Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 1. Breslau, 1852.

Bild:
<< vorherige Seite

befreit und aus dieser ein Ruhekissen für sich gemacht,
kam er dazu, Rechenschaft von sich selbst zu fordern:
in welchem Theile des Waldes er sich denn befände?
Bald wurde ihm deutlich, er sei vom nächsten Wege
zum Eichberg abgekommen und habe sich verlaufen.
Und wo lag er jetzt? O weh, wie gern er sich's auch
verleugnen wollen, da half kein Zittern für's Fieber!
Er lag im Fuchswinkel! Er lag auf der nämlichen
Stelle, wo er seinen eigenen Vater an den Galgen
gewünscht, wo er dem verlorenen Sohn eines Ge-
hängten die letzte Ruhestätte bereitet hatte!

Anton glaubte nicht an Gespenster. Jch darf
Dir diese Zusicherung ertheilen, Du aufgeklärter,
höchst gebildeter, über jedes Vorurtheil erhabener
jugendlicher Leser aus dem 19. Jahrhundert nach
Christi Geburt. Aber es erging ihm wie mir; -- und
vielleicht ergeht es Dir, o Jüngling des gelehrten
Zweifels und des unbefriedigenden Wissens bisweilen
nicht anders? -- Eben so wenig, als er an sie
glaubte, eben so ehrlich konnt' er sich vor ihnen
fürchten, wenn Zeit und Gelegenheit gerade günstig
schienen. Deshalb meld' ich es, ohne höhnisches
Lächeln: in diesem Augenblick fürchtete sich mein Held
gar unheldenhaft und entsetzlich vor dem schwarzen

Die Vagabunden. I. 15

befreit und aus dieſer ein Ruhekiſſen fuͤr ſich gemacht,
kam er dazu, Rechenſchaft von ſich ſelbſt zu fordern:
in welchem Theile des Waldes er ſich denn befaͤnde?
Bald wurde ihm deutlich, er ſei vom naͤchſten Wege
zum Eichberg abgekommen und habe ſich verlaufen.
Und wo lag er jetzt? O weh, wie gern er ſich’s auch
verleugnen wollen, da half kein Zittern fuͤr’s Fieber!
Er lag im Fuchswinkel! Er lag auf der naͤmlichen
Stelle, wo er ſeinen eigenen Vater an den Galgen
gewuͤnſcht, wo er dem verlorenen Sohn eines Ge-
haͤngten die letzte Ruheſtaͤtte bereitet hatte!

Anton glaubte nicht an Geſpenſter. Jch darf
Dir dieſe Zuſicherung ertheilen, Du aufgeklaͤrter,
hoͤchſt gebildeter, uͤber jedes Vorurtheil erhabener
jugendlicher Leſer aus dem 19. Jahrhundert nach
Chriſti Geburt. Aber es erging ihm wie mir; — und
vielleicht ergeht es Dir, o Juͤngling des gelehrten
Zweifels und des unbefriedigenden Wiſſens bisweilen
nicht anders? — Eben ſo wenig, als er an ſie
glaubte, eben ſo ehrlich konnt’ er ſich vor ihnen
fuͤrchten, wenn Zeit und Gelegenheit gerade guͤnſtig
ſchienen. Deshalb meld’ ich es, ohne hoͤhniſches
Laͤcheln: in dieſem Augenblick fuͤrchtete ſich mein Held
gar unheldenhaft und entſetzlich vor dem ſchwarzen

Die Vagabunden. I. 15
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0241" n="225"/>
befreit und aus die&#x017F;er ein Ruheki&#x017F;&#x017F;en fu&#x0364;r &#x017F;ich gemacht,<lb/>
kam er dazu, Rechen&#x017F;chaft von &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t zu fordern:<lb/>
in welchem Theile des Waldes er &#x017F;ich denn befa&#x0364;nde?<lb/>
Bald wurde ihm deutlich, er &#x017F;ei vom na&#x0364;ch&#x017F;ten Wege<lb/>
zum Eichberg abgekommen und habe &#x017F;ich verlaufen.<lb/>
Und wo lag er jetzt? O weh, wie gern er &#x017F;ich&#x2019;s auch<lb/>
verleugnen wollen, da half kein Zittern fu&#x0364;r&#x2019;s Fieber!<lb/>
Er lag im Fuchswinkel! Er lag auf der na&#x0364;mlichen<lb/>
Stelle, wo er &#x017F;einen eigenen Vater an den Galgen<lb/>
gewu&#x0364;n&#x017F;cht, wo er dem verlorenen Sohn eines Ge-<lb/>
ha&#x0364;ngten die letzte Ruhe&#x017F;ta&#x0364;tte bereitet hatte!</p><lb/>
        <p>Anton glaubte nicht an Ge&#x017F;pen&#x017F;ter. Jch darf<lb/>
Dir die&#x017F;e Zu&#x017F;icherung ertheilen, Du aufgekla&#x0364;rter,<lb/>
ho&#x0364;ch&#x017F;t gebildeter, u&#x0364;ber jedes Vorurtheil erhabener<lb/>
jugendlicher Le&#x017F;er aus dem 19. Jahrhundert nach<lb/>
Chri&#x017F;ti Geburt. Aber es erging ihm wie mir; &#x2014; und<lb/>
vielleicht ergeht es Dir, o Ju&#x0364;ngling des gelehrten<lb/>
Zweifels und des unbefriedigenden Wi&#x017F;&#x017F;ens bisweilen<lb/>
nicht anders? &#x2014; Eben &#x017F;o wenig, als er an &#x017F;ie<lb/><hi rendition="#g">glaubte,</hi> eben &#x017F;o ehrlich konnt&#x2019; er &#x017F;ich vor ihnen<lb/><hi rendition="#g">fu&#x0364;rchten,</hi> wenn Zeit und Gelegenheit gerade gu&#x0364;n&#x017F;tig<lb/>
&#x017F;chienen. Deshalb meld&#x2019; ich es, ohne ho&#x0364;hni&#x017F;ches<lb/>
La&#x0364;cheln: in die&#x017F;em Augenblick fu&#x0364;rchtete &#x017F;ich mein Held<lb/>
gar unheldenhaft und ent&#x017F;etzlich vor dem &#x017F;chwarzen<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">Die Vagabunden. <hi rendition="#aq">I.</hi> 15</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[225/0241] befreit und aus dieſer ein Ruhekiſſen fuͤr ſich gemacht, kam er dazu, Rechenſchaft von ſich ſelbſt zu fordern: in welchem Theile des Waldes er ſich denn befaͤnde? Bald wurde ihm deutlich, er ſei vom naͤchſten Wege zum Eichberg abgekommen und habe ſich verlaufen. Und wo lag er jetzt? O weh, wie gern er ſich’s auch verleugnen wollen, da half kein Zittern fuͤr’s Fieber! Er lag im Fuchswinkel! Er lag auf der naͤmlichen Stelle, wo er ſeinen eigenen Vater an den Galgen gewuͤnſcht, wo er dem verlorenen Sohn eines Ge- haͤngten die letzte Ruheſtaͤtte bereitet hatte! Anton glaubte nicht an Geſpenſter. Jch darf Dir dieſe Zuſicherung ertheilen, Du aufgeklaͤrter, hoͤchſt gebildeter, uͤber jedes Vorurtheil erhabener jugendlicher Leſer aus dem 19. Jahrhundert nach Chriſti Geburt. Aber es erging ihm wie mir; — und vielleicht ergeht es Dir, o Juͤngling des gelehrten Zweifels und des unbefriedigenden Wiſſens bisweilen nicht anders? — Eben ſo wenig, als er an ſie glaubte, eben ſo ehrlich konnt’ er ſich vor ihnen fuͤrchten, wenn Zeit und Gelegenheit gerade guͤnſtig ſchienen. Deshalb meld’ ich es, ohne hoͤhniſches Laͤcheln: in dieſem Augenblick fuͤrchtete ſich mein Held gar unheldenhaft und entſetzlich vor dem ſchwarzen Die Vagabunden. I. 15

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden01_1852
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden01_1852/241
Zitationshilfe: Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 1. Breslau, 1852, S. 225. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden01_1852/241>, abgerufen am 24.11.2024.