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Hofmannsthal, Hugo von: Tod des Tizian. Berlin, 1902.

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Gianino: Der Tod! Lavinia, mich fasst ein Grausen!
Ich war ihm nie so nah! Ich werde nie,
Nie mehr vergessen können, dass wir sterben!
Ich werde immer stumm daneben stehn
Wo Menschen lachen, und mit starrem Blick
Dies denken: dass wir alle sterben müssen!
Ich sah einmal: sie brachten mit Gesang
Einen geführt, dem war bestimmt zu sterben.
Er schwankte hin und sah die Menschen alle
Und sah die Bäume, die im leisen Wind
Die süssen Schattenzweige schaukelten.
Lavinia, wir gehen solchen Weg!

Lavinia, ich schlief nur eine Weile
Dort auf den Stufen, und das erste Wort,
Da ich die Augen aufschlug, war der Tod!

Schaudernd:
Ein solches Dunkel senkt sich aus der Luft!
Lavinia steht hochaufgerichtet, den Blick auf den völlig hellen
Himmel geheftet. Sie streift mit der Hand über Gianinos Haar.
Lavinia: Ich seh kein Dunkel. Ich seh einen Falter
Dort schwirren, dort entzündet sich ein Stern
Und drinnen geht ein alter Mann zur Ruh.
Der letzte Schritt schafft nicht die Müdigkeit,
Er lässt sie fühlen.
Indem sie spricht, und der Thür des Hauses den Rücken wendet,
hat dort eine unsichtbare Hand den Vorhang lautlos aber heftig
Gianino: Der Tod! Lavinia, mich fasst ein Grausen!
Ich war ihm nie so nah! Ich werde nie,
Nie mehr vergessen können, dass wir sterben!
Ich werde immer stumm daneben stehn
Wo Menschen lachen, und mit starrem Blick
Dies denken: dass wir alle sterben müssen!
Ich sah einmal: sie brachten mit Gesang
Einen geführt, dem war bestimmt zu sterben.
Er schwankte hin und sah die Menschen alle
Und sah die Bäume, die im leisen Wind
Die süssen Schattenzweige schaukelten.
Lavinia, wir gehen solchen Weg!

Lavinia, ich schlief nur eine Weile
Dort auf den Stufen, und das erste Wort,
Da ich die Augen aufschlug, war der Tod!

Schaudernd:
Ein solches Dunkel senkt sich aus der Luft!
Lavinia steht hochaufgerichtet, den Blick auf den völlig hellen
Himmel geheftet. Sie streift mit der Hand über Gianinos Haar.
Lavinia: Ich seh kein Dunkel. Ich seh einen Falter
Dort schwirren, dort entzündet sich ein Stern
Und drinnen geht ein alter Mann zur Ruh.
Der letzte Schritt schafft nicht die Müdigkeit,
Er lässt sie fühlen.
Indem sie spricht, und der Thür des Hauses den Rücken wendet,
hat dort eine unsichtbare Hand den Vorhang lautlos aber heftig
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[21/0029] Gianino: Der Tod! Lavinia, mich fasst ein Grausen! Ich war ihm nie so nah! Ich werde nie, Nie mehr vergessen können, dass wir sterben! Ich werde immer stumm daneben stehn Wo Menschen lachen, und mit starrem Blick Dies denken: dass wir alle sterben müssen! Ich sah einmal: sie brachten mit Gesang Einen geführt, dem war bestimmt zu sterben. Er schwankte hin und sah die Menschen alle Und sah die Bäume, die im leisen Wind Die süssen Schattenzweige schaukelten. Lavinia, wir gehen solchen Weg! Lavinia, ich schlief nur eine Weile Dort auf den Stufen, und das erste Wort, Da ich die Augen aufschlug, war der Tod! Schaudernd: Ein solches Dunkel senkt sich aus der Luft! Lavinia steht hochaufgerichtet, den Blick auf den völlig hellen Himmel geheftet. Sie streift mit der Hand über Gianinos Haar. Lavinia: Ich seh kein Dunkel. Ich seh einen Falter Dort schwirren, dort entzündet sich ein Stern Und drinnen geht ein alter Mann zur Ruh. Der letzte Schritt schafft nicht die Müdigkeit, Er lässt sie fühlen. Indem sie spricht, und der Thür des Hauses den Rücken wendet, hat dort eine unsichtbare Hand den Vorhang lautlos aber heftig

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Zitationshilfe: Hofmannsthal, Hugo von: Tod des Tizian. Berlin, 1902, S. 21. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hofmannsthal_tizian_1901/29>, abgerufen am 28.03.2024.