſage, der Sandmann kommt,
ſo will das nur heißen, ihr ſeyd ſchlaͤfrig und
koͤnnt die Augen nicht offen behalten, als haͤtte
man Euch Sand hineingeſtreut.“ — Der Mut¬
ter Antwort befriedigte mich nicht, ja in meinem
kindiſchen Gemuͤth entfaltete ſich deutlich der Ge¬
danke, daß die Mutter den Sandmann nur ver¬
laͤugne, damit wir uns vor ihm nicht fuͤrchten
ſollten, ich hoͤrte ihn ja immer die Treppe her¬
aufkommen. Voll Neugierde, naͤheres von dieſem
Sandmann und ſeiner Beziehung auf uns Kinder
zu erfahren, frug ich endlich die alte Frau, die
meine juͤngſte Schweſter wartete: was denn
das fuͤr ein Mann ſei, der Sandmann? „Ei
Thanelchen, erwiederte dieſe, weißt du das
noch nicht? Das iſt ein boͤſer Mann, der kommt
zu den Kindern, wenn ſie nicht zu Bett' gehen
wollen und wirft ihnen Haͤndevoll Sand in die
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[5/0013] der boͤſe Sandmann, der uns immer von Papa forttreibt? — wie ſieht er denn aus? „Es gibt keinen Sandmann, mein liebes Kind, erwiederte die Mutter: wenn ich ſage, der Sandmann kommt, ſo will das nur heißen, ihr ſeyd ſchlaͤfrig und koͤnnt die Augen nicht offen behalten, als haͤtte man Euch Sand hineingeſtreut.“ — Der Mut¬ ter Antwort befriedigte mich nicht, ja in meinem kindiſchen Gemuͤth entfaltete ſich deutlich der Ge¬ danke, daß die Mutter den Sandmann nur ver¬ laͤugne, damit wir uns vor ihm nicht fuͤrchten ſollten, ich hoͤrte ihn ja immer die Treppe her¬ aufkommen. Voll Neugierde, naͤheres von dieſem Sandmann und ſeiner Beziehung auf uns Kinder zu erfahren, frug ich endlich die alte Frau, die meine juͤngſte Schweſter wartete: was denn das fuͤr ein Mann ſei, der Sandmann? „Ei Thanelchen, erwiederte dieſe, weißt du das noch nicht? Das iſt ein boͤſer Mann, der kommt zu den Kindern, wenn ſie nicht zu Bett' gehen wollen und wirft ihnen Haͤndevoll Sand in die Augen, daß ſie blutig zum Kopf herausſpringen,

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Zitationshilfe: [Hoffmann, E. T. A.]: Nachtstücke. Bd. 1. Berlin, 1817, S. 5. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hoffmann_nachtstuecke01_1817/13>, abgerufen am 21.11.2024.