Hofmannswaldau, Christian Hofmann von: Herrn von Hofmannswaldau und andrer Deutschen auserlesene und bißher ungedruckte Gedichte. Bd. 6. Leipzig, 1709.Vermischte Getichte. Der 37 vers des 119 Psalms. UNser' augen sind wie sterne, die beständig irre gehn;Doch HErr! der du ewig bleibest, mache, daß sie stille stehn! Laß sie nicht nach lehren gaffen, die mehr bös' als nützlich sind: Deine liebe nützt und bessert, und viel wissen macht nur blind. Die liebe zum selbst-betrug. WEnn uns ein freund betreugt, so hat man viel zu klagen:Wenn man sich selbst betreugt, da hat es nichts zu sagen. Der kriegs-knechte einer eröffnete seine O ungerechter stich vor dich!seite mit einem speer. Joh. 19 v. 34. Den deine seit', o Heyland! fühlet; Und dennoch gantz erwünscht vor mich, Weil er den zorn des vaters kühlet! Verhaßter und auch liebster spieß! Du stichst zwar in das wahre leben; Doch nur, um in das paradies Uns einen schlüssel abzugeben. Lag unser heyl bißher versteckt? Lag unser schatz in GOtt vergraben? So hat, was nirgends war zu haben, Nunmehr des feindes speer entdeckt. Jch küß, o himmel! deinen schluß! Nachdem durch dich der welt zu gute Ein mord-gewehr zur wünschel-ruthe Und blut zu golde werden muß. Ver- U 5
Vermiſchte Getichte. Der 37 vers des 119 Pſalms. UNſer’ augen ſind wie ſterne, die beſtaͤndig irre gehn;Doch HErꝛ! der du ewig bleibeſt, mache, daß ſie ſtille ſtehn! Laß ſie nicht nach lehren gaffen, die mehr boͤſ’ als nuͤtzlich ſind: Deine liebe nuͤtzt und beſſert, und viel wiſſen macht nur blind. Die liebe zum ſelbſt-betrug. WEnn uns ein freund betreugt, ſo hat man viel zu klagen:Wenn man ſich ſelbſt betreugt, da hat es nichts zu ſagen. Der kriegs-knechte einer eroͤffnete ſeine O ungerechter ſtich vor dich!ſeite mit einem ſpeer. Joh. 19 v. 34. Den deine ſeit’, o Heyland! fuͤhlet; Und dennoch gantz erwuͤnſcht vor mich, Weil er den zorn des vaters kuͤhlet! Verhaßter und auch liebſter ſpieß! Du ſtichſt zwar in das wahre leben; Doch nur, um in das paradies Uns einen ſchluͤſſel abzugeben. Lag unſer heyl bißher verſteckt? Lag unſer ſchatz in GOtt vergraben? So hat, was nirgends war zu haben, Nunmehr des feindes ſpeer entdeckt. Jch kuͤß, o himmel! deinen ſchluß! Nachdem durch dich der welt zu gute Ein mord-gewehr zur wuͤnſchel-ruthe Und blut zu golde werden muß. Ver- U 5
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0337" n="313"/> <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Vermiſchte Getichte.</hi> </fw><lb/> <lg type="poem"> <head> <hi rendition="#b">Der 37 vers des 119 Pſalms.</hi> </head><lb/> <l><hi rendition="#in">U</hi>Nſer’ augen ſind wie ſterne, die beſtaͤndig irre gehn;</l><lb/> <l>Doch HErꝛ! der du ewig bleibeſt, mache, daß ſie</l><lb/> <l> <hi rendition="#et">ſtille ſtehn!</hi> </l><lb/> <l>Laß ſie nicht nach lehren gaffen, die mehr boͤſ’ als nuͤtzlich ſind:</l><lb/> <l>Deine liebe nuͤtzt und beſſert, und viel wiſſen macht nur blind.</l> </lg><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <lg type="poem"> <head> <hi rendition="#b">Die liebe zum ſelbſt-betrug.</hi> </head><lb/> <l><hi rendition="#in">W</hi>Enn uns ein freund betreugt, ſo hat man viel zu klagen:</l><lb/> <l>Wenn man ſich ſelbſt betreugt, da hat es nichts zu ſagen.</l> </lg><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <lg type="poem"> <head> <hi rendition="#b">Der kriegs-knechte einer eroͤffnete ſeine<lb/> ſeite mit einem ſpeer.<lb/> Joh. 19 v. 34.</hi> </head><lb/> <l><hi rendition="#in">O</hi> ungerechter ſtich vor dich!</l><lb/> <l>Den deine ſeit’, o Heyland! fuͤhlet;</l><lb/> <l>Und dennoch gantz erwuͤnſcht vor mich,</l><lb/> <l>Weil er den zorn des vaters kuͤhlet!</l><lb/> <l>Verhaßter und auch liebſter ſpieß!</l><lb/> <l>Du ſtichſt zwar in das wahre leben;</l><lb/> <l>Doch nur, um in das paradies</l><lb/> <l>Uns einen ſchluͤſſel abzugeben.</l><lb/> <l>Lag unſer heyl bißher verſteckt?</l><lb/> <l>Lag unſer ſchatz in GOtt vergraben?</l><lb/> <l>So hat, was nirgends war zu haben,</l><lb/> <l>Nunmehr des feindes ſpeer entdeckt.</l><lb/> <l>Jch kuͤß, o himmel! deinen ſchluß!</l><lb/> <l>Nachdem durch dich der welt zu gute</l><lb/> <l>Ein mord-gewehr zur wuͤnſchel-ruthe</l><lb/> <l>Und blut zu golde werden muß.</l> </lg><lb/> <fw place="bottom" type="sig"> <hi rendition="#b">U 5</hi> </fw> <fw place="bottom" type="catch"> <hi rendition="#b">Ver-</hi> </fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [313/0337]
Vermiſchte Getichte.
Der 37 vers des 119 Pſalms.
UNſer’ augen ſind wie ſterne, die beſtaͤndig irre gehn;
Doch HErꝛ! der du ewig bleibeſt, mache, daß ſie
ſtille ſtehn!
Laß ſie nicht nach lehren gaffen, die mehr boͤſ’ als nuͤtzlich ſind:
Deine liebe nuͤtzt und beſſert, und viel wiſſen macht nur blind.
Die liebe zum ſelbſt-betrug.
WEnn uns ein freund betreugt, ſo hat man viel zu klagen:
Wenn man ſich ſelbſt betreugt, da hat es nichts zu ſagen.
Der kriegs-knechte einer eroͤffnete ſeine
ſeite mit einem ſpeer.
Joh. 19 v. 34.
O ungerechter ſtich vor dich!
Den deine ſeit’, o Heyland! fuͤhlet;
Und dennoch gantz erwuͤnſcht vor mich,
Weil er den zorn des vaters kuͤhlet!
Verhaßter und auch liebſter ſpieß!
Du ſtichſt zwar in das wahre leben;
Doch nur, um in das paradies
Uns einen ſchluͤſſel abzugeben.
Lag unſer heyl bißher verſteckt?
Lag unſer ſchatz in GOtt vergraben?
So hat, was nirgends war zu haben,
Nunmehr des feindes ſpeer entdeckt.
Jch kuͤß, o himmel! deinen ſchluß!
Nachdem durch dich der welt zu gute
Ein mord-gewehr zur wuͤnſchel-ruthe
Und blut zu golde werden muß.
Ver-
U 5
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |