Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Hoffmann, E. T. A.: Das Fräulein von Scuderi. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 1. München, [1871], S. [203]–312. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

heimniß bestehe, und wie überhaupt der ehrliche, wackere Meister Seite, das Vorbild eines guten, frommen Bürgers, mit irgend etwas Bösem, Verdammlichem zu thun haben soll. So viel ist aber gewiß, daß ich niemals mich unterstehen werde, den Schmuck anzulegen.

Die Marquise meinte, das hieße den Scrupel zu weit treiben; als nun aber die Scudery sie auf ihr Gewissen fragte, was sie in ihrer, der Scudery, Lage wohl thun würde, antwortete sie ernst und fest: weit eher den Schmuck in die Seine werfen, als ihn jemals tragen.

Den Auftritt mit dem Meister Rene brachte die Scudery in gar unmuthige Verse, die sie den folgenden Abend in den Gemächern der Maintenon dem Könige vorlas. Wohl mag es sein, daß sie auf Kosten Meister Rene's, alle Schauer unheimlicher Ahnung besiegend, das ergötzliche Bild der drei und siebzigjährigen Goldschmieds-Braut von uraltem Adel mit lebendigen Farben darzustellen gewußt. Genug, der König lachte bis ins Innerste hinein und schwur, daß Boileau Despreaux seinen Meister gefunden, weshalb der Scudery Gedicht für das Witzigste galt, das jemals geschrieben.

Mehrere Monate waren vergangen, als der Zufall es wollte, daß die Scudery in der Glaskutsche der Herzogin von Montausier über den Pontneuf fuhr. Noch war die Erfindung der zierlichen Glaskutschen so neu, daß das neugierige Volk sich zudrängte, wenn ein Fuhrwerk der Art auf den Straßen erschien. So kam es denn auch, daß der gaffende Pöbel auf dem Pontneuf

heimniß bestehe, und wie überhaupt der ehrliche, wackere Meister Seite, das Vorbild eines guten, frommen Bürgers, mit irgend etwas Bösem, Verdammlichem zu thun haben soll. So viel ist aber gewiß, daß ich niemals mich unterstehen werde, den Schmuck anzulegen.

Die Marquise meinte, das hieße den Scrupel zu weit treiben; als nun aber die Scudery sie auf ihr Gewissen fragte, was sie in ihrer, der Scudery, Lage wohl thun würde, antwortete sie ernst und fest: weit eher den Schmuck in die Seine werfen, als ihn jemals tragen.

Den Auftritt mit dem Meister René brachte die Scudery in gar unmuthige Verse, die sie den folgenden Abend in den Gemächern der Maintenon dem Könige vorlas. Wohl mag es sein, daß sie auf Kosten Meister René's, alle Schauer unheimlicher Ahnung besiegend, das ergötzliche Bild der drei und siebzigjährigen Goldschmieds-Braut von uraltem Adel mit lebendigen Farben darzustellen gewußt. Genug, der König lachte bis ins Innerste hinein und schwur, daß Boileau Despréaux seinen Meister gefunden, weshalb der Scudery Gedicht für das Witzigste galt, das jemals geschrieben.

Mehrere Monate waren vergangen, als der Zufall es wollte, daß die Scudery in der Glaskutsche der Herzogin von Montausier über den Pontneuf fuhr. Noch war die Erfindung der zierlichen Glaskutschen so neu, daß das neugierige Volk sich zudrängte, wenn ein Fuhrwerk der Art auf den Straßen erschien. So kam es denn auch, daß der gaffende Pöbel auf dem Pontneuf

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="chapter" n="3">
        <p><pb facs="#f0047"/>
heimniß bestehe, und wie überhaupt der                ehrliche, wackere Meister Seite, das Vorbild eines guten, frommen Bürgers, mit irgend                etwas Bösem, Verdammlichem zu thun haben soll. So viel ist aber gewiß, daß ich                niemals mich unterstehen werde, den Schmuck anzulegen.</p><lb/>
        <p>Die Marquise meinte, das hieße den Scrupel zu weit treiben; als nun aber die Scudery                sie auf ihr Gewissen fragte, was sie in ihrer, der Scudery, Lage wohl thun würde,                antwortete sie ernst und fest: weit eher den Schmuck in die Seine werfen, als ihn                jemals tragen.</p><lb/>
        <p>Den Auftritt mit dem Meister René brachte die Scudery in gar unmuthige Verse, die sie                den folgenden Abend in den Gemächern der Maintenon dem Könige vorlas. Wohl mag es                sein, daß sie auf Kosten Meister René's, alle Schauer unheimlicher Ahnung besiegend,                das ergötzliche Bild der drei und siebzigjährigen Goldschmieds-Braut von uraltem Adel                mit lebendigen Farben darzustellen gewußt. Genug, der König lachte bis ins Innerste                hinein und schwur, daß Boileau Despréaux seinen Meister gefunden, weshalb der Scudery                Gedicht für das Witzigste galt, das jemals geschrieben.</p><lb/>
        <p>Mehrere Monate waren vergangen, als der Zufall es wollte, daß die Scudery in der                Glaskutsche der Herzogin von Montausier über den Pontneuf fuhr. Noch war die                Erfindung der zierlichen Glaskutschen so neu, daß das neugierige Volk sich zudrängte,                wenn ein Fuhrwerk der Art auf den Straßen erschien. So kam es denn auch, daß der                gaffende Pöbel auf dem Pontneuf<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0047] heimniß bestehe, und wie überhaupt der ehrliche, wackere Meister Seite, das Vorbild eines guten, frommen Bürgers, mit irgend etwas Bösem, Verdammlichem zu thun haben soll. So viel ist aber gewiß, daß ich niemals mich unterstehen werde, den Schmuck anzulegen. Die Marquise meinte, das hieße den Scrupel zu weit treiben; als nun aber die Scudery sie auf ihr Gewissen fragte, was sie in ihrer, der Scudery, Lage wohl thun würde, antwortete sie ernst und fest: weit eher den Schmuck in die Seine werfen, als ihn jemals tragen. Den Auftritt mit dem Meister René brachte die Scudery in gar unmuthige Verse, die sie den folgenden Abend in den Gemächern der Maintenon dem Könige vorlas. Wohl mag es sein, daß sie auf Kosten Meister René's, alle Schauer unheimlicher Ahnung besiegend, das ergötzliche Bild der drei und siebzigjährigen Goldschmieds-Braut von uraltem Adel mit lebendigen Farben darzustellen gewußt. Genug, der König lachte bis ins Innerste hinein und schwur, daß Boileau Despréaux seinen Meister gefunden, weshalb der Scudery Gedicht für das Witzigste galt, das jemals geschrieben. Mehrere Monate waren vergangen, als der Zufall es wollte, daß die Scudery in der Glaskutsche der Herzogin von Montausier über den Pontneuf fuhr. Noch war die Erfindung der zierlichen Glaskutschen so neu, daß das neugierige Volk sich zudrängte, wenn ein Fuhrwerk der Art auf den Straßen erschien. So kam es denn auch, daß der gaffende Pöbel auf dem Pontneuf

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T11:42:57Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T11:42:57Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: nein; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hoffmann_scuderi_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hoffmann_scuderi_1910/47
Zitationshilfe: Hoffmann, E. T. A.: Das Fräulein von Scuderi. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 1. München, [1871], S. [203]–312. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hoffmann_scuderi_1910/47>, abgerufen am 03.12.2024.