worfen, dann, indem der Gerichtsschreiber sich zum lauten Ablesen des Testaments anschickte, schaute er gleichgültig nach dem Fenster hin, den rechten Arm nachlässig über die Stuhllehne geworfen, den linken Arm gelehnt auf den Gerichtstisch, und auf dessen grüner Decke mit den Fingern trommelnd. Nach einem kurzen Eingange erklärte der verstorbene Frei¬ herr Hubert von R., daß er das Majorat niemals als wirklicher Majoratsherr besessen, sondern dasselbe nur Nahmens des einzigen Sohnes des verstorbenen Freiherrn Wolfgang von R., nach seinem Gro߬ vater Roderich geheißen, verwaltet habe; dieser sey derjenige, dem nach der Familien-Succession durch seines Vaters Tod das Majorat zugefallen. Die genauesten Rechnungen über Einnahme und Aus¬ gabe, über den vorzufindenden Bestand u. s. w. würde man in seinem Nachlaß finden. Wolfgang von R., so erzählte Hubert in dem Testament, lernte auf seinen Reisen in Genf das Fräulein Julie von St. Val kennen, und faßte eine solche heftige Neigung zu ihr, daß er sich nie mehr von ihr zu
worfen, dann, indem der Gerichtsſchreiber ſich zum lauten Ableſen des Teſtaments anſchickte, ſchaute er gleichguͤltig nach dem Fenſter hin, den rechten Arm nachlaͤſſig uͤber die Stuhllehne geworfen, den linken Arm gelehnt auf den Gerichtstiſch, und auf deſſen gruͤner Decke mit den Fingern trommelnd. Nach einem kurzen Eingange erklaͤrte der verſtorbene Frei¬ herr Hubert von R., daß er das Majorat niemals als wirklicher Majoratsherr beſeſſen, ſondern daſſelbe nur Nahmens des einzigen Sohnes des verſtorbenen Freiherrn Wolfgang von R., nach ſeinem Gro߬ vater Roderich geheißen, verwaltet habe; dieſer ſey derjenige, dem nach der Familien-Succeſſion durch ſeines Vaters Tod das Majorat zugefallen. Die genaueſten Rechnungen uͤber Einnahme und Aus¬ gabe, uͤber den vorzufindenden Beſtand u. ſ. w. wuͤrde man in ſeinem Nachlaß finden. Wolfgang von R., ſo erzaͤhlte Hubert in dem Teſtament, lernte auf ſeinen Reiſen in Genf das Fraͤulein Julie von St. Val kennen, und faßte eine ſolche heftige Neigung zu ihr, daß er ſich nie mehr von ihr zu
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worfen, dann, indem der Gerichtsſchreiber ſich zum
lauten Ableſen des Teſtaments anſchickte, ſchaute er
gleichguͤltig nach dem Fenſter hin, den rechten Arm
nachlaͤſſig uͤber die Stuhllehne geworfen, den linken
Arm gelehnt auf den Gerichtstiſch, und auf deſſen
gruͤner Decke mit den Fingern trommelnd. Nach
einem kurzen Eingange erklaͤrte der verſtorbene Frei¬
herr Hubert von R., daß er das Majorat niemals
als wirklicher Majoratsherr beſeſſen, ſondern daſſelbe
nur Nahmens des einzigen Sohnes des verſtorbenen
Freiherrn Wolfgang von R., nach ſeinem Gro߬
vater Roderich geheißen, verwaltet habe; dieſer ſey
derjenige, dem nach der Familien-Succeſſion durch
ſeines Vaters Tod das Majorat zugefallen. Die
genaueſten Rechnungen uͤber Einnahme und Aus¬
gabe, uͤber den vorzufindenden Beſtand u. ſ. w.
wuͤrde man in ſeinem Nachlaß finden. Wolfgang
von R., ſo erzaͤhlte Hubert in dem Teſtament,
lernte auf ſeinen Reiſen in Genf das Fraͤulein Julie
von St. Val kennen, und faßte eine ſolche heftige
Neigung zu ihr, daß er ſich nie mehr von ihr zu
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[Hoffmann, E. T. A.]: Nachtstücke. Bd. 2. Berlin, 1817, S. 214. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hoffmann_nachtstuecke02_1817/222>, abgerufen am 23.11.2024.
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