Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Hoffmann, E. T. A.: Das Fräulein von Scuderi. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 1. München, [1871], S. [203]–312. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

sprach er sanft: Die Marquise mag nun einmal von den Galanterieen unserer verliebten Herren Nichts wissen und weicht mir aus auf Wegen, die nichts weniger als verboten sind. Aber Ihr, mein Fräulein, was haltet Ihr von dieser dichterischen Supplik? -- Die Scudery stand ehrerbietig auf von ihrem Lehnsessel, ein flüchtiges Roth überflog wie Abendpurpur die blassen Wangen der alten würdigen Dame, sie sprach, sich leise verneigend mit niedergeschlagenen Augen:

"Un amant qui craint les voleurs n'est point digne d'amour."

Der König, ganz erstaunt über den ritterlichen Geist dieser wenigen Worte, die das ganze Gedicht mit seinen ellenlangen Tiraden zu Boden schlugen, rief mit blitzenden Augen: Beim heiligen Dionys, Ihr habt Recht, Fräulein! Keine blinde Maßregel, die den Unschuldigen trifft mit dem Schuldigen, soll die Feigheit schützen; mögen Argenson und la Regnie das Ihrige thun! --



Alle die Gräuel der Zeit schilderte nun die Martiniere mit den lebhaftesten Farben, als sie am andern Morgen ihrem Fräulein erzählte, was sich in voriger Nacht zugetragen, und übergab ihr zitternd und zagend das geheimnißvolle Kästchen. Sowohl sie als Baptiste, der ganz verblaßt in der Ecke stand und vor Angst und Beklommenheit die Nachtmütze in den Händen knetend kaum sprechen konnte, baten das Fräulein auf das weh-

sprach er sanft: Die Marquise mag nun einmal von den Galanterieen unserer verliebten Herren Nichts wissen und weicht mir aus auf Wegen, die nichts weniger als verboten sind. Aber Ihr, mein Fräulein, was haltet Ihr von dieser dichterischen Supplik? — Die Scudery stand ehrerbietig auf von ihrem Lehnsessel, ein flüchtiges Roth überflog wie Abendpurpur die blassen Wangen der alten würdigen Dame, sie sprach, sich leise verneigend mit niedergeschlagenen Augen:

„Un amant qui craint les voleurs n’est point digne d’amour.“

Der König, ganz erstaunt über den ritterlichen Geist dieser wenigen Worte, die das ganze Gedicht mit seinen ellenlangen Tiraden zu Boden schlugen, rief mit blitzenden Augen: Beim heiligen Dionys, Ihr habt Recht, Fräulein! Keine blinde Maßregel, die den Unschuldigen trifft mit dem Schuldigen, soll die Feigheit schützen; mögen Argenson und la Regnie das Ihrige thun! —



Alle die Gräuel der Zeit schilderte nun die Martiniere mit den lebhaftesten Farben, als sie am andern Morgen ihrem Fräulein erzählte, was sich in voriger Nacht zugetragen, und übergab ihr zitternd und zagend das geheimnißvolle Kästchen. Sowohl sie als Baptiste, der ganz verblaßt in der Ecke stand und vor Angst und Beklommenheit die Nachtmütze in den Händen knetend kaum sprechen konnte, baten das Fräulein auf das weh-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="chapter" n="2">
        <p><pb facs="#f0032"/>
sprach er                sanft: Die Marquise mag nun einmal von den Galanterieen unserer verliebten Herren                Nichts wissen und weicht mir aus auf Wegen, die nichts weniger als verboten sind.                Aber Ihr, mein Fräulein, was haltet Ihr von dieser dichterischen Supplik? &#x2014; Die                Scudery stand ehrerbietig auf von ihrem Lehnsessel, ein flüchtiges Roth überflog wie                Abendpurpur die blassen Wangen der alten würdigen Dame, sie sprach, sich leise                verneigend mit niedergeschlagenen Augen:</p><lb/>
        <lg>
          <l>&#x201E;Un amant qui craint les voleurs</l>
          <l>n&#x2019;est point digne d&#x2019;amour.&#x201C;</l>
        </lg>
        <p>Der König, ganz erstaunt über den ritterlichen Geist dieser wenigen Worte, die das                ganze Gedicht mit seinen ellenlangen Tiraden zu Boden schlugen, rief mit blitzenden                Augen: Beim heiligen Dionys, Ihr habt Recht, Fräulein! Keine blinde Maßregel, die den                Unschuldigen trifft mit dem Schuldigen, soll die Feigheit schützen; mögen Argenson                und la Regnie das Ihrige thun! &#x2014;</p><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
      </div>
      <div type="chapter" n="3">
        <p>Alle die Gräuel der Zeit schilderte nun die Martiniere mit den lebhaftesten Farben,                als sie am andern Morgen ihrem Fräulein erzählte, was sich in voriger Nacht                zugetragen, und übergab ihr zitternd und zagend das geheimnißvolle Kästchen. Sowohl                sie als Baptiste, der ganz verblaßt in der Ecke stand und vor Angst und Beklommenheit                die Nachtmütze in den Händen knetend kaum sprechen konnte, baten das Fräulein auf das                weh-<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0032] sprach er sanft: Die Marquise mag nun einmal von den Galanterieen unserer verliebten Herren Nichts wissen und weicht mir aus auf Wegen, die nichts weniger als verboten sind. Aber Ihr, mein Fräulein, was haltet Ihr von dieser dichterischen Supplik? — Die Scudery stand ehrerbietig auf von ihrem Lehnsessel, ein flüchtiges Roth überflog wie Abendpurpur die blassen Wangen der alten würdigen Dame, sie sprach, sich leise verneigend mit niedergeschlagenen Augen: „Un amant qui craint les voleurs n’est point digne d’amour.“ Der König, ganz erstaunt über den ritterlichen Geist dieser wenigen Worte, die das ganze Gedicht mit seinen ellenlangen Tiraden zu Boden schlugen, rief mit blitzenden Augen: Beim heiligen Dionys, Ihr habt Recht, Fräulein! Keine blinde Maßregel, die den Unschuldigen trifft mit dem Schuldigen, soll die Feigheit schützen; mögen Argenson und la Regnie das Ihrige thun! — Alle die Gräuel der Zeit schilderte nun die Martiniere mit den lebhaftesten Farben, als sie am andern Morgen ihrem Fräulein erzählte, was sich in voriger Nacht zugetragen, und übergab ihr zitternd und zagend das geheimnißvolle Kästchen. Sowohl sie als Baptiste, der ganz verblaßt in der Ecke stand und vor Angst und Beklommenheit die Nachtmütze in den Händen knetend kaum sprechen konnte, baten das Fräulein auf das weh-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T11:42:57Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T11:42:57Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: nein; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hoffmann_scuderi_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hoffmann_scuderi_1910/32
Zitationshilfe: Hoffmann, E. T. A.: Das Fräulein von Scuderi. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 1. München, [1871], S. [203]–312. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hoffmann_scuderi_1910/32>, abgerufen am 03.12.2024.