Die Baronin kam zur Tafel im zierlichen Morgenkleide, das, blendend weiß, frisch gefalle¬ nen Schnee besiegte. Sie sah matt aus und ab¬ gespannt, doch als sie nun leise und melodisch sprechend die dunkeln Augen erhob, da blitzte sü¬ ßes, sehnsüchtiges Verlangen aus düsterer Glut, und ein flüchtiges Roth überflog das lilienblasse Antlitz. Sie war schöner als jemals -- Wer er¬ mißt die Thorheiten eines Jünglings mit zu hei¬ ßem Blut im Kopf und Herzen! -- Den bittern Groll, den der Baron in mir aufgeregt, trug ich über auf die Baronin. Alles erschien mir wie eine heillose Mystifikation, und nun wollt' ich be¬ weisen, daß ich gar sehr bey vollem Verstande sey, und über die Maßen scharfsichtig. -- Wie ein schmollendes Kind vermied ich die Baronin, und entschlüpfte der mich verfolgenden Adelheid, so daß ich, wie ich gewollt, ganz am Ende der Ta¬ fel zwischen den beiden Offizieren meinen Platz fand, mit denen ich wacker zu zechen begann. Beim Nachtisch stießen wir fleißig die Gläser zu¬
Die Baronin kam zur Tafel im zierlichen Morgenkleide, das, blendend weiß, friſch gefalle¬ nen Schnee beſiegte. Sie ſah matt aus und ab¬ geſpannt, doch als ſie nun leiſe und melodiſch ſprechend die dunkeln Augen erhob, da blitzte ſuͤ¬ ßes, ſehnſuͤchtiges Verlangen aus duͤſterer Glut, und ein fluͤchtiges Roth uͤberflog das lilienblaſſe Antlitz. Sie war ſchoͤner als jemals — Wer er¬ mißt die Thorheiten eines Juͤnglings mit zu hei¬ ßem Blut im Kopf und Herzen! — Den bittern Groll, den der Baron in mir aufgeregt, trug ich uͤber auf die Baronin. Alles erſchien mir wie eine heilloſe Myſtifikation, und nun wollt' ich be¬ weiſen, daß ich gar ſehr bey vollem Verſtande ſey, und uͤber die Maßen ſcharfſichtig. — Wie ein ſchmollendes Kind vermied ich die Baronin, und entſchluͤpfte der mich verfolgenden Adelheid, ſo daß ich, wie ich gewollt, ganz am Ende der Ta¬ fel zwiſchen den beiden Offizieren meinen Platz fand, mit denen ich wacker zu zechen begann. Beim Nachtiſch ſtießen wir fleißig die Glaͤſer zu¬
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Die Baronin kam zur Tafel im zierlichen
Morgenkleide, das, blendend weiß, friſch gefalle¬
nen Schnee beſiegte. Sie ſah matt aus und ab¬
geſpannt, doch als ſie nun leiſe und melodiſch
ſprechend die dunkeln Augen erhob, da blitzte ſuͤ¬
ßes, ſehnſuͤchtiges Verlangen aus duͤſterer Glut,
und ein fluͤchtiges Roth uͤberflog das lilienblaſſe
Antlitz. Sie war ſchoͤner als jemals — Wer er¬
mißt die Thorheiten eines Juͤnglings mit zu hei¬
ßem Blut im Kopf und Herzen! — Den bittern
Groll, den der Baron in mir aufgeregt, trug ich
uͤber auf die Baronin. Alles erſchien mir wie
eine heilloſe Myſtifikation, und nun wollt' ich be¬
weiſen, daß ich gar ſehr bey vollem Verſtande ſey,
und uͤber die Maßen ſcharfſichtig. — Wie ein
ſchmollendes Kind vermied ich die Baronin, und
entſchluͤpfte der mich verfolgenden Adelheid, ſo
daß ich, wie ich gewollt, ganz am Ende der Ta¬
fel zwiſchen den beiden Offizieren meinen Platz
fand, mit denen ich wacker zu zechen begann.
Beim Nachtiſch ſtießen wir fleißig die Glaͤſer zu¬
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[Hoffmann, E. T. A.]: Nachtstücke. Bd. 2. Berlin, 1817, S. 164. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hoffmann_nachtstuecke02_1817/172>, abgerufen am 16.02.2025.
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