gersohn, den er auf dem Wege nach Pisa glaubte, in ***n und zwar in Angelika's Hause, vom Ner¬ venschlage zum Tode getroffen, gefunden; daß An¬ gelika in furchtbaren Wahnsinn gerathen sey und daß er solchen Jammer wohl nicht lange tragen werde. -- So wie Gabriele von S. nur einige Kräfte gewonnen, eilt sie auf die Güter des Va¬ ters; in schlafloser Nacht das Bild des verlornen Gatten, des verlornen Kindes vor Augen, glaubt sie ein leises Wimmern vor der Thüre des Schlaf¬ zimmers zu vernehmen; ermuthigt, zündet sie die Kerzen des Armleuchters bei der Nachtlampe an und tritt heraus. -- Heiliger Gott! niedergekauert zur Erde, in den rothen Shawl gewickelt, starrt das Zigeunerweib mit stierem, leblosem Blick ihr in die Augen -- in den Armen hält sie ein kleines Kind, das so ängstlich wimmert, das Herz schlägt der Gräfin hoch auf in der Brust! -- es ist ihr Kind! -- es ist die verlorne Tochter! -- Sie reißt das Kind der Zigeunerin aus den Armen, aber in diesem Augenblick kugelt diese um, wie eine leblose Puppe.
gerſohn, den er auf dem Wege nach Piſa glaubte, in ***n und zwar in Angelika's Hauſe, vom Ner¬ venſchlage zum Tode getroffen, gefunden; daß An¬ gelika in furchtbaren Wahnſinn gerathen ſey und daß er ſolchen Jammer wohl nicht lange tragen werde. — So wie Gabriele von S. nur einige Kraͤfte gewonnen, eilt ſie auf die Guͤter des Va¬ ters; in ſchlafloſer Nacht das Bild des verlornen Gatten, des verlornen Kindes vor Augen, glaubt ſie ein leiſes Wimmern vor der Thuͤre des Schlaf¬ zimmers zu vernehmen; ermuthigt, zuͤndet ſie die Kerzen des Armleuchters bei der Nachtlampe an und tritt heraus. — Heiliger Gott! niedergekauert zur Erde, in den rothen Shawl gewickelt, ſtarrt das Zigeunerweib mit ſtierem, lebloſem Blick ihr in die Augen — in den Armen haͤlt ſie ein kleines Kind, das ſo aͤngſtlich wimmert, das Herz ſchlaͤgt der Graͤfin hoch auf in der Bruſt! — es iſt ihr Kind! — es iſt die verlorne Tochter! — Sie reißt das Kind der Zigeunerin aus den Armen, aber in dieſem Augenblick kugelt dieſe um, wie eine lebloſe Puppe.
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gerſohn, den er auf dem Wege nach Piſa glaubte,
in ***n und zwar in Angelika's Hauſe, vom Ner¬
venſchlage zum Tode getroffen, gefunden; daß An¬
gelika in furchtbaren Wahnſinn gerathen ſey und
daß er ſolchen Jammer wohl nicht lange tragen
werde. — So wie Gabriele von S. nur einige
Kraͤfte gewonnen, eilt ſie auf die Guͤter des Va¬
ters; in ſchlafloſer Nacht das Bild des verlornen
Gatten, des verlornen Kindes vor Augen, glaubt
ſie ein leiſes Wimmern vor der Thuͤre des Schlaf¬
zimmers zu vernehmen; ermuthigt, zuͤndet ſie die
Kerzen des Armleuchters bei der Nachtlampe an
und tritt heraus. — Heiliger Gott! niedergekauert
zur Erde, in den rothen Shawl gewickelt, ſtarrt das
Zigeunerweib mit ſtierem, lebloſem Blick ihr in die
Augen — in den Armen haͤlt ſie ein kleines Kind,
das ſo aͤngſtlich wimmert, das Herz ſchlaͤgt der
Graͤfin hoch auf in der Bruſt! — es iſt ihr Kind! —
es iſt die verlorne Tochter! — Sie reißt das Kind
der Zigeunerin aus den Armen, aber in dieſem
Augenblick kugelt dieſe um, wie eine lebloſe Puppe.
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[Hoffmann, E. T. A.]: Nachtstücke. Bd. 2. Berlin, 1817, S. 70. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hoffmann_nachtstuecke02_1817/78>, abgerufen am 21.11.2024.
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