Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Hoffmannswaldau, Christian Hoffmann von: Herrn von Hoffmannswaldau und andrer Deutschen auserlesene und bißher ungedruckte Gedichte. [Bd. 1]. Leipzig, 1695.

Bild:
<< vorherige Seite

Verliebte Gedichte.
Mein kind/ ich will dich nicht mit sitten lehren speisen;
Mein brieff war neulich kaum nach - -     abgeschickt/
Die augen waren erst vom schlaffe zugedrückt/
Da reitzte mich die lust schon wieder nachzureisen.
Pfuy! sprach ich! lästu so die süsse zeit verschiessen?
Strahlt deine sonne dich mit todten blicken an?
Wer ist/ der deinem thun hier grentzen setzen kan?
Und wer/ der deinen geist in fässel denckt zuschliessen?
Wilstu die nase nun erst in die bücher stecken?
Ach allzuschwache krafft vor deine liebes-pein!
Da muß kein todtes oel und fauler balsam seyn/
Wo sich die funcken schon in lichte flammen strecken.
Weg mit der phantasey! weg mit den feder possen!
Ein mägdgen ist weit mehr/ als alle bücher werth.
Der hat sein glücke schon in asch und grauß verkehrt/
Der in das cabinet auch seel' und geist verschlossen.
Mit diesen sprang ich auff/ fing alles anzuschmeissen/
Riß zeddel und pappier in hundert stück entzwey/
Und sprach: die last ist hin und Abimenin frey:
So muß ein tapffres hertz durch tausend stricke reissen.
Ein blat/ ein kahles blat soll meine freyheit binden?
Ha/ (fuhr ich weiter fort) das stünde schülern an:
Ich habe längsten schon dir/ liebste/ dargethan/
Daß ich in dir allein will meinen kärcker finden.
Der eifer mehrte sich wie meine liebes-kohlen/
Gleich aber als ich noch die letzten worte sprach/
Da trat des fuhrmanns knecht in unser schlaff-gemach/
Um den verdienten lohn von neulich abzuholen.
Er ließ sich unverhofft durch meine lust bewegen/
Befohlen und geschehn/ war alles nur ein wort:
Ich saß mit Thyrsis auff/ und fuhren beyde fort/
Um dir die liebes-schuld/ mein engel/ abzulegen.
Es schien der himmel selbst bestrahlte mein verreisen/
Die winde liessen nichts als amber-lüffte wehn/
Die wolcken musten uns in tausend rosen sehn/
Und auge/ mund und hertz mit voller anmuth speisen.
Die pferde säumten nicht den leicht-beladnen wagen/
Die räder flohen schnell/ wie pfeile/ strohm und plitz/
Die glieder fühlten kaum den hart gebauten sitz/
Und wurden wie ein stein durch dicke lufft getragen.
Und so weit muste mich das blinde glücke küssen.
Darauff nahm Sandau uns zur abend taffel ein:
Ach Sandau! daß du soltst mein trauer-denckmahl seyn!
Ach Sandau/ daß du mich in diese noth gerissen!

War-
D 4

Verliebte Gedichte.
Mein kind/ ich will dich nicht mit ſitten lehren ſpeiſen;
Mein brieff war neulich kaum nach ⸗ ⸗     abgeſchickt/
Die augen waren erſt vom ſchlaffe zugedruͤckt/
Da reitzte mich die luſt ſchon wieder nachzureiſen.
Pfuy! ſprach ich! laͤſtu ſo die ſuͤſſe zeit verſchieſſen?
Strahlt deine ſonne dich mit todten blicken an?
Wer iſt/ der deinem thun hier grentzen ſetzen kan?
Und wer/ der deinen geiſt in faͤſſel denckt zuſchlieſſen?
Wilſtu die naſe nun erſt in die buͤcher ſtecken?
Ach allzuſchwache krafft vor deine liebes-pein!
Da muß kein todtes oel und fauler balſam ſeyn/
Wo ſich die funcken ſchon in lichte flammen ſtrecken.
Weg mit der phantaſey! weg mit den feder poſſen!
Ein maͤgdgen iſt weit mehr/ als alle buͤcher werth.
Der hat ſein gluͤcke ſchon in aſch und grauß verkehrt/
Der in das cabinet auch ſeel’ und geiſt verſchloſſen.
Mit dieſen ſprang ich auff/ fing alles anzuſchmeiſſen/
Riß zeddel und pappier in hundert ſtuͤck entzwey/
Und ſprach: die laſt iſt hin und Abimenin frey:
So muß ein tapffres hertz durch tauſend ſtricke reiſſen.
Ein blat/ ein kahles blat ſoll meine freyheit binden?
Ha/ (fuhr ich weiter fort) das ſtuͤnde ſchuͤlern an:
Ich habe laͤngſten ſchon dir/ liebſte/ dargethan/
Daß ich in dir allein will meinen kaͤrcker finden.
Der eifer mehrte ſich wie meine liebes-kohlen/
Gleich aber als ich noch die letzten worte ſprach/
Da trat des fuhrmanns knecht in unſer ſchlaff-gemach/
Um den verdienten lohn von neulich abzuholen.
Er ließ ſich unverhofft durch meine luſt bewegen/
Befohlen und geſchehn/ war alles nur ein wort:
Ich ſaß mit Thyrſis auff/ und fuhren beyde fort/
Um dir die liebes-ſchuld/ mein engel/ abzulegen.
Es ſchien der himmel ſelbſt beſtrahlte mein verreiſen/
Die winde lieſſen nichts als amber-luͤffte wehn/
Die wolcken muſten uns in tauſend roſen ſehn/
Und auge/ mund und hertz mit voller anmuth ſpeiſen.
Die pferde ſaͤumten nicht den leicht-beladnen wagen/
Die raͤder flohen ſchnell/ wie pfeile/ ſtrohm und plitz/
Die glieder fuͤhlten kaum den hart gebauten ſitz/
Und wurden wie ein ſtein durch dicke lufft getragen.
Und ſo weit muſte mich das blinde gluͤcke kuͤſſen.
Darauff nahm Sandau uns zur abend taffel ein:
Ach Sandau! daß du ſoltſt mein trauer-denckmahl ſeyn!
Ach Sandau/ daß du mich in dieſe noth geriſſen!

War-
D 4
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <lg type="poem">
          <lg n="1">
            <pb facs="#f0099" n="55"/>
            <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#fr">Verliebte Gedichte.</hi> </fw><lb/>
            <l>Mein kind/ ich will dich nicht mit &#x017F;itten lehren &#x017F;pei&#x017F;en;</l><lb/>
            <l>Mein brieff war neulich kaum nach &#x2E17; &#x2E17; <space dim="horizontal"/> abge&#x017F;chickt/</l><lb/>
            <l>Die augen waren er&#x017F;t vom &#x017F;chlaffe zugedru&#x0364;ckt/</l><lb/>
            <l>Da reitzte mich die lu&#x017F;t &#x017F;chon wieder nachzurei&#x017F;en.</l><lb/>
            <l>Pfuy! &#x017F;prach ich! la&#x0364;&#x017F;tu &#x017F;o die &#x017F;u&#x0364;&#x017F;&#x017F;e zeit ver&#x017F;chie&#x017F;&#x017F;en?</l><lb/>
            <l>Strahlt deine &#x017F;onne dich mit todten blicken an?</l><lb/>
            <l>Wer i&#x017F;t/ der deinem thun hier grentzen &#x017F;etzen kan?</l><lb/>
            <l>Und wer/ der deinen gei&#x017F;t in fa&#x0364;&#x017F;&#x017F;el denckt zu&#x017F;chlie&#x017F;&#x017F;en?</l><lb/>
            <l>Wil&#x017F;tu die na&#x017F;e nun er&#x017F;t in die bu&#x0364;cher &#x017F;tecken?</l><lb/>
            <l>Ach allzu&#x017F;chwache krafft vor deine liebes-pein!</l><lb/>
            <l>Da muß kein todtes oel und fauler bal&#x017F;am &#x017F;eyn/</l><lb/>
            <l>Wo &#x017F;ich die funcken &#x017F;chon in lichte flammen &#x017F;trecken.</l><lb/>
            <l>Weg mit der phanta&#x017F;ey! weg mit den feder po&#x017F;&#x017F;en!</l><lb/>
            <l>Ein ma&#x0364;gdgen i&#x017F;t weit mehr/ als alle bu&#x0364;cher werth.</l><lb/>
            <l>Der hat &#x017F;ein glu&#x0364;cke &#x017F;chon in a&#x017F;ch und grauß verkehrt/</l><lb/>
            <l>Der in das cabinet auch &#x017F;eel&#x2019; und gei&#x017F;t ver&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en.</l><lb/>
            <l>Mit die&#x017F;en &#x017F;prang ich auff/ fing alles anzu&#x017F;chmei&#x017F;&#x017F;en/</l><lb/>
            <l>Riß zeddel und pappier in hundert &#x017F;tu&#x0364;ck entzwey/</l><lb/>
            <l>Und &#x017F;prach: die la&#x017F;t i&#x017F;t hin und Abimenin frey:</l><lb/>
            <l>So muß ein tapffres hertz durch tau&#x017F;end &#x017F;tricke rei&#x017F;&#x017F;en.</l><lb/>
            <l>Ein blat/ ein kahles blat &#x017F;oll meine freyheit binden?</l><lb/>
            <l>Ha/ (fuhr ich weiter fort) das &#x017F;tu&#x0364;nde &#x017F;chu&#x0364;lern an:</l><lb/>
            <l>Ich habe la&#x0364;ng&#x017F;ten &#x017F;chon dir/ lieb&#x017F;te/ dargethan/</l><lb/>
            <l>Daß ich in dir allein will meinen ka&#x0364;rcker finden.</l><lb/>
            <l>Der eifer mehrte &#x017F;ich wie meine liebes-kohlen/</l><lb/>
            <l>Gleich aber als ich noch die letzten worte &#x017F;prach/</l><lb/>
            <l>Da trat des fuhrmanns knecht in un&#x017F;er &#x017F;chlaff-gemach/</l><lb/>
            <l>Um den verdienten lohn von neulich abzuholen.</l><lb/>
            <l>Er ließ &#x017F;ich unverhofft durch meine lu&#x017F;t bewegen/</l><lb/>
            <l>Befohlen und ge&#x017F;chehn/ war alles nur ein wort:</l><lb/>
            <l>Ich &#x017F;aß mit Thyr&#x017F;is auff/ und fuhren beyde fort/</l><lb/>
            <l>Um dir die liebes-&#x017F;chuld/ mein engel/ abzulegen.</l><lb/>
            <l>Es &#x017F;chien der himmel &#x017F;elb&#x017F;t be&#x017F;trahlte mein verrei&#x017F;en/</l><lb/>
            <l>Die winde lie&#x017F;&#x017F;en nichts als amber-lu&#x0364;ffte wehn/</l><lb/>
            <l>Die wolcken mu&#x017F;ten uns in tau&#x017F;end ro&#x017F;en &#x017F;ehn/</l><lb/>
            <l>Und auge/ mund und hertz mit voller anmuth &#x017F;pei&#x017F;en.</l><lb/>
            <l>Die pferde &#x017F;a&#x0364;umten nicht den leicht-beladnen wagen/</l><lb/>
            <l>Die ra&#x0364;der flohen &#x017F;chnell/ wie pfeile/ &#x017F;trohm und plitz/</l><lb/>
            <l>Die glieder fu&#x0364;hlten kaum den hart gebauten &#x017F;itz/</l><lb/>
            <l>Und wurden wie ein &#x017F;tein durch dicke lufft getragen.</l><lb/>
            <l>Und &#x017F;o weit mu&#x017F;te mich das blinde glu&#x0364;cke ku&#x0364;&#x017F;&#x017F;en.</l><lb/>
            <l>Darauff nahm Sandau uns zur abend taffel ein:</l><lb/>
            <l>Ach Sandau! daß du &#x017F;olt&#x017F;t mein trauer-denckmahl &#x017F;eyn!</l><lb/>
            <l>Ach Sandau/ daß du mich in die&#x017F;e noth geri&#x017F;&#x017F;en!</l><lb/>
            <fw place="bottom" type="sig">D 4</fw>
            <fw place="bottom" type="catch">War-</fw><lb/>
          </lg>
        </lg>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[55/0099] Verliebte Gedichte. Mein kind/ ich will dich nicht mit ſitten lehren ſpeiſen; Mein brieff war neulich kaum nach ⸗ ⸗ abgeſchickt/ Die augen waren erſt vom ſchlaffe zugedruͤckt/ Da reitzte mich die luſt ſchon wieder nachzureiſen. Pfuy! ſprach ich! laͤſtu ſo die ſuͤſſe zeit verſchieſſen? Strahlt deine ſonne dich mit todten blicken an? Wer iſt/ der deinem thun hier grentzen ſetzen kan? Und wer/ der deinen geiſt in faͤſſel denckt zuſchlieſſen? Wilſtu die naſe nun erſt in die buͤcher ſtecken? Ach allzuſchwache krafft vor deine liebes-pein! Da muß kein todtes oel und fauler balſam ſeyn/ Wo ſich die funcken ſchon in lichte flammen ſtrecken. Weg mit der phantaſey! weg mit den feder poſſen! Ein maͤgdgen iſt weit mehr/ als alle buͤcher werth. Der hat ſein gluͤcke ſchon in aſch und grauß verkehrt/ Der in das cabinet auch ſeel’ und geiſt verſchloſſen. Mit dieſen ſprang ich auff/ fing alles anzuſchmeiſſen/ Riß zeddel und pappier in hundert ſtuͤck entzwey/ Und ſprach: die laſt iſt hin und Abimenin frey: So muß ein tapffres hertz durch tauſend ſtricke reiſſen. Ein blat/ ein kahles blat ſoll meine freyheit binden? Ha/ (fuhr ich weiter fort) das ſtuͤnde ſchuͤlern an: Ich habe laͤngſten ſchon dir/ liebſte/ dargethan/ Daß ich in dir allein will meinen kaͤrcker finden. Der eifer mehrte ſich wie meine liebes-kohlen/ Gleich aber als ich noch die letzten worte ſprach/ Da trat des fuhrmanns knecht in unſer ſchlaff-gemach/ Um den verdienten lohn von neulich abzuholen. Er ließ ſich unverhofft durch meine luſt bewegen/ Befohlen und geſchehn/ war alles nur ein wort: Ich ſaß mit Thyrſis auff/ und fuhren beyde fort/ Um dir die liebes-ſchuld/ mein engel/ abzulegen. Es ſchien der himmel ſelbſt beſtrahlte mein verreiſen/ Die winde lieſſen nichts als amber-luͤffte wehn/ Die wolcken muſten uns in tauſend roſen ſehn/ Und auge/ mund und hertz mit voller anmuth ſpeiſen. Die pferde ſaͤumten nicht den leicht-beladnen wagen/ Die raͤder flohen ſchnell/ wie pfeile/ ſtrohm und plitz/ Die glieder fuͤhlten kaum den hart gebauten ſitz/ Und wurden wie ein ſtein durch dicke lufft getragen. Und ſo weit muſte mich das blinde gluͤcke kuͤſſen. Darauff nahm Sandau uns zur abend taffel ein: Ach Sandau! daß du ſoltſt mein trauer-denckmahl ſeyn! Ach Sandau/ daß du mich in dieſe noth geriſſen! War- D 4

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hoffmannswaldau_gedichte01_1695
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hoffmannswaldau_gedichte01_1695/99
Zitationshilfe: Hoffmannswaldau, Christian Hoffmann von: Herrn von Hoffmannswaldau und andrer Deutschen auserlesene und bißher ungedruckte Gedichte. [Bd. 1]. Leipzig, 1695, S. 55. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hoffmannswaldau_gedichte01_1695/99>, abgerufen am 18.05.2024.