den Tod gegeben: Mehrere Jahre waren vergan¬ gen, als der junge Fürst Boleslaw von Z. auf sei¬ nen Reisen nach Neapel in die Nähe des Posilippo kam. Dort in der anmuthigsten Gegend liegt ein Kamaldulenserkloster, zu dem der Fürst heraufstieg, um eine Aussicht zu genießen, die ihm als die rei¬ zendste in ganz Neapel geschildert worden. Eben im Begriff, auf die herausspringende Felsenspitze im Garten zu treten, die ihm als der schönste Punkt beschrieben, bemerkte er einen Mönch, der vor ihm auf einem großen Stein Platz genommen und, ein aufgeschlagenes Gebetbuch auf dem Schooß, in die Ferne hinausschaute. Sein Antlitz, in den Grundzügen noch jugendlich, war nur durch tiefen Gram entstellt. Dem Fürsten kam, als er den Mönch näher und näher betrachtete, eine dunkle Erinnerung. Er schlich näher heran und es fiel ihm gleich ins Auge, daß das Gebet¬ buch in polnischer Sprache abgefaßt war. Dar¬ auf redete er den Mönch polnisch an, dieser wandte sich voller Schreck um, kaum hatte er
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den Tod gegeben: Mehrere Jahre waren vergan¬ gen, als der junge Fuͤrſt Boleslaw von Z. auf ſei¬ nen Reiſen nach Neapel in die Naͤhe des Poſilippo kam. Dort in der anmuthigſten Gegend liegt ein Kamaldulenſerkloſter, zu dem der Fuͤrſt heraufſtieg, um eine Ausſicht zu genießen, die ihm als die rei¬ zendſte in ganz Neapel geſchildert worden. Eben im Begriff, auf die herausſpringende Felſenſpitze im Garten zu treten, die ihm als der ſchoͤnſte Punkt beſchrieben, bemerkte er einen Moͤnch, der vor ihm auf einem großen Stein Platz genommen und, ein aufgeſchlagenes Gebetbuch auf dem Schooß, in die Ferne hinausſchaute. Sein Antlitz, in den Grundzuͤgen noch jugendlich, war nur durch tiefen Gram entſtellt. Dem Fuͤrſten kam, als er den Moͤnch naͤher und naͤher betrachtete, eine dunkle Erinnerung. Er ſchlich naͤher heran und es fiel ihm gleich ins Auge, daß das Gebet¬ buch in polniſcher Sprache abgefaßt war. Dar¬ auf redete er den Moͤnch polniſch an, dieſer wandte ſich voller Schreck um, kaum hatte er
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den Tod gegeben: Mehrere Jahre waren vergan¬
gen, als der junge Fuͤrſt Boleslaw von Z. auf ſei¬
nen Reiſen nach Neapel in die Naͤhe des Poſilippo
kam. Dort in der anmuthigſten Gegend liegt ein
Kamaldulenſerkloſter, zu dem der Fuͤrſt heraufſtieg,
um eine Ausſicht zu genießen, die ihm als die rei¬
zendſte in ganz Neapel geſchildert worden. Eben
im Begriff, auf die herausſpringende Felſenſpitze
im Garten zu treten, die ihm als der ſchoͤnſte
Punkt beſchrieben, bemerkte er einen Moͤnch, der
vor ihm auf einem großen Stein Platz genommen
und, ein aufgeſchlagenes Gebetbuch auf dem Schooß,
in die Ferne hinausſchaute. Sein Antlitz, in
den Grundzuͤgen noch jugendlich, war nur durch
tiefen Gram entſtellt. Dem Fuͤrſten kam, als
er den Moͤnch naͤher und naͤher betrachtete, eine
dunkle Erinnerung. Er ſchlich naͤher heran und
es fiel ihm gleich ins Auge, daß das Gebet¬
buch in polniſcher Sprache abgefaßt war. Dar¬
auf redete er den Moͤnch polniſch an, dieſer
wandte ſich voller Schreck um, kaum hatte er
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[Hoffmann, E. T. A.]: Nachtstücke. Bd. 2. Berlin, 1817, S. 321. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hoffmann_nachtstuecke02_1817/329>, abgerufen am 21.11.2024.
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