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Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 1. Breslau, 1852.

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Jedes Kind muß das begreifen. Nur unserem Kinde
Anton war es noch nicht deutlich. Seine Bescheiden-
heit ließ ihn nach langem Zweifeln, Besinnen, Erwä-
gen zuletzt in's Klare kommen, er habe sich, noch halb
im Traume, getäuscht; die Erscheinung sei nicht wirk-
lich, sie sei ein Spiel seiner Einbildung gewesen,
"denn, wie käme Madame Laura dazu?... ach,
nicht daran zu denken!"

Mochte Madame Amelot ihn täglich über seine
Fortschritte im Französischen prüfen; mochte sie ihn
bei jeder Gelegenheit auffordern, ihr ein deutsches
Liedchen zu singen, und dabei seine liebliche Stimme
loben; mochte sie ihm sogar Unterweisung im Gui-
tarre-Spiel angedeihen lassen; mochte sie französische
Chanson's mit ihm einüben und ihm dabei die Ver-
sicherung geben, seine Aussprache sei für einen Deut-
schen bewunderungswürdig; mochte sie endlich, mit
klaren Worten seiner stillen Abendstunden, seiner
Phantasieen auf der Geige, -- ja mochte sie seiner
Träume neckend gedenken! -- Er blieb ein- für alle-
mal blind.

Madame Simonelli hatte in P. gute Geschäfte
gemacht. Ueber Gn. und Brg. war sie, sammt ihrem
Gefolge von Menschen und Thieren, bis D. gedrungen.

Jedes Kind muß das begreifen. Nur unſerem Kinde
Anton war es noch nicht deutlich. Seine Beſcheiden-
heit ließ ihn nach langem Zweifeln, Beſinnen, Erwaͤ-
gen zuletzt in’s Klare kommen, er habe ſich, noch halb
im Traume, getaͤuſcht; die Erſcheinung ſei nicht wirk-
lich, ſie ſei ein Spiel ſeiner Einbildung geweſen,
„denn, wie kaͤme Madame Laura dazu?... ach,
nicht daran zu denken!“

Mochte Madame Amelot ihn taͤglich uͤber ſeine
Fortſchritte im Franzoͤſiſchen pruͤfen; mochte ſie ihn
bei jeder Gelegenheit auffordern, ihr ein deutſches
Liedchen zu ſingen, und dabei ſeine liebliche Stimme
loben; mochte ſie ihm ſogar Unterweiſung im Gui-
tarre-Spiel angedeihen laſſen; mochte ſie franzoͤſiſche
Chanſon’s mit ihm einuͤben und ihm dabei die Ver-
ſicherung geben, ſeine Ausſprache ſei fuͤr einen Deut-
ſchen bewunderungswuͤrdig; mochte ſie endlich, mit
klaren Worten ſeiner ſtillen Abendſtunden, ſeiner
Phantaſieen auf der Geige, — ja mochte ſie ſeiner
Traͤume neckend gedenken! — Er blieb ein- fuͤr alle-
mal blind.

Madame Simonelli hatte in P. gute Geſchaͤfte
gemacht. Ueber Gn. und Brg. war ſie, ſammt ihrem
Gefolge von Menſchen und Thieren, bis D. gedrungen.

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[266/0282] Jedes Kind muß das begreifen. Nur unſerem Kinde Anton war es noch nicht deutlich. Seine Beſcheiden- heit ließ ihn nach langem Zweifeln, Beſinnen, Erwaͤ- gen zuletzt in’s Klare kommen, er habe ſich, noch halb im Traume, getaͤuſcht; die Erſcheinung ſei nicht wirk- lich, ſie ſei ein Spiel ſeiner Einbildung geweſen, „denn, wie kaͤme Madame Laura dazu?... ach, nicht daran zu denken!“ Mochte Madame Amelot ihn taͤglich uͤber ſeine Fortſchritte im Franzoͤſiſchen pruͤfen; mochte ſie ihn bei jeder Gelegenheit auffordern, ihr ein deutſches Liedchen zu ſingen, und dabei ſeine liebliche Stimme loben; mochte ſie ihm ſogar Unterweiſung im Gui- tarre-Spiel angedeihen laſſen; mochte ſie franzoͤſiſche Chanſon’s mit ihm einuͤben und ihm dabei die Ver- ſicherung geben, ſeine Ausſprache ſei fuͤr einen Deut- ſchen bewunderungswuͤrdig; mochte ſie endlich, mit klaren Worten ſeiner ſtillen Abendſtunden, ſeiner Phantaſieen auf der Geige, — ja mochte ſie ſeiner Traͤume neckend gedenken! — Er blieb ein- fuͤr alle- mal blind. Madame Simonelli hatte in P. gute Geſchaͤfte gemacht. Ueber Gn. und Brg. war ſie, ſammt ihrem Gefolge von Menſchen und Thieren, bis D. gedrungen.

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Zitationshilfe: Holtei, Karl von: Die Vagabunden. Bd. 1. Breslau, 1852, S. 266. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_vagabunden01_1852/282>, abgerufen am 24.11.2024.