von tiefem Schatten umflossenen Augen nicht in des Menschen Brust die ewigdürstende Sehnsucht aufgehen? Sprachen die weichen halbgeöffneten Lippen nicht tröstend, wie in holden Engels Me¬ lodien, von der unendlichen Seligkeit des Him¬ mels? -- Nieder mich zu werfen in den Staub vor ihr, der Himmels Königin, trieb mich ein un¬ beschreibliches Gefühl -- keines Wortes mächtig konnte ich den Blick nicht abwenden von dem Bilde ohne Gleichen. Nur Maria und die Kinder waren ganz ausgeführt, an der Figur Elisabeths schien die letzte Hand zu fehlen, und der betende Mann war noch nicht übermahlt. Näher getreten erkannte ich in dem Gesicht die¬ ses Mannes Berthold's Züge. Ich ahnte, was mir der Professor gleich darauf sagte: Die¬ ses Bild, sprach er, ist Berthold's letzte Ar¬ beit, das wir vor mehreren Jahren aus N. in Oberschlesien, wo es von einem unserer Collegen in einer Versteigerung gekauft wurde, erhielten. Unerachtet es nicht vollendet ist, ließen wir es
von tiefem Schatten umfloſſenen Augen nicht in des Menſchen Bruſt die ewigduͤrſtende Sehnſucht aufgehen? Sprachen die weichen halbgeoͤffneten Lippen nicht troͤſtend, wie in holden Engels Me¬ lodien, von der unendlichen Seligkeit des Him¬ mels? — Nieder mich zu werfen in den Staub vor ihr, der Himmels Koͤnigin, trieb mich ein un¬ beſchreibliches Gefuͤhl — keines Wortes maͤchtig konnte ich den Blick nicht abwenden von dem Bilde ohne Gleichen. Nur Maria und die Kinder waren ganz ausgefuͤhrt, an der Figur Eliſabeths ſchien die letzte Hand zu fehlen, und der betende Mann war noch nicht uͤbermahlt. Naͤher getreten erkannte ich in dem Geſicht die¬ ſes Mannes Berthold's Zuͤge. Ich ahnte, was mir der Profeſſor gleich darauf ſagte: Die¬ ſes Bild, ſprach er, iſt Berthold's letzte Ar¬ beit, das wir vor mehreren Jahren aus N. in Oberſchleſien, wo es von einem unſerer Collegen in einer Verſteigerung gekauft wurde, erhielten. Unerachtet es nicht vollendet iſt, ließen wir es
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0245"n="237"/>
von tiefem Schatten umfloſſenen Augen nicht in<lb/>
des Menſchen Bruſt die ewigduͤrſtende Sehnſucht<lb/>
aufgehen? Sprachen die weichen halbgeoͤffneten<lb/>
Lippen nicht troͤſtend, wie in holden Engels Me¬<lb/>
lodien, von der unendlichen Seligkeit des Him¬<lb/>
mels? — Nieder mich zu werfen in den Staub<lb/>
vor ihr, der Himmels Koͤnigin, trieb mich ein un¬<lb/>
beſchreibliches Gefuͤhl — keines Wortes maͤchtig<lb/>
konnte ich den Blick nicht abwenden von dem<lb/>
Bilde ohne Gleichen. Nur <hirendition="#g">Maria</hi> und die<lb/>
Kinder waren ganz ausgefuͤhrt, an der Figur<lb/><hirendition="#g">Eliſabeths</hi>ſchien die letzte Hand zu fehlen,<lb/>
und der betende Mann war noch nicht uͤbermahlt.<lb/>
Naͤher getreten erkannte ich in dem Geſicht die¬<lb/>ſes Mannes <hirendition="#g">Berthold's</hi> Zuͤge. Ich ahnte,<lb/>
was mir der Profeſſor gleich darauf ſagte: Die¬<lb/>ſes Bild, ſprach er, iſt <hirendition="#g">Berthold's</hi> letzte Ar¬<lb/>
beit, das wir vor mehreren Jahren aus N. in<lb/>
Oberſchleſien, wo es von einem unſerer Collegen<lb/>
in einer Verſteigerung gekauft wurde, erhielten.<lb/>
Unerachtet es nicht vollendet iſt, ließen wir es<lb/></p></div></body></text></TEI>
[237/0245]
von tiefem Schatten umfloſſenen Augen nicht in
des Menſchen Bruſt die ewigduͤrſtende Sehnſucht
aufgehen? Sprachen die weichen halbgeoͤffneten
Lippen nicht troͤſtend, wie in holden Engels Me¬
lodien, von der unendlichen Seligkeit des Him¬
mels? — Nieder mich zu werfen in den Staub
vor ihr, der Himmels Koͤnigin, trieb mich ein un¬
beſchreibliches Gefuͤhl — keines Wortes maͤchtig
konnte ich den Blick nicht abwenden von dem
Bilde ohne Gleichen. Nur Maria und die
Kinder waren ganz ausgefuͤhrt, an der Figur
Eliſabeths ſchien die letzte Hand zu fehlen,
und der betende Mann war noch nicht uͤbermahlt.
Naͤher getreten erkannte ich in dem Geſicht die¬
ſes Mannes Berthold's Zuͤge. Ich ahnte,
was mir der Profeſſor gleich darauf ſagte: Die¬
ſes Bild, ſprach er, iſt Berthold's letzte Ar¬
beit, das wir vor mehreren Jahren aus N. in
Oberſchleſien, wo es von einem unſerer Collegen
in einer Verſteigerung gekauft wurde, erhielten.
Unerachtet es nicht vollendet iſt, ließen wir es
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
[Hoffmann, E. T. A.]: Nachtstücke. Bd. 1. Berlin, 1817, S. 237. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hoffmann_nachtstuecke01_1817/245>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.