Mund eiligst durch Liebenau wanderten und so auch die Ohren der Mutter Goksch erreicht hatten, von welcher sie dem staunenden Anton mit seinem Früh- stück zugleich aufgetischt wurden.
Die erste meldete, daß der große Samuel zusammt der ganzen Bande bereits vor Sonnenaufgang Lie- benau verlassen habe, und daß folglich jene für heut' Abend angekündigte Aufführung des "keuschen Stief- sohnes" zweifelsohne unterbleiben müsse.
Die zweite, ungleich wichtiger, fast räthselhaft, lautete folgendermaßen: Seine reichsfreiherrliche Gna- den, Baron von Kannabich auf Liebenau, habe gestern Abend in einer Anwandlung von tiefem Schmerze und liebevoller Erinnerung an seine unvergeßliche Frau Gemahlin, auf einmal das Bedürfniß empfun- den, in eigener Person an ihrer Gruft einige höchst- eigene Zähren zu vergießen; habe sich dem zu Folge, nach reichlich genossenem Nacht- und Schlaf-Trunk auf den Kirchhof begeben, jedoch ohne Fackeln; habe vielmehr jede Begleitung entschieden untersagt, um durch nichts in seiner Rührung gestört zu werden. Eine Viertelstunde später, nachdem er dem Kirchhofe zugewandelt, sei aus schwarzer Nacht eine Art von Hülfegeschrei und Jammergebrüll erklungen, welches
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Mund eiligſt durch Liebenau wanderten und ſo auch die Ohren der Mutter Gokſch erreicht hatten, von welcher ſie dem ſtaunenden Anton mit ſeinem Fruͤh- ſtuͤck zugleich aufgetiſcht wurden.
Die erſte meldete, daß der große Samuel zuſammt der ganzen Bande bereits vor Sonnenaufgang Lie- benau verlaſſen habe, und daß folglich jene fuͤr heut’ Abend angekuͤndigte Auffuͤhrung des „keuſchen Stief- ſohnes“ zweifelsohne unterbleiben muͤſſe.
Die zweite, ungleich wichtiger, faſt raͤthſelhaft, lautete folgendermaßen: Seine reichsfreiherrliche Gna- den, Baron von Kannabich auf Liebenau, habe geſtern Abend in einer Anwandlung von tiefem Schmerze und liebevoller Erinnerung an ſeine unvergeßliche Frau Gemahlin, auf einmal das Beduͤrfniß empfun- den, in eigener Perſon an ihrer Gruft einige hoͤchſt- eigene Zaͤhren zu vergießen; habe ſich dem zu Folge, nach reichlich genoſſenem Nacht- und Schlaf-Trunk auf den Kirchhof begeben, jedoch ohne Fackeln; habe vielmehr jede Begleitung entſchieden unterſagt, um durch nichts in ſeiner Ruͤhrung geſtoͤrt zu werden. Eine Viertelſtunde ſpaͤter, nachdem er dem Kirchhofe zugewandelt, ſei aus ſchwarzer Nacht eine Art von Huͤlfegeſchrei und Jammergebruͤll erklungen, welches
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Mund eiligſt durch Liebenau wanderten und ſo auch
die Ohren der Mutter Gokſch erreicht hatten, von
welcher ſie dem ſtaunenden Anton mit ſeinem Fruͤh-
ſtuͤck zugleich aufgetiſcht wurden.
Die erſte meldete, daß der große Samuel zuſammt
der ganzen Bande bereits vor Sonnenaufgang Lie-
benau verlaſſen habe, und daß folglich jene fuͤr heut’
Abend angekuͤndigte Auffuͤhrung des „keuſchen Stief-
ſohnes“ zweifelsohne unterbleiben muͤſſe.
Die zweite, ungleich wichtiger, faſt raͤthſelhaft,
lautete folgendermaßen: Seine reichsfreiherrliche Gna-
den, Baron von Kannabich auf Liebenau, habe geſtern
Abend in einer Anwandlung von tiefem Schmerze
und liebevoller Erinnerung an ſeine unvergeßliche
Frau Gemahlin, auf einmal das Beduͤrfniß empfun-
den, in eigener Perſon an ihrer Gruft einige hoͤchſt-
eigene Zaͤhren zu vergießen; habe ſich dem zu Folge,
nach reichlich genoſſenem Nacht- und Schlaf-Trunk
auf den Kirchhof begeben, jedoch ohne Fackeln; habe
vielmehr jede Begleitung entſchieden unterſagt, um
durch nichts in ſeiner Ruͤhrung geſtoͤrt zu werden.
Eine Viertelſtunde ſpaͤter, nachdem er dem Kirchhofe
zugewandelt, ſei aus ſchwarzer Nacht eine Art von
Huͤlfegeſchrei und Jammergebruͤll erklungen, welches
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Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 1. Breslau, 1852, S. 115. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden01_1852/131>, abgerufen am 24.11.2024.
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