Hofmannswaldau, Christian Hofmann von: Herrn von Hofmannswaldau und andrer Deutschen auserlesene und bißher ungedruckte Gedichte. Bd. 5. Leipzig, 1710.Leanders aus Schlesien * * DEr menschliche verstand hat allzuenge grentzen:So lang' er auch studiert, so scharff er immer ist, So hat er dennoch nie den festen grund erkiest; Es will der wahrheit licht in dieser nacht nicht gläntzen. Die rarste wissenschafft, so wie cometen sternt, Jst weit gefährlicher, als wenn man nichts studieret. Die tieffen labyrinth', in welche sie uns führet, Sind zeugen, daß sie uns offt nichts als zweiffeln lernt. Aria. Als ihm seine Daphne gestorben. Leander. 1. JHr vergnügten stunden!Wo seyd, wo seyd ihr hin? Ach ihr bleibt verschwunden, Nun ich verlassen bin. Meinen Schatz, ach herbe noth! Umfaßt der kalte tod. 2. Fließt, ihr milden thränen!Mein Schatz ist ihrer werth. Zeigt das bange sehnen, So mich itzund verzehrt: Zeigt, daß meine lieb' und tren Noch ungestorben sey. 3. Was mich nie betrübet,Macht mich nun stets betrübt, Was mich treu geliebet, Und ich auch treu geliebt, Stirbt
Leanders aus Schleſien * * DEr menſchliche verſtand hat allzuenge grentzen:So lang’ er auch ſtudiert, ſo ſcharff er immer iſt, So hat er dennoch nie den feſten grund erkieſt; Es will der wahrheit licht in dieſer nacht nicht glaͤntzen. Die rarſte wiſſenſchafft, ſo wie cometen ſternt, Jſt weit gefaͤhrlicher, als wenn man nichts ſtudieret. Die tieffen labyrinth’, in welche ſie uns fuͤhret, Sind zeugen, daß ſie uns offt nichts als zweiffeln lernt. Aria. Als ihm ſeine Daphne geſtorben. Leander. 1. JHr vergnuͤgten ſtunden!Wo ſeyd, wo ſeyd ihr hin? Ach ihr bleibt verſchwunden, Nun ich verlaſſen bin. Meinen Schatz, ach herbe noth! Umfaßt der kalte tod. 2. Fließt, ihr milden thraͤnen!Mein Schatz iſt ihrer werth. Zeigt das bange ſehnen, So mich itzund verzehrt: Zeigt, daß meine lieb’ und tren Noch ungeſtorben ſey. 3. Was mich nie betruͤbet,Macht mich nun ſtets betruͤbt, Was mich treu geliebet, Und ich auch treu geliebt, Stirbt
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0304" n="302"/> <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#fr">Leanders aus Schleſien</hi> </fw><lb/> <lg type="poem"> <head> <hi rendition="#c">* *</hi> </head><lb/> <l><hi rendition="#in">D</hi>Er menſchliche verſtand hat allzuenge grentzen:</l><lb/> <l>So lang’ er auch ſtudiert, ſo ſcharff er immer iſt,</l><lb/> <l>So hat er dennoch nie den feſten grund erkieſt;</l><lb/> <l>Es will der wahrheit licht in dieſer nacht nicht glaͤntzen.</l><lb/> <l>Die rarſte wiſſenſchafft, ſo wie cometen ſternt,</l><lb/> <l>Jſt weit gefaͤhrlicher, als wenn man nichts ſtudieret.</l><lb/> <l>Die tieffen labyrinth’, in welche ſie uns fuͤhret,</l><lb/> <l>Sind zeugen, daß ſie uns offt nichts als zweiffeln lernt.</l> </lg><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <lg type="poem"> <head> <hi rendition="#c"> <hi rendition="#fr">Aria.<lb/> Als ihm ſeine Daphne geſtorben.<lb/> Leander.</hi> </hi> </head><lb/> <lg n="1"> <head> <hi rendition="#c">1.</hi> </head><lb/> <l><hi rendition="#in">J</hi>Hr vergnuͤgten ſtunden!</l><lb/> <l>Wo ſeyd, wo ſeyd ihr hin?</l><lb/> <l>Ach ihr bleibt verſchwunden,</l><lb/> <l>Nun ich verlaſſen bin.</l><lb/> <l>Meinen Schatz, ach herbe noth!</l><lb/> <l>Umfaßt der kalte tod.</l> </lg><lb/> <lg n="2"> <head> <hi rendition="#c">2.</hi> </head><lb/> <l>Fließt, ihr milden thraͤnen!</l><lb/> <l>Mein Schatz iſt ihrer werth.</l><lb/> <l>Zeigt das bange ſehnen,</l><lb/> <l>So mich itzund verzehrt:</l><lb/> <l>Zeigt, daß meine lieb’ und tren</l><lb/> <l>Noch ungeſtorben ſey.</l> </lg><lb/> <lg n="3"> <head> <hi rendition="#c">3.</hi> </head><lb/> <l>Was mich nie betruͤbet,</l><lb/> <l>Macht mich nun ſtets betruͤbt,</l><lb/> <l>Was mich treu geliebet,</l><lb/> <l>Und ich auch treu geliebt,</l><lb/> <fw place="bottom" type="catch">Stirbt</fw><lb/> </lg> </lg> </div> </body> </text> </TEI> [302/0304]
Leanders aus Schleſien
* *
DEr menſchliche verſtand hat allzuenge grentzen:
So lang’ er auch ſtudiert, ſo ſcharff er immer iſt,
So hat er dennoch nie den feſten grund erkieſt;
Es will der wahrheit licht in dieſer nacht nicht glaͤntzen.
Die rarſte wiſſenſchafft, ſo wie cometen ſternt,
Jſt weit gefaͤhrlicher, als wenn man nichts ſtudieret.
Die tieffen labyrinth’, in welche ſie uns fuͤhret,
Sind zeugen, daß ſie uns offt nichts als zweiffeln lernt.
Aria.
Als ihm ſeine Daphne geſtorben.
Leander.
1.
JHr vergnuͤgten ſtunden!
Wo ſeyd, wo ſeyd ihr hin?
Ach ihr bleibt verſchwunden,
Nun ich verlaſſen bin.
Meinen Schatz, ach herbe noth!
Umfaßt der kalte tod.
2.
Fließt, ihr milden thraͤnen!
Mein Schatz iſt ihrer werth.
Zeigt das bange ſehnen,
So mich itzund verzehrt:
Zeigt, daß meine lieb’ und tren
Noch ungeſtorben ſey.
3.
Was mich nie betruͤbet,
Macht mich nun ſtets betruͤbt,
Was mich treu geliebet,
Und ich auch treu geliebt,
Stirbt
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |