Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Hoffmann, E. T. A.: Das Fräulein von Scuderi. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 1. München, [1871], S. [203]–312. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

zende Kränkung ihr jener unbedachtsame Scherz, mit dem sie die Supplik der gefährdeten Liebhaber beantwortet, zugezogen habe. Die Marquise, nachdem sie Alles von Moment zu Moment erfahren, urtheilte, daß die Scudery sich das sonderbare Ereigniß viel zu sehr zu Herzen nehme, daß der Hohn verruchten Gesindels nie ein frommes, edles Gemüth treffen könne, und verlangte zuletzt den Schmuck zu sehen.

Die Scudery gab ihr das geöffnete Kästchen, und die Marquise konnte sich, als sie das köstliche Geschmeide erblickte, des lauten Ausrufs der Verwunderung nicht erwehren. Sie nahm den Halsschmuck, die Armbänder heraus und trat damit an das Fenster, wo sie bald die Juwelen an der Sonne spielen ließ, bald die zierliche Goldarbeit ganz nahe vor die Augen hielt, um nur recht zu erschauen, mit welcher wundervollen Kunst jedes kleine Häkchen der verschlungenen Ketten gearbeitet war.

Auf einmal wandte sich die Marquise rasch um nach dem Fräulein und rief: Wißt Ihr wohl, Fräulein! daß diese Armbänder, diesen Halsschmuck Niemand anders gearbeitet haben kann, als Rene Cardillac? -- Rene Cardillac war damals der geschickteste Goldarbeiter in Paris, einer der kunstreichsten und zugleich sonderbarsten Menschen seiner Zeit. Eher klein als groß, aber breitschultrig und von starkem, muskulösem Körperbau, hatte Cardillac, hoch in die fünfziger Jahre vorgerückt, noch die Kraft, die Beweglichkeit des Jünglings. Von

zende Kränkung ihr jener unbedachtsame Scherz, mit dem sie die Supplik der gefährdeten Liebhaber beantwortet, zugezogen habe. Die Marquise, nachdem sie Alles von Moment zu Moment erfahren, urtheilte, daß die Scudery sich das sonderbare Ereigniß viel zu sehr zu Herzen nehme, daß der Hohn verruchten Gesindels nie ein frommes, edles Gemüth treffen könne, und verlangte zuletzt den Schmuck zu sehen.

Die Scudery gab ihr das geöffnete Kästchen, und die Marquise konnte sich, als sie das köstliche Geschmeide erblickte, des lauten Ausrufs der Verwunderung nicht erwehren. Sie nahm den Halsschmuck, die Armbänder heraus und trat damit an das Fenster, wo sie bald die Juwelen an der Sonne spielen ließ, bald die zierliche Goldarbeit ganz nahe vor die Augen hielt, um nur recht zu erschauen, mit welcher wundervollen Kunst jedes kleine Häkchen der verschlungenen Ketten gearbeitet war.

Auf einmal wandte sich die Marquise rasch um nach dem Fräulein und rief: Wißt Ihr wohl, Fräulein! daß diese Armbänder, diesen Halsschmuck Niemand anders gearbeitet haben kann, als René Cardillac? — René Cardillac war damals der geschickteste Goldarbeiter in Paris, einer der kunstreichsten und zugleich sonderbarsten Menschen seiner Zeit. Eher klein als groß, aber breitschultrig und von starkem, muskulösem Körperbau, hatte Cardillac, hoch in die fünfziger Jahre vorgerückt, noch die Kraft, die Beweglichkeit des Jünglings. Von

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="chapter" n="3">
        <p><pb facs="#f0037"/>
zende Kränkung ihr jener                unbedachtsame Scherz, mit dem sie die Supplik der gefährdeten Liebhaber beantwortet,                zugezogen habe. Die Marquise, nachdem sie Alles von Moment zu Moment erfahren,                urtheilte, daß die Scudery sich das sonderbare Ereigniß viel zu sehr zu Herzen nehme,                daß der Hohn verruchten Gesindels nie ein frommes, edles Gemüth treffen könne, und                verlangte zuletzt den Schmuck zu sehen.</p><lb/>
        <p>Die Scudery gab ihr das geöffnete Kästchen, und die Marquise konnte sich, als sie das                köstliche Geschmeide erblickte, des lauten Ausrufs der Verwunderung nicht erwehren.                Sie nahm den Halsschmuck, die Armbänder heraus und trat damit an das Fenster, wo sie                bald die Juwelen an der Sonne spielen ließ, bald die zierliche Goldarbeit ganz nahe                vor die Augen hielt, um nur recht zu erschauen, mit welcher wundervollen Kunst jedes                kleine Häkchen der verschlungenen Ketten gearbeitet war.</p><lb/>
        <p>Auf einmal wandte sich die Marquise rasch um nach dem Fräulein und rief: Wißt Ihr                wohl, Fräulein! daß diese Armbänder, diesen Halsschmuck Niemand anders gearbeitet                haben kann, als René Cardillac? &#x2014; René Cardillac war damals der geschickteste                Goldarbeiter in Paris, einer der kunstreichsten und zugleich sonderbarsten Menschen                seiner Zeit. Eher klein als groß, aber breitschultrig und von starkem, muskulösem                Körperbau, hatte Cardillac, hoch in die fünfziger Jahre vorgerückt, noch die Kraft,                die Beweglichkeit des Jünglings. Von<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0037] zende Kränkung ihr jener unbedachtsame Scherz, mit dem sie die Supplik der gefährdeten Liebhaber beantwortet, zugezogen habe. Die Marquise, nachdem sie Alles von Moment zu Moment erfahren, urtheilte, daß die Scudery sich das sonderbare Ereigniß viel zu sehr zu Herzen nehme, daß der Hohn verruchten Gesindels nie ein frommes, edles Gemüth treffen könne, und verlangte zuletzt den Schmuck zu sehen. Die Scudery gab ihr das geöffnete Kästchen, und die Marquise konnte sich, als sie das köstliche Geschmeide erblickte, des lauten Ausrufs der Verwunderung nicht erwehren. Sie nahm den Halsschmuck, die Armbänder heraus und trat damit an das Fenster, wo sie bald die Juwelen an der Sonne spielen ließ, bald die zierliche Goldarbeit ganz nahe vor die Augen hielt, um nur recht zu erschauen, mit welcher wundervollen Kunst jedes kleine Häkchen der verschlungenen Ketten gearbeitet war. Auf einmal wandte sich die Marquise rasch um nach dem Fräulein und rief: Wißt Ihr wohl, Fräulein! daß diese Armbänder, diesen Halsschmuck Niemand anders gearbeitet haben kann, als René Cardillac? — René Cardillac war damals der geschickteste Goldarbeiter in Paris, einer der kunstreichsten und zugleich sonderbarsten Menschen seiner Zeit. Eher klein als groß, aber breitschultrig und von starkem, muskulösem Körperbau, hatte Cardillac, hoch in die fünfziger Jahre vorgerückt, noch die Kraft, die Beweglichkeit des Jünglings. Von

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T11:42:57Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T11:42:57Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: nein; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hoffmann_scuderi_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hoffmann_scuderi_1910/37
Zitationshilfe: Hoffmann, E. T. A.: Das Fräulein von Scuderi. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 1. München, [1871], S. [203]–312. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hoffmann_scuderi_1910/37>, abgerufen am 21.11.2024.